Dresden/Semperoper: „DER NUSSKNACKER“ VON P. I. TSCHAIKOWSKI IN DER VERSION VON AARON S. WATKIN UND JASON BEECHEY – 12.12.2024
Aaron S. Watkin hat das Semperoper Ballett Dresden 2022 verlassen, um die Position des künstlerischen Leiters des English National Ballet zu übernehmen. Seine Ballett-Inszenierungen, insbesondere die der abendfüllenden klassisch-romantischen Handlungsballette sind aber geblieben. Nach „La Bayadere“ und „Dornröschen“ erlebt nun auch „Der Nussknacker“ von P. I. Tschaikowski, speziell für die Weihnachtszeit, sein Comeback und erfreut in der Version und Choreografie von Watkin und Jason Beechey (1. Akt, 1. und 2.Bild, 2. Akt) nach der Choreografie des, 1892 in St. Petersburg uraufgeführten, „Nussknacker“-Ballettes von Marius Petipa Groß und Klein gleichermaßen.
Die Vorstellungen sind sehr unterschiedlich besetzt mit Tänzerinnen und Tänzern des Semperoper Ballett sowie Schülerinnen und Studierenden der Palucca Hochschule für Tanz Dresden in enger Zusammenarbeit. Jede Vorstellung ist anders besetzt, aber immer ausverkauft und ein voller Erfolg. So war es auch bei der besuchten 146.Vorstellung seit der Premiere (mit längeren Unterbrechungen).
Handlung und Choreografie sind dem klassischen Ballett verpflichtet und wurden als Märchen mit realistischer, nur leicht historisierender Rahmenhandlung angelegt. Die passenden Bühnenbilder und Kostüme, die nicht übertrieben, aber stimmig an die Zeit etwa um 1900 erinnern, schuf Roberta Guidi di Bagno, Licht: Marco Filibeck.
Den Besucher empfängt zunächst ein schmaler Streifen eines angedeuteten Weihnachtsmarktes (Dresdner Striezelmarkt) mit kleinen Buden und Russischem, Spanischem, Orientalischem, Chinesischem sowie Blumen- und Puppen-Verkäufer vor der Kulisse des Dresdner Zwingers mit Markttreiben – und leise rieselt der Schnee von oben. Dort erwirbt der geheimnisvolle Drosselmeier und Freund der Familie Stahlbaum noch schnell Nussknacker und Mäusekönig als Geschenk für deren Kinder Marie und Fritz zum Weihnachtsfest, bevor der Markt schließt und seitwärts verschwindet.
Damit wird der Blick auf das Weihnachtsfest im Salon der Familie Stahlbaum im Stil der Jahrhundertwende, aber keinesfalls verstaubt, frei, wo zahlreiche Gäste mit ihren Kindern versammelt sind und neben allerlei kurzweiligen und lustigen Begebenheiten der agile Drosselmeier seine „fantastischen Geschenke“ aus einer großen Kiste präsentiert, zwei lebendige mechanische Puppen, die zu tanzen beginnen (Nussknacker: Philippa Marie Thom, Mäusekönig: Yul Yuma Schweda), bis sie hinausgetragen werden. Auch der schon sehr gebrechliche Großvater (Christian Bauch) will, aber kann nicht mehr – tanzen. Dafür zeigen die Zuckerfee (Taidiya Madryak) und ihr Gemahl (Erik Mittag) ihr tänzerisches Könnnen, bis ein erbitterter Kampf zwischen dem Heer des Mäusekönigs und dem des Nussknackers über die Bühne geht, den die „Kavallerie“ des Nussknackers auf den berühmten Theater-Pferdchen mit „Menschenbeinen“ für sich entscheidet.
Damit ist der Nussknacker gerettet und die schlafende und später geschmeidig tanzende Marie (Jenny Laudadio) fühlt sich erwachsen werdend und träumt sich mit dem zum schönen Prinzen mutierten Nussknacker, dem Marco Giombelli mit guten Sprüngen und perfekter Körperhaltung in einer Balance zwischen hölzerner Erzgebirgs-Figur und elegantem Märchenprinz glaubhaft Gestalt verleiht, zunächst in einen zauberhaften Winterzauberwald mit dem, von Chorgesang untermalten Schneeflocken-Walzer, Schneekönigin, tanzenden „Eiszapfen“ und anmutig tanzenden Schneeflocken bei wieder leise von oben rieselndem Schnee. Da kann es schon einmal passieren, dass ein tanzendes Schneeflöckchen auf den „verschneiten“ Brettern, die die Welt bedeuten, ausrutscht, was dem stimmungsvollen romantischen „Weißen Bild“ aber keinen Abbruch tat.
Im gesamten 2. Akt geht es in das Land der Süßigkeiten, wo die beiden berühmten Dresdner Bauwerke Zwinger und Frauenkirche aus Zuckerguss bestehen (die Originale sind ganz und gar kein Zuckerbäcker-Baustil!) und statt der Figuren Torten auf den Balustraden stehen, wo die Zuckerfee (Bianca Teixeira) freundlich regiert und aus ihrer riesigen eckigen Kriminologe acht niedliche kleine Mini-Tänzer (Puck Minitanzklasse der Palucca Hochschule) hervorkriechen und sich ein bunter Reigen an exotischen Tänzen entfaltet.
Da ist das „Spanische Divertissement“ mit sehr temperamentvollen Tänzen und spanischem Kolorit (Richard House, Milda Luckute, Kanara Ijima, Simona Volpe, Evelyn Bovo, Vincenzo Mola), ein sehr beeindruckendes „Orientalisches Divertissement“ als spannungsreiche Szene und ausdrucksstarke Darbietung mit Susanna Santora als rituelle Tänzerin mit Schlangen artigen Bewegungen, auf einem „fliegenden“ Teppich präsentiert von den „Fakiren“ Joseph Ducille und Lamin Pereira, ein „Chinesisches „Divertissement“, bei dem Lauren Alving und Wilma Overgaard flatternde Bänder tanzen lassen, und ein „Russisches Divertissement mit den typischen russischen kraftvollen Tänzen, die Kondition erfordern (Filippo Mambelli, Damiano Felici, Santiago Rousselbin) in der Choreografie von Gamal Gouda.
Breiten Raum nehmen die Divertissements der Myrlitons, die ausgiebig ihr Können zeigen konnten, der Mutter Gigogne und der Pulcinelles, der Blumenwalzer und der Grand pas de deux ein, bis der Zauber in einem großen Finale mit allen Beteiligten mündet und verrauscht und die kleine Marie wieder erwacht.
Unter der Leitung von Thomas Herzog bot die Sächsische Staatskapelle Dresden das sichere musikalische Fundament, auf dem sich die Tänzerinnen und Tänzer entfalten konnten, am Beginn akzentuiert wie „getupft“, auf ein märchenhaftes Geschehen herab blickend, später harmonisch den Boden für die Tanzenden bereitend und als Pendant die geschmeidigen Tänze unterstreichend.
Ingrid Gerk