Dresden / Semperoper: „DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN“ VON SERGEJ PROKOFJEW – 30.12.2024
Die Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Sergej Prokofjew wurde jetzt an der Semperoper bereits zum zweiten Mal inszeniert. Premiere der Inszenierung von Evgeny Titov war am 7.12.2024. Jetzt fand die besuchte siebente und auch schon wieder bis auf weiteres letzte Vorstellung statt. Prokofjew schrieb seine Märchen-Oper in seiner Auslands-Schaffensperiode. Er emigrierte 1918 nach Japan und lebte ab 1920 in den USA und in Europa, bis er 1933 endgültig in die Sowjetunion, nach Moskau, zurückkehrte.
Es gibt lehrreiche Märchen, z. B von Wilhelm Hauff, und solche, die fantastische Geschichten mit ungewöhnlichen Begebenheiten erzählen, wie die Gebrüder Grimm. In Prokofjews Oper in vier Akten (zehn Bildern) und einem Vorspiel (Prolog) wird in parodistisch-grotesker und auch ein wenig tragischer Weise ein „rasantes Abenteuer auf der Suche nach dem Lachen“ erzählt, bei dem die Satire in einzelnen Szenen versteckt ist.
Im Prolog streiten sich die Tragischen, die Komischen, die Lyrischen und die Hohlköpfe um die Vorherrschaft im Stück, und so ist es keine Tragödie, keine Komödie, keine Liebesgeschichte und auch kein leichtes Unterhaltungsstück, sondern von allem etwas, eine Oper in einer fantastischen, irrationalen Welt des Märchens mit einem Libretto vom Komponisten nach Vsewolod Meyerholds Bearbeitung des Märchenspiels „L’amore delle tre melarance“ von Carlo Gozzi, der wiederum auf eine neapolitanische Märchensammlung zurückgriff.
Es existiert eine französische Fassung, für die Uraufführung 1921 in Chicago (französischer Originaltitel: „L’amour des trois oranges“) erstellt, und zwei deutsche. Hier findet die Aufführung in deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln statt. Die deutschen Übertitel sind sehr hilfreich wegen der oft unzulänglichen Textverständlichkeit mancher Sängerinnen und Sänger.
In Titovs Inszenierung mit einem Bühnenbild von Wolfgang Menardi empfängt den Zuschauer vor dem eigentlichen Beginn der eiserne Vorhang mit drei grafisch dargestellten Gehirnen (?), die langsam zusammenwachsen, sich wieder trennen, verändern, zerfallen und sich auflösen, und das alles immer wieder von vorn. Wenn sich der Vorhang dann hebt, erscheinen immer wieder die üblichen Elemente, wie ein mit Neonröhren nachgezeichneter fünfeckiger Rahmen, der auf die zentrale Handlung konzentriert, ein darüber schwebender Kreis, der alles wie eine angedeutete Op-Saal-Lampe (?) scharf beleuchtet, ein schwerer Eisenrahmen, überdimensional große weiße Hände, die die Orangen halten, Flitterregen von oben, Wasserdampf usw., aber alles sinnvoll und stilgerecht eingesetzt, nebenbei ein bisschen unnötig angedeuteter Sex und ein paar zotige Einlagen, aber im Großen und Ganzen doch Sinn gebend. Es kommen auch mehrfach Stroboskopeffekte zum Einsatz – warum eigentlich? Sie machen die Handlung nicht deutlicher und verwirren vielleicht nur manchen Zuschauer.
Die vorherrschenden Farben sind schwarz, rot und weiß, weißer Latex für die Kolonne der Ärzte, die dann auch die verdursteten Prinzessinnen begraben muss, schwarzer Zwischenvorhang in Knautschlack-Optik usw. Bühne und Kostüme entsprechen einer nahtlosen Mischung aus Entstehungszeit, Commedia dell‘arte, Neoklassizismus und auch ein bisschen der modernen Gegenwart, etwas Klamauk wie das Kostüm für Truffaldino (Aaron Pegram), ein an allen Ecken nd Enden viel zu kurzer enger Frack für einen kleinen Dicken, eher eine rheinische Spaßfigur wie Tünnes‘ Freund Scheel statt einer italienischen Komödien-Figur. Sie wird auch so gestaltet und erhält dafür vom Publikum viel Sympathie-Beifall.
Georg Zeppenfeld sang sechsmal den König Treff, bei der siebenten Vorstellung überzeugte aber auch Goran Jurić. Anfangs ans Bett gefesselt, war Mauro Peter als Prinz dann ganz und gar kein Kind von Traurigkeit, er zeigte Profil, war stimmlich gut in Form, bewegte sich sehr agil und bewies viel komödiantisches Talent. Die gefahrvolle Reise nach Kreontas Palast und zurück scheint er nur geträumt zu haben, denn er absolviert alles im Pyjama, und auch zur Hochzeit wirft er nur einen gewöhnlichen Mantel über.
Als Zauberer Tschelio beschwor Alexandros Stavrakakis den Teufel Farfarello (Tilmann Rönnebeck) in einer langen Szene mit wahrhaft bezaubernder, großer, schöner Stimme. Da musste selbst der Teufel schwach werden. Nadezhda Karyazina sang mit gutturaler Stimme die thronsüchtige Prinzessin Clarissa und Neven Crnić einen gut artikulierenden Intriganten an ihrer Seite. Dem Pantalon lieh Danylo Matviienko Stimme und Gestalt.
Den Durchbruch erreichte Flurina Stucki als Fata Morgana beim Prinzen durch ihren Sturz, von einer langen, langen Treppe von oben bis unter herunterkugelnd, worüber der Prinz endlich herzlich und lange lachen konnte, eine sportlich-akrobatische Leistung, und sie sang auch gut. Die drei anmutigen Prinzessinnen aus den Orangen waren Linetta (Michal Doron), Nicoletta (Valerie Eickhoff) und Ninetta (Anne Martha Schuitemaker), die am längsten aushielt und mehr von Gesang und Darstellung zeigen konnte. Die drohend die Orangen bewachende männliche Köchin (Taras Shtonda) erschien als die typische, immer Heiterkeit erweckende typische Köchin mit üppiger Gestalt und maskuliner Stimme.
Die Kommunikation der handelnden Personen findet in einem Deklamationsstil statt, von der Sächsischen Staatskapelle Dresden subtil untermalt und in seinem farbigen Stil mit impressionistischen Zügen und tonmalerischen Elementen unter der musikalischen Leitung von Erik Nielsen adäquat widergegeben. Der die Handlung kommentierende Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: Jonathan Becker) agierte mit stereotypen Bewegungen und sang perfekt mit schönen Stimmen. Das als Leitmotiv behandelte Thema der drei Orangen und der Königsmarsch klangen als Ohrwürmer noch lange nach.
Ingrid Gerk