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Dresden / Semperoper: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ – WIEDERAUFNAHME MIT CHRISTIAN THIELEMANN AM PULT“ – 11.1. u. 15.1.2019
Im Bayreuther Festspielhaus hat Christian Thielemann bereits alle 10 Wagner-Opern dirigiert. Durch seine Arbeit im berühmt komplizierten Orchestergraben wurde er zum Wagner-Experten und Wagner-Versteher par excellence. Jetzt hat er in Dresden begonnen, ein ähnliches Vorhaben umzusetzen, das er mit „Lohengrin“ und dem „Ring“ begann. Für sein erstes „Holländer“-Dirigat an der Semperoper wurde die, von der Fachwelt gerühmte, vom Publikum aber vehement verachtete und abgelehnte Inszenierung von Florentine Klepper von 2013 wieder aus der Versenkung geholt. Auf Thielemanns Forderung hin wurde wenigstens in einer Hinsicht die Oper wieder vom Kopf auf die Füße gestellt: die bisher zwischen Ouvertüre und Drama überflüssigerweise hineinmanövrierte stumme Szene wurde an den Anfang, sozusagen als „Vorspiel“ vor dem „Vorspiel“ (Ouvertüre) verbannt, wo sie den musikalischen Fluss nicht stören kann.
Da kommt Senta mit Koffer anreist, um zum (katholischen) Begräbnis bei sehr leisem, unterschwelligem Wellenrauschen ihres, in anderen Inszenierungen quicklebendigen und geschäftstüchtigen, Vaters Daland fast zu spät zu kommen. Sie atmet erleichtert auf, jubelt fast, als er endlich in die Erde bzw. ins Meer versenkt wurde. Wie in einem chaotischen Traum wirbeln dann als sehr eigenwillige „neue“ Opernhandlung ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen über die Bühne und durcheinander mit Kindesmissbrauch (war damals gerade in den Medien aktuell), Beklemmung der dörflichen Enge und von Senta als drohendes Schicksal empfundene Zukunft als Ehefrau und Mutter in sie erstickenden gesellschaftlichen Konventionen (schattenhaft erscheint sie später im Hintergrund in einem – nicht etwa goldenen, sondern grauen – Käfig). Zu all dem wurde auch noch eine kleine Senta erfunden!
Wagner hatte bei allen seinen Opern immer sehr genaue, überlieferte Vorstellungen von der Gestaltung der Bühne, aber Frau Klepper wusste es „besser“. Mit dem, 1843 in Dresden uraufgeführten „Fliegenden Holländer“ wollte Wagner an die Tradition der damals beliebten Gespensteropern mit ihrer Dämonisierung der Naturgewalten als Spiegelbild der Seelenregungen der Figuren anknüpfen (wie sie mit Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ begründet wurden). Kleppers Inszenierung ist auch schauerlich, aber auf andere Art. In sich zwar schlüssig, spinnt sie das Libretto, das von keinem geringeren als Wagner selbst stammt, sehr eigenwillig um- und weiter und stiehlt damit der musikalischen und emotionalen Brisanz der Oper „die Show“. Da Wagner schon mit seiner Musik und erst recht in Einheit mit seinem Text die Handlung bestimmt, ist mehr Psychologisieren nicht nötig und kann nur schaden. Der Holländer und Senta weisen in Wagners Libretto eine für die damalige Opernliteratur sehr ausgefeilte Psychologie auf, die nicht noch „verschlimmbessert“ werden und in die Gegenwart gezerrt werden sollte.
Jetzt sind vier Vorstellungen vorgesehen, zwei mit Thielemann am Dirigentenpult (11.1. und 15.1.), zwei mit John Fiore (22.2. und 1.3.). Die erste Vorstellung (11.1.) wurde aus gegebenem Anlass dem, an diesem Tag im Alter von 92 Jahren nach langer Krankheit verstorbenen, Theo Adam gewidmet, der nicht nur für Dresden, sondern auch international das Wagnerbild nicht nur vieler Musik- und Opernfreunde geprägt hat. In der Tat fühlte man sich in der Figur des Holländers nicht zuletzt auch durch Kostüm und weißes Haar an ihn erinnert, worin man sich bei Albert Dohmens Gestaltungsart noch bestärkt fühlen konnte.
Wer Kleppers Inszenierung von 2013 kannte, wusste, dass man trotz bester Erfahrungen mit Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle und der Bayreuth-erfahrenen Sänger-Spitzenbesetzung nicht auf ein Wunder hoffen durfte und die Erwartungen nicht ungetrübt erfüllt würden, denn auch ein begnadeter Wagner-Spezialist wie Thielemann kann bei einem solchen Inszenierungs-Wust keines vollbringen. Zu sehr war man von der Inszenierung, die sich optisch immer wieder in den Vordergrund drängt und die Aufmerksamkeit auf ihre mit Text und Musik kaum übereinstimmende (konträre) Handlung fordert, abgelenkt. Nur ein Augenschließen konnte da zu einem wirklichen musikalischen Genuss führen, wie er von Bayreuth und auch von der stimmigen vorherigen Dresdner Inszenierung Wolfgang Wagners (nach Bayreuth) im Gedächtnis war.
Die Oper fand hier in zwei konträren Ebenen statt, einer sehr intensiven musikalischen im Orchestergraben, wo Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle Großartiges leistete und den ausdrucksstarken Sängern alle Unterstützung zuteilwerden ließ, die ihrerseits mit großartigen Leistungen aufwarteten, und im Widerspruch dazu einer szenischen Handlung mit einem, aus den gegenwärtig üblichen Bühnen-Gestaltungs-Elementen zusammengesetzten Bühnenbild von Martina Segna mit den ebenfalls gegenwärtig üblichen ewig tristen Kostümen von Anna Sofia Tuma. Dalands Mannschaft besteht aus vulgären, Bier (aus Flaschen) „saufenden“ Schauerleuten mit einem schwächlichen Steuermann (Tansel Akzeybek), der die Wache verschläft und den fremden „Kapitän“ nicht ausmachen kann und dessen, mit lyrischem Tenor gesungenes, Steuermann-Lied nicht unbedingt zum Höhepunkt der Szene wurde.
Der Fliegende Holländer kommt durchs Fenster und muss auf einem „Balken“ ins Zimmer „balancieren“ und Erik kriecht mitten in der Spinnstube unterm Universal-Bett hervor, in dem vorher reihenweise Entbindungen wie am Fließband stattfanden und geklonte Babys von massenhaft anwesenden, einheitlich blonden jungen Frauen „das Licht der Welt erblickten“, Frauen, die in einheitlicher Kleidung ebenfalls wie „geklont“ erscheinen und erst später als ebenso „geklonte“ Bräute (Wahnvorstellung Sentas).
Die „gestrenge“ Mary avanciert hier zur Hebamme. Christa Mayer verlieh ihr dennoch mit ihrem wohlklingenden Mezzosopran und im Rahmen der inszenierungsbedingten Möglichkeiten noch Sinn und einen menschlichen Charakter mit Wärme und Verständnis für die jungen Frauen. Was sie tut, das macht sie gut und mit Engagement und vertieft sich auch in eine kleinere Rolle, der sie dann mit ihrer wohlklingenden Stimme Leben einhaucht.
Wohlklingend waren ebenso die Stimmen der beiden stimmgewaltigen Haupt-Protagonisten Senta und Holländer, Anja Kampe und Albert Dohmen. Zum absoluten musikalischen Genuss wurde die Partie der Senta. Sie „schrie“ in keiner Phase, obwohl die Partie so manche Sängerin dazu verleitet. Sie sang mit tonschöner Stimme in allen Situationen, immer im genau richtigen Maß, schlicht und seelenvoll. Ein sich szenisches In-den-Mittelpunkt-stellen hatte sie nicht nötig. Sie war die zentrale Gestalt durch ihr sängerisches Können und ihre Ausstrahlung, ihre unaufdringliche und doch dominierende Gestaltung. Selbst bei intensiver Orchesterlautstärke war sie wunderbar zu verstehen und blieb die Zentralfigur der Handlung, mit der man mitfühlen konnte.
Ein ebenbürtiger Partner war Albert Dohmen in der Titelpartie, der hier als Traumgestalt erscheint und wenig Möglichkeiten für eine szenische Gestaltung hat. Bei ihm lag aller Ausdruck in der Stimme. Georg Zeppenfeld sang und gestaltete, wie nicht anders zu erwarten, selbst die hier sehr gewöhnungsbedürftig angelegte Gestalt des Daland mit der ihm eigenen Intensität und gewohnt fundierter Stimme. Tomislav Mužek sang einen passablen Erik.
Der Frauenchor erfreute als Chor der Spinnerinnen mit sehr schönen Stimmen und gutem Zusammenwirken das Ohr, was von dem Männerchor beim Fest vor dem endlichen „Auslaufen“ ihres Schiffes nicht unbedingt behauptet werden konnte, auch wenn sie der Inszenierung nach „unter Alkohol“ standen und so auch sangen (Sächsischer Staatsopernchor Dresden und Vokalensemble der Theodore Gouvy Gesellschaft e.V.).
Trotz des Zwiespalts zwischen musikalischer und szenischer Seite und der kleinen Einschränkungen übertraf der musikalische Gesamteindruck unter Thielemanns vortrefflicher Leitung und die Sänger-Leistungen der Protagonisten alles bisher in der Semperoper bei dieser Oper Dagewesene. Unter der Leitung ihres Chefdirigenten spielte die Kapelle, die ihm mit ihren Qualitäten bedingungslos folgte, traumwandlerisch sicher und klangschön mit allen Facetten und Nuancen, von gewaltigen Klangdimensionen, ohne dem Ohr wehzutun, bis zu einem, an die Schwelle zur verhauchenden Stille führendem, Pianissimo.
Ingrid Gerk