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DRESDEN/ Semperoper: DIE VERKAUFTE BRAUT. Neuinszenierung von Mariame Clèment

17.03.2019 | Oper

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Dresden / Semperoper: „DIE VERKAUFTE BRAUT“  – NEUINSZENIERUNG VON MARIAME CLÈMENT – 16.3.2019

Die in Sujet und Musik “urböhmische“ Oper “Die verkaufte Braut” wurde jetzt an der Semperoper neu inszeniert – von einer Französin, Mariame Clèment, die auf Einladung des neuen Intendanten Peter Theiler ihr Dresdner Regiedebüt gab. Die Premiere fand am 8.3.2019 statt, nach der sich erfahrungsgemäß bei der 1. und erst recht der 2. Aufführung (10.3.) danach die Premieren-Anspannung gelegt hat und so manches schon „eingeschliffen“ ist.

In Szene gesetzt wurde die Oper in “internationaler Gemeinschaftsarbeit”. Die Bühnen- und Kostümbildnerin Julia Hansen kommt aus Deutschland, Chor und Orchester ebenfalls. Für Licht ist der Sizilianer Fabio Antoci verantwortlich, für die Choreografie der Chilene Mathieu Guihaumon. Die Musikalische Leitung liegt in den Händen des tschechischen Dirigenten Tomáš Netopil, der mit der tschechischen Kultur und Mentalität aufgewachsen ist, was ihm trotz seiner vielen Engagements im Ausland noch im Blut liegt. Er bringt einiges böhmisches Kolorit ein, das der Oper sehr zugute kommt.

Es wird deutsch gesungen (mit deutschen und englischen Übertiteln), obwohl Bedřich Smetana bekennender Tscheche war und in einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs und der Rückbesinnung auf die tschechischen Traditionen bewusst ein Libretto des nationalradikalen Autors und Journalisten Karel Sabina vertonte, schon um dem Vorwurf des  „Wagnerianers“ entgegenzuwirken. Im Volk verwurzelte Volklieder oder –tänze verwendete er nicht, er komponierte alles neu, auch Polka und Furiant, aber vieles aus der Partitur ist direkt ins Volksleben übergegangen. Es sollte die tschechische Nationaloper werden, was zunächst jedoch nicht gelang. Erfolg und Beliebtheit, die bis heute, vor allem in Deutschland, anhalten, erlebte die Oper erst nach der Übersetzung ins Deutsche und einer Aufführung im Wiener Prater, aber gerade wegen ihres böhmischen Kolorits und der zündenden volkstümlichen Musik. In Frankreich wird die Oper seltener gespielt, nur hin und wieder in einem (kleineren) Theater.

Die Regisseurin kannte sie bis dato nicht, wollte sie aber „kräftig durchlüften“, weshalb sie die Handlung von der frischen Landluft in die Atmosphäre einer Gaststätte, „Kezals Village“, einer Mischung aus Landgasthof und Chicky-Micky-Lokalität, verlegte und Kezal vom, von Dorf zu Dorf wandernden, Heiratsvermittler zum Besitzer dieses Etablissements avancieren ließ. Sie sagt selbst, dass diese Oper vom dörflichen Sujet lebt, verlegt aber die Handlung in eine (Klein‑)Stadt, weil ihr nicht plausibel erschien, dass die Bewohner eines Dorfes, wo jeder jeden kennt, den nach vielen Jahren zurückgekehrten Hans nicht erkennen wollen. Sie erkennen ihn wahrscheinlich, aber sie schweigen, und sein Vater will  nichts von ihm wissen, erkennt ihn aber doch, als er ihn das erste Mal wieder zu Gesicht bekommt, nur der Heiratsvermittler Kezal, der so viele Dörfer kennt und keines richtig, kann das nicht wissen.

Die Handlung wurde in die 1980/90er Jahre verlegt, warum eigentlich? Das prägende Ereignis dieser Zeit, das ganz Mittel- und Osteuropa mittel- oder unmittelbar betraf, war die politische Wende, aber die kommt – auch in Clèments Lesart – nicht vor. Außerdem hat die ganze Umdeutung einen Haken. Der Witz, dass einer seine, schon von den Eltern als Einlösung ihrer Schulden so gut wie „verkaufte“, Braut durch eine geschickte, bewusst arrangierte Verwechslung sich selbst verkauft – was auf einer wahren Begebenheit beruhen soll -, konnte nur durch Zufälle und unter den Bedingungen des rückständigen Böhmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf einem entlegenen Dorf passieren, wo man es bei Verträgen zwar mit verschnörkelten Formulierungen, aber mit der Exaktheit aus Unkenntnis oder Tradition nicht so genau nahm. Jetzt wüsste selbst ein simpler, aber geschäftstüchtiger Kezal, dass ein Vertrag ohne den vollen Namen ungültig ist. Da wäre alles sofort aufgeflogen, und die Oper hätte keine spannende, witzige Handlung, und außerdem, warum sollte heutzutage ein Vermittler für eine Ehestiftung auf “unterer” Ebene noch viel Geld bieten? Das war früher einmal, vor allem auf dem Dorf, wo es wie überall in engstirniger Weise um Besitz und guten Ruf ging.  

Die Neuinszenierung beginnt mit vier, vor dem Vorhang hereintanzenden, Mädchen in Volkstracht, zu denen sich dann vier Tänzer gesellen und später vier Paare gebildet werden, alles in naiver Choreografie und Ausführung (Damen und Herren der Komparserie und einige Tänzer und Tänzerinnen). Madame Clément wollte die Oper „vom Folklorestaub befreien“ und lässt gerade diesen zu verkitschter, „volkstümlicher“ Form changieren, wie sie den Touristen jetzt vielerorts als „echt“ angeboten wird. Die temperamentvollen Tänze wie Polka und Furiant werden später zur laienhaft ausgeführten Touristenbelustigung mit zum Teil modernen Tanzbewegungen zu volkstümlichen Klängen. Der Wanderzirkus wird zum Programm in „Kezals Village“, in dem die gesamte Handlung stattfindet und leicht auch ein wenig Langeweile aufkommen kann.

Das Bühnenbild bleibt immer gleich. Zur Abwechslung werden mal Strohballen herein und wieder hinausgetragen, wird eine Riesen-Kuh herein und später wieder hinaustransportiert, damit sie der arme, dicke, stotternde Wenzel mit verbundenen Augen küsst, nachdem er von der Dorf- bzw. Stadtjugend herumgeschubst wurde, Gewalt muss neuerdings unbedingt sein! – Und wieder rein mit der Kuh, raus mit der Kuh usw. Das Bühnenbild ist bunt und wird hin und wieder grell bunt ausgeleuchtet, durchaus einladend – für einen folkloristischen Gaststättenabend für Touristen. Für noch mehr Abwechslung sorgt die Inbetriebnahme der riesigen Discokugel an der Decke des „Lokals“, die ihre Schatten als Ausdruck des Liebestaumels in den Zuschauerraum und die Ränge wirft, und für Zäsuren und Szenenwechsel jähe Lichtkegel, die die Handlung zwecks Wechsel abrupt anhalten, bis es endlich weitergeht. Die Kostüme sind gemischt zwischen Alltags-Look und Folklore.

Nach dem ersten Akt meinte man, einige verhaltene Buh-Rufe zu hören, aber vielen Besuchern hat es gefallen. Alte „Opern-Hasen“, die die Oper in- und auswendig kennen und schon alle möglichen (meist „authentischen“) Inszenierungen erlebt haben, mögen diese etwas andere Lesart interessant finden, für die jungen Leute, die nicht beruflich mit dem Theater zu tun haben, sondern gelegentlich interessiert mal einen Besuch im Opernhaus wagen, sind zwei ineinander geschachtelte Handlungen, die originale und die neue Lesart eher „böhmische Dörfer“.

Auf der Bühne bewegen sich die handelnden Personen mit ihren vielschichtigen Charakteren, denen frischer „Esprit“ verliehen werden sollte, zwischen Gastraum, Toilette in Sichtweite und Bar. Bei jedem kleinen Schreck oder „Schock“ suchen sie „Zuflucht“ in der „Nasszelle“. In der Bar lösen sie ihre Probleme – in Alkohol auf.

Die Partie der Marie, die hier, um ihre Liebe zu Hans noch deutlicher zu machen, entsprechend Kostüm schon schwanger zu sein scheint, bewältigte die armenische Sopranistin Hrachuhí Bassénz, die nach ihrem Dresdner Hausdebüt 2017 erstmalig als neues Ensemblemitglied zu erleben war, auf ihre Art glaubwürdig, leicht dramatisch und eher mit Wagner-Timbre als mit tschechischer Mentalität. Ihr geliebter Hans wurde von dem slowakischen Tenor Pavol Breslik in seiner ersten Neuproduktion in Dresden ebenbürtig interpretiert. Benjamin Bruns nahm seine Rolle als Wenzel sehr ernst und mit Humor und wurde damit zum Sympathieträger des Publikums.

Als Kezal hatte Tijl Favayts zwar die erforderliche Tiefe, aber kaum das Charisma dieser etwas simplen Persönlichkeit, die laut Text, von sich sehr eingenommen, immer wieder die eigene „Klugheit“ betont und die Fäden in der Hand zu haben glaubt, am Ende aber der Genarrte ist. Er blieb in allem etwas blass.

Die beiden Elternpaare hatten nicht allzu viel Gelegenheit sich gesanglich zu entfalten. Matthias Henneberg vertrat als einfacher Bauer Kruschina trotz der Dorf-Gepflogenheiten, in denen er verwurzelt ist, eine gewisse einfache Vernunft und erst recht Sabine Brohm als seine Ehefrau Ludmilla mit mütterlichem Herz und etwas leiser Stimme. Tilmann Rönnebeck, der als wohlhabender Bauer Micha den Wunsch seiner zweiten, elegant gekleideten und ziemlich abgehobenen Ehefrau Hata, verkörpert durch Michal Doron, vertritt, bildeten das Kontrahenten-Paar. Tahnee Niboro bot eine eher künstlerisch perfekte Esmeralda mit zierlich-eleganten Armbewegungen und angedeuteten Verführungskünsten als eine simple Komödiantin und war mit einschmeichelndem Gesang die Diva der Theatertruppe, der man gern glaubte, dass der Wenzel für sie alles tun würde. Barry Coleman fungierte als Zirkusdirektor und Chao Deng als Indianer.

Der Sächsische Staatsopernchor sang in der Einstudierung von Cornelius Volke sehr exakt und mit guten Stimmen, und der Männerchor klang völlig unisono – „wie ein Mann“. Wie immer verlieh die hingebungs- und temperamentvoll spielende Sächsische Staatskapelle der Aufführung die niveauvolle musikalische Grundlage, die auch mancher Sängerleistung zu Akzeptanz verhalf. Unter Netopils Leitung eröffneten säuselnde Klänge den bunten Reigen auf der Bühne, wurden aber bald auch zu massiven, kraftvollen in furioser Steigerung.

Fazit: Da das Auge schneller wahrnimmt als das Ohr, wurde man oft durch die Bühne mit ihrem „Eigenleben“ und Trend vom dörflichen zum gegenwartsbezogenen Klischee, wie man es ständig im realen Leben und auf der Bühne findet, vom musikalischen Geschehen abgelenkt.

Ingrid Gerk

 

 

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