Dresden / Semperoper: DANIELE GATTI UND FRANK-PETER ZIMMERMANN IM „7. SYMPHONIEKONZERT“ DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – LIVE-AUFGENOMMEMEN UND ALS RADIOKONZERT GESENDET – 12.3.2021
Daniele Gatti ist ein gerngesehener Gast bei der Sächschen Staatskapelle. Foto: Staatskapelle
Nachdem alle Opernaufführungen sowie Konzerte und sonstige Aktivitäten der Sächsischen Staatskapelle Dresden an der Semperoper im Rahmen des Lockdowns ausnahmslos abgesagt und sogar alle Proben untersagt worden waren (warum eigentlich – andere Orchester haben doch in dieser Zeit auch unter Beachtung der entsprechenden Vorgaben gearbeitet?), gab es nun plötzlich doch einige Möglichkeiten für die Sächsische Staatskapelle Dresden, wieder aktiv und ihrem guten Ruf gerecht zu werden. Es konnte doch nicht sein, dass ein weltweit gefragtes Orchester plötzlich im internationalen Musikgeschehen, wo alle Orchester von Weltrang versuchen, ihr Publikum bei Laune und die internationale Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, ganz „vom Radar verschwindet“. Trotz strenger Lockdown-Maßnahmen gab und gibt es anderswo doch auch genügend Spielraum für Proben und Medien-Präsenz. Schließlich brauchen die Musiker ihr Publikum und das Publikum „sein“ Orchester.
Nach dem, erst ebenfalls abgesagten, dann wieder kurzfristig anberaumten „Gedenkkonzert zum 13. Februar“ als Rundfunkübertragung wurde nun auch das „7. Symphoniekonzert“ mit leicht reduziertem Programm am ersten Tag der drei ursprünglich vorgesehenen Aufführungen (5.3.) aufgenommen und eine Woche später (12.3.) als Rundfunkmitschnitt (MDR Kultur) gesendet, wodurch nicht nur die Verbindung zwischen der Kapelle und vielen Musikfreunden, die mit „ihrem“ Orchester leben und leiden, wieder hergestellt wurde, sondern außerdem eine große Anzahl von „Gelegenheitshörern“ teilnehmen konnte.
Der mit Spannung erwartete Dirigent war Daniele Gatti, der schon mehrfach am Pult der Sächsischen Staatskapelle stand, auch zu den Salzburger Osterfestspielen, in Dresden zuletzt im September 2019 in der Semperoper mit Mahlers „Sechster“. Er schätzt, wie er zu Beginn des Konzertes sagte, den Klang des Orchesters sehr und fühlt sich der Kapelle sehr verbunden. Jetzt kehrte er mit einem reinen Robert-Schumann-Programm nach Dresden zurück, bei dem dessen letzte Symphonie, die „Symphonie Nr. 3 Es‑Dur“ (op. 97), die „Rheinische“, und seine letzte große Komposition für Orchester überhaupt, sein „Konzert für Violine und Orchester d‑Moll“, aufgeführt wurden.
Das, 1853 von dem genialen Geiger Joseph Joachim angeregte, innerhalb von 14 Tagen fertiggestellte und ihm zugeeignete, „Violinkonzert“ ist jetzt relativ selten im Konzertsaal zu erleben, was aus verschiedenen Gründen resultieren mag. Von vielen seiner Zeitgenossen wurde es mit Schumanns psychischem Leiden und schließlich dem Aufenthalt in der Heilanstalt Endenich in Verbindung gebracht, wovon selbst bei sehr aufmerksamem Zuhören ganz und gar nichts zu spüren ist. Die späte Uraufführung nach 84 Jahren mit Georg Kulenkampff und den Berliner Philharmonikern unter Karl Böhm 1937 in Berlin (in einer bearbeiteten Fassung und fehlerhaften Druckausgabe) wurde von der nationalsozialistischen Propaganda als „deutsches Gegenstück“ für Mendelssohns berühmtes, in jeder Interpretation ansprechendes, Violinkonzert, das von den Konzertprogrammen gestrichen war, missbraucht.
Erst später wurde es öfter gespielt. Menuhin setzte sich 1937 in Amerika dafür ein, nach 1945 wurde es gelegentlich gespielt /(u. a. Siegfried Borries) und erst nach den 1970er Jahren setzte es sich langsam mit namhaften Solisten wie Isidor Lateiner, Ida Haendel, Walter Schneiderhan, Henryk Szeryng und anderen durch, aber auch jetzt ist nicht selten die Meinung „schwach“ und „Sorgenkind“ zu hören.
Insbesondere der letzte Satz birgt enorme spieltechnische Schwierigkeiten, weshalb es von den damaligen Zeitgenossen als „unspielbar“ abgewiesen wurde. Es entstehen aber immer wieder frappierende Klangwirkungen, die jedem virtuosen Geiger zu Bravour verhelfen können. Anders als Schumanns sonstige Werke, sein Klavierkonzert und sein Cellokonzert, die in logischem Aufbau dynamisch einem immanenten Höhepunkt zustreben, hat man hier den Eindruck, dass immer wieder geniale „Bilder“, „Szenen“ und Passagen aufeinanderfolgen, die jedoch die großen musikalischen Linien und Bögen vermissen lassen. Dadurch hängt sehr stark von der Interpretation ab, ob die Spannung bis zum Schluss erhalten bleibt oder scheinbar „Längen“ entstehen.
Gatti dirigierte dieses Violinkonzert zum ersten Mal und lotete es, wie es ihm eigen ist, bis in die Tiefe aus, von der Frank Peter Zimmermann, einer der renommiertesten und prädestiniertesten Violin-Virtuosen unserer Zeit und Capell-Virtuose der Staatskapelle 2018/2019, sprach und meinte, bei Schumann sei die Form oft fließend, aber durch seine Beschäftigung mit der Literatur, u. a. mit Jean Paul und anderen Schriftstellern der Romantik, die versuchten, in geistige Tiefen vorzudringen und in Abgründe hineinzublicken, der Inhalt tiefgreifend, was für viele seiner Kompositionen zutreffen mag, bei seinem Violinkonzert jedoch kaum nachzuvollziehen ist.
Zimmermann, dessen Repertoire von der Barockzeit bis in die Gegenwart reicht, meisterte in diesem nicht ganz problemlosen romantischen Violinkonzert, das er seit 20 Jahre spielt, die enormen spieltechnischen Schwierigkeiten mit scheinbarer Mühelosigkeit und brachte im Einklang mit dem, von Gatti sehr einfühlsam geführten Orchester, oft auch Schönklang hervor. Das Orchester zollte ihm herzlichen Beifall, die Zuhörer konnten nur an den Rundfunkgeräten mit einstimmen.
Wie Gatti betonte, liegt ihm das deutsche romantische Repertoire besonders. Die „Rheinische“, eine der beliebtesten und oft gespielten Symphonien, die wegen ihres hohen Bekanntheitsgrads bisweilen als „inoffizielle Hymne des Rheinlandes“ bezeichnet wird und in einer euphorischen Stimmung Schumanns nach dem Umzug von Dresden nach Düsseldorf entstand, inspiriert u. a. vom Eindruck des Kölner Domes (damals noch unvollendet), des Rheins usw., spiegelt, obwohl keine Programmmusik, in ihrem lebensfrohen Charakter die Stimmungen und Empfindungen eines Menschen, sein Verhältnis zur Natur wieder.
Obwohl die Symphonie mit ihren fünf Sätzen von der üblichen viersätzigen Form abweicht, wirkt sie nicht lang (Dauer: 35 min.), eher kurzweilig, besonders wenn sie so durchsichtig, spannungsreich und liebevoll, in heiterer Unbeschwertheit, musiziert wird wie bei Gatti. Hier wurden Schumanns Inspirationsquellen, die er ursprünglich über die Sätze geschrieben, dann jedoch vor Drucklegung wieder entfernt hatte, in oft lieblichen, aber auch energiegeladenen Klängen nachvollziehbar und erlebbar.
Sofort mit den ersten Takten des ersten, stark rhythmisierten Satzes mit seinem markanten, schwungvollen Hauptthema in unterschiedlichen Klangfarben war man gebannt. Im Kontrast dazu folgte der zweite Satz „Scherzo“ mit seinem eingängigen folkloristischen Thema, anders als „Scherzi“ sonst, in flottem Tempo, das in seiner ständigen Wiederkehr oft mit den Wogen des Rheins verglichen wird. Der ursprünglich als „Intermezzo“ bezeichnete dritte Satz bestach durch seine eigenwillige Klangfarbe. Der, selbst Clara Schumann rätselhaft erscheinende, vierte Satz, der oft mit dem rheinischen Katholizismus in Verbindung gebracht wird, erinnerte mit seinem choralartigen Thema an den überwältigenden Eindruck des Kölner Domes und die Vision einer „feierlichen Ceremonie“, wie ursprünglich überschrieben und später wieder gestrichen. Kontrastierend erschien dann der „lebhafte“ fünfte Satz wieder schwungvoll und betont heiter.
Schon oft gehört, erschien die „Rheinische“, die aufgrund ihrer Zugänglichkeit noch heute neben der „Frühlingssinfonie“ zu Schumanns beliebtesten sinfonischen Werken zählt, in dem seltenen Klangzauber, den Gatti mit der Kapelle hervorbrachte, in ihrer gelösten Heiterkeit und Leichtigkeit als ein seltener Glücksfall.
Ingrid Gerk