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DRESDEN/ Semperoper: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG unter Christian Thielemann

11.02.2020 | Oper

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Dresden / Semperoper:  „DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG“ UNTER CHRISTIAN THIELEMANN 10.2.2020

Die Neuinszenierung von Richard Wagners einziger Komödie „Die Meistersinger von Nürnberg“ für die Salzburger Osterfestspiele ist nun in Dresden angekommen. Die Premiere an der Semperoper (26.1.2020) stand unter keinem glücklichen Stern, denn die Oper steht und fällt mit dem Hans Sachs, und Georg Zeppenfeld hatte noch kurz vorher mit einer Erkältung zu kämpfen. Die Premiere wurde dennoch musikalisch ein Erfolg, auch für ihn. Beim Regieteam stritten sich die Geister in einem Sturm der Entrüstung mit Buh-Orkan und Befürwortern. Die Dresdner konnten nicht ertragen, dass „ihre“ „Meistersinger“ derart „modernisiert“ wurden. Zu sehr ist die stimmige, man möchte fast sagen „authentische“ Inszenierung von Wolfgang Wagner aus den 1990er Jahren mit kaum zu toppendem Bühnenbild und Kostümen noch im Bewusstsein, so dass es alle nachfolgenden Inszenierungen schwer haben. Die unmittelbar darauffolgende, nicht gerade glückliche, musste schon nach drei Vorstellungen wieder abgesetzt werden.

In der dritten Aufführung nach der Premiere (10.2.) hatten sich die Wogen geglättet. Alle Beteiligten waren auf der Höhe ihres Könnens, und die musikalische Seite auf so hohem Niveau, dass man die, nicht gegen die Handlung gerichtete, Inszenierung von Jens-Daniel Herzog durchaus akzeptierte. Er verlegt die, sonst meist sehr ernst genommene, Handlung der einzigen Komödie des Meisters, die sogar – im Gegensatz zu allen anderen Wagner-Opern ein Happy End hat, und neben dem Diskurs um die Freiheit der Kunst, speziell der Musik – wie könnte es bei Wagner anders sein – auch philosophische und politische Aspekte enthält, in unsere Gegenwart – welcher Regisseur tut das gegenwärtig nicht, wenn es nicht gerade ein Raumschiff, die Galaxis oder ein Planet der Affen sein muss?

Zu Richard Wagners Zeiten gab es auch keine Meistersinger mehr. Für ihn sind sie Symbol für die nach festen Regeln und Gesetzen komponierenden und urteilenden Vertreter der deutschen Musikkultur vor Wagner und Beckmesser die Karikatur auf den seinerzeit berühmten und gefürchteten Musikkritiker-Papst Eduard Hanslick, der zunächst schrieb, dass ihn Wagners Musik „an eine mittelalterliche Foltermethode erinnere, bei der man immer, wenn man gerade dabei war, einzuschlafen, durch eine interessante Passage wieder geweckt wurde“. Später meinte er, dass Wagner selbst ja noch anginge, aber die Wagnerianer „unausstehlich“ seien, wofür sich Wagner in Gestalt des Beckmesser rächte. Das Sujet ist also ganz in Wagners Gegenwart angesiedelt. Trotzdem verlegte er die symbolträchtige Handlung mit persönlichem Bezug vermutlich auch, um einen gewissen Reiz auszuspielen, um die Mittsommernacht ins mittelalterliche Nürnberg, eine Stadt, deren Bausubstanz noch immer die Fantasie an frühere Jahrhunderte anregt, und die Besucher verstanden Sinn und Handlung des von Wagner selbst verfassten Librettos über mehr als 100 Jahre auch ohne „Zeigefinger“ in die Gegenwart.

Herzog verlegt die Handlung in den Theateralltag, d. h. in die Semperoper. In Salzburg kam das gut an, in Dresden wirkt es weniger glücklich, wenn in der Semperoper der vordere Teil des Zuschauerraumes mit den Proszeniumslogen und der ersten  Sitzreihe wie „geklont“ vor dem „echten“ vorderen Teil des Zuschauerraumes mit den Proszeniumslogen und der ersten Sitzreihe erscheint – Theater auf dem Theater, Oper in der Oper. Wagner hat sich seinerzeit auch etwas bei der Verortung seiner Oper gedacht. Er kämpfte jahrelang um ein „Gesamtkunstwerk“, jetzt wird das einfach ignoriert.

Herzogs ausgesprochen reichhaltige Inszenierung enthält so ziemlich alles, was es in den letzten Jahren an Inszenierungs-Ideen gegeben hat, bunt gemischt, vielseitig und vielfarbig und doch meist stimmig in ansprechenden Bühnenbildern (Mathis Neidhardt), die nicht immer zum Text passen, aber gut ausgeleuchtet (Fabio Antoci), auch „nicht das Auge beleidigen“. Die Drehbühne wird intensiv eingesetzt, um die in zwei Ebenen und verschiedene Räume eingeteilte Bühne, in denen mitunter zwei Handlungsstränge parallel ablaufen (warum eigentlich?) und die Aufmerksamkeit teilen, zwischen Realität und Vorstellungswelt der handelnden Personen schnell zu wechseln, wobei sogar die komödiantische Seite deutlicher wird als sonst.

Zunächst empfängt den Besucher die realistische Abbildung einer intakten gotischen Kirche wie der Katharinenkirche in Nürnberg, der Meistersinger-Kirche, die seit dem 2. Weltkrieg Ruine ist. Ein leises Aufatmen ging durch die Reihen: Bühnenmaler und -gestalter hatten es also noch nicht verlernt, naturgetreue Abbilder auf die Bühne zu bringen, wie sie so oder ähnlich ursprünglich gedacht waren und wo neben der Musik auch das Auge schwelgen kann, aber es war nur ein sehr kurzer Traum. Der andächtig singende Chor in passenden Kostümen dreht sich zum Publikum und wendet sich wieder zurück, wobei einige fragwürdig die Arme in die Luft recken – was soll das? – eine Provokation? „Aus der Traum“, wenn sich der ebenfalls „geklonte“ rote Vorhang senkt. Man ist wieder im gegenwärtigen Regie-Alltag – hier sogar im doppelten Sinn. Der Traum geht weiter, aber anders, als sichtbare Vorstellungswelt der Akteure, womit auch das psychologische Moment bedient wäre.

Zu allem Überfluss erscheinen ab und an drei übermäßig „fette“, nackte Weiber (sie sind so kostümiert) mit Kränzlein im Haar und Flügeln – Elfen oder Musen? – um auch Sex und Kitsch zu bedienen. Über dem Disput um die musikalische Meisterschaft schwebt ein Plakatband mit den Konterfeis aller 12 Meistersinger (wie zu DDR-Zeiten die „Straße der Besten“), und beim Festwiesen-Spektakel, wo sogar eine Linde von oben herab hinter das riesige schwarze Festzelt schwebt, erhält jede noch so mäßig singende Zunft wie einst Urkunde und Blumenstrauß. Es scheint jetzt üblich zu werden, so viel wie möglich auf die Bühne zu packen gemäß dem Goethe-Wort „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht“ (wirklich?) “zufrieden aus dem Haus“.

Sachs ist hier nicht mehr nur Schuster, sondern avanciert zum Theaterintendanten, offenbar mit Regie- und auch Darsteller-Ambitionen, die Schusterstube wird zum Intendanten-Büro, die Meistersinger zu Sponsoren und die Lehrbuben zum neugierigen Völkchen, das heimlich hinter dem Vorhang lauscht, bis die ersten hervor purzeln. Pogner und Tochter Eva müssen sich in Ermangelung einer Bank vorm Haus auf die Treppe setzen, und der Nachtwächter wird zum Wach- oder Feuerwehrmann mit Taschenlampe statt Laterne. Dazwischen wuselt Theater-Personal, einschließlich Regisseurin. Stolzing wirkt zumindest in seinem Kostüm (Sibylle Gädeke) wie ein Zimmermann auf der Walz. Er verachtet die Meister und beginnt, alle Meistersinger-Bilder zu zerschlagen, doch kommt er nicht weit, die Putzkolonne hält ihm die restlichen wie in einem Alptraum vor die Augen. Für Evchen und Magdalena gibt es sehr schöne, passende Kleider, ansonsten den üblichen Alltagslook bzw. „guten“ Anzug für die Festwiese. Sachs erscheint auf der Festwiese im Frack. Der steht ihm gut, aber als Schuster alias Theaterintendant und auf der Wiese?

Was den Opernabend zum großen Erlebnis werden ließ, war die musikalische Seite. Bereits im Vorspiel ließ Christian Thielemann mit der, seinen Ambitionen genau folgenden, Sächsischen Staatskapelle Dresden sehr plastisch die Handlungsabläufe musikalisch im Voraus erstehen. Es wurde während des gesamten langen Abends so durchsichtig und dennoch mit entsprechender Dominanz musiziert, dass selbst die „Anleihen“, die Wagner bei seinen anderen Opern (vor allem „Tristan und Isolde“) genommen hat, aber auch kammermusikalische Feinheiten und kontrapunktische Verknüpfungen als Hinweis auf Altmeister J. S. Bach (Walther von der Vogelweide) hörbar wurden. Obwohl Thielemann das Orchester sehr zurücknahm, so dass die Sänger problemlos „zu Wort“ bzw. Ton kommen konnten, war die Kapelle mit ihrer klanglichen Perfektion immer präsent und „gab den guten Ton an“. Die Sängerinnen und Sänger wurden nie zugedeckt, sie konnten sich vom Orchester tragen und inspirieren lassen. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen in kongenialem Miteinander.

Jeder gestaltete seine Rolle, gut bei Stimme, mit ganzem Einsatz und Können. Über alles Lob erhaben war Georg Zeppenfeld als Sachs, der mit Bravour die Rolle sowohl als Schuster-Poet, als auch „Intendant“ gesanglich und gestisch mit edler Selbstverständlichkeit gestaltete, wobei bei „Wahn‑“ und „Flieder-Monolog“ auch ein tiefes Verständnis mitschwang. Mit Vitalij Kowaljow stand ein integrer, stimmlich und darstellerisch immer präsenter und glaubhafter Veit Pogner auf der Bühne. Die Meistersinger Günter Haumer, Oliver Zwarg, Markus Miesenberger, Patrick Vogel, Beomjin Kim, Ruppert Grössinger, Christian Hübner und Roman Astakhow machten ihrem Titel Ehre. Sie wurden meist durch den überzeugend singenden Iurie Ciobanu als Kunz Vogelsang, ihrem aktivsten Wortführer, gut vertreten. Selbst der (noch junge) „Nachtwächter“ Alexander Kiechle wartete mit profunder Stimme und passablem Gesang auf.

Camilla Nylund verstand es, mit ihrem Gesang und schauspielerischem Können eine junge, unschuldige, ein bisschen naive und doch gewitzte Eva auf die Bühne zu zaubern, die alle verehren und einige begehren. Christa Mayer schaffte als Magdalena auch mit Spiel und Mimik den seltenen Spagat zwischen mütterlich-pflichtbewusster Amme und jugendlichen Ambitionen, dem viel jüngeren Lehrbuben David noch zu gefallen, dem Sebastian Kohlhepp gute Stimme und Gestalt verlieh. Ein ansehnlicher Walther von Stolzing war Klaus-Florian Vogt, dessen Domäne nun einmal das Wagner-Fach ist, als jugendlich ungestümer Walther von Stolzing mit flapsigen Manieren fernab aller ritterlichen Tugenden (laut Regie) und guter Kondition gestaltete er seine Rolle auch sängerisch in stetiger Frische bis zum Schluss, wobei man sich beim „Preislied“ gern noch etwas mehr strahlenden Glanz gewünscht hätte.

Eine Charakterstudie der besonderen Art lieferte Adrian Eröd, der schon äußerlich mit seiner schlanken Gestalt und erst recht mit seinem Spiel dem Sixtus Beckmesser die ungewollte Komik des distinguierten, auf – für ihn ungewohnten – Freiersfüßen wandelnden, Stadtschreibers verlieh, hart an der Grenze, aber typisch und nie ins Groteske abgleitend, dabei noch perfekt singend und auch, wenn er unvermittelt im Renaissance-Kostüm wie ein Troubadour seiner vermeintlichen Eva (Madgalena) ein missglücktes Ständchen bringt, die statt am Fenster mit Opernglas in der (unechten) Proszeniumsloge sitzt, einfach köstlich und gekonnt agiert. So stellt man sich den Beckmesser vor!

Alle haben wirklich gesungen (nicht “geschrien“), was bei Wagner nicht selbstverständlich ist, und das konnten sie auch bei dieser idealen Orchester-Grundlage. Sie konnten sich ganz ihrer Rolle und gutem Gesang widmen, keine übermäßige Lautstärke, kein Klang-Wust, so dass auch das Quintett zwischen Sachs, Eva, David, Lene und Stolzing in seltener Homogenität und Klangschönheit gelang.

„Alle Macht ging“ bei dieser Aufführung von Thielemann aus. Er hatte die Fäden in der Hand und gestaltete die gesamte Oper mit seinem tiefen Verständnis der Wagnerschen Musik. Das Vorspiel zum 3. Akt nahm er sehr langsam und gedehnt, aber schließlich fing er damit die „Status-“quo“-Stimmung nach der Prügelszene, der größten in der Operngeschichte, ein, um den Kontrast zum Nachfolgenden um so deutlicher herauszuarbeiten. Der Sturm der Gefühle hatte sich gelegt. Alle waren matt und mussten erst wieder zu sich finden, bis es turbulent weitergehen konnte.

Aus gestalterischen Gründen wurden an manch markanter Stelle auch Generalpausen als „Ritardierendes Moment“ mit großer Wirkung eingefügt, eine „Verschnaufpause“ zum Innehalten und Nachdenken, aber auch, um die Spannung zu erhöhen, bevor etwas sehr Wichtiges folgte. So setzte der kraftvoll singende Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: Jan Hoffmann) wie ein Schlag mit einem besonders kraftvollen „Wach“ ein und man musste warten, bis nach einer Generalpause schlagartig das „auf“ folgte „zwei Schläge sind dann …“, aber das ist von Richard Strauss („Capriccio“).

Mit der musikalischen Seite auf extrem hohem Niveau, wie es in seiner Art nur Thielemann vermag, war es eine wirkliche Festaufführung. Wenn auch die (auch nicht echte) Poesie des alten Nürnberg, der fremde Reiz der Vergangenheit, verlorenging, hat es doch Herzog verstanden, die Opernhandlung in seiner Konzeption nachvollziehbar zu erzählen, auch wenn man langsam müde wird, immer und immer wieder Gegenwart und Alltagskostüme und die schon strapazierten Regie-“Einfälle“ zu sehen, die er jedoch stimmig und sinnvoll einzusetzen wusste.

Ingrid Gerk

 

 

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