Dresden/Semperoper: CHRISTIAN THIELEMANNS ABSCHIED VON DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT DEM „12. SYMPHONIEKONZERT – 8.7.2024
Mit einem (hoffentlich nur vorläufig) letzten Paukenschlag, der dreimaligen Aufführung des „12. Symphoniekonzertes“ (7., 8., 9.7.) mit der „Symphonie Nr. 8 Es‑Dur“ von Gustav Mahler, der Symphonie der Tausend“, nahm Thielemann Abschied von „seiner“ Sächsischen Staatskapelle, die er seit 14 Jahren, 12 davon als Chefdirigent mit seiner künstlerischen Handschrift nachhaltig geprägt und vorangebracht hat. Er war bereits zwei Jahre vor seinem Amtsantritt de facto kommissarisch tätig. Unter seiner Ägide entstanden die meisten Tonaufnahmen, die neben den Konzerten und Tourneen zum Ruf des Orchesters nachhaltig beigetragen haben.
Die Wehmut des (unfreiwilligen, von einem Ministerium administrativ, nicht aus künstlerischer Sicht, angeordneten) Abschieds als Nicht-Verlängerung seines Vertrages(!) war wohl auf beiden Seiten. Er dankte bei der ersten Aufführung (7.7.) der Kapelle für die gute Zusammenarbeit, und sie machte ihm ihrerseits ein Geschenk und ernannte ihn zu ihrem dritten Ehrendirigenten im Bunde mit Herbert Blomstedt und Colin Davis. Ministerpräsident Michael Kretschmer gab in seiner (Dankes-)Rede seiner Hoffnung Ausdruck, dass Thielemann als Gast wiederkommt, und überreichte ihm als Geschenk des Freistaates Sachsen symbolisch einen Dirigentenstab aus Meißner Porzellan, der jedoch bei der zweiten (8.7.) und dritten Aufführung der „Achten“ nicht zum Einsatz kam.
Mahlers bedeutendstes Werk stand erstmals 1932, neun Monate vor der Vertreibung des Komponisten aus seinem Amt, dirigiert von Fritz Busch, auf dem Programm der Staatskapelle. Jetzt war es Thielemanns „Abschieds-Symphonie“. Den Beinamen „Symphonie der Tausend“ erhielt sie von den schon damals überwältigten Besuchern der Uraufführung 1910 in München mit 1030 Mitwirkenden (was vom Verlag übernommen wurde). Sie hat bis heute ihre Wirkung nicht verloren. Mahler spürte bereits während des Schaffensprozesses das Besondere dieser Symphonie und bezeichnete sie als sein „wichtigstes Werk“. Zu dem Pfingsthymnus mit dem Finale von „Faust II“ meinte er euphorisch: „Es ist das Größte, was ich gemacht habe. Denken Sie sich, dass das Universum zu tönen beginnt.“
Und es tönte lange, laut und intensiv im 1. Teil des Konzertes, in dem Mahler einen mittelalterlichen lateinischen Pfingsthymnus „Veni creator spiritus“ vertont hat und dessen musikalische Entwicklung fast durchgehend von den Chören und Solisten getragen wird, in diesem Fall vom Chor des Bayrischen Rundfunks und dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: André Kellinghaus), die massiv laut begannen und allmählich bis zum Pianissimo zurücknahmen, sowie dem „Chor“ aus hochkarätigen vier Solistinnen und drei Solisten, deren sehr unterschiedliche Timbres beim gemeinsamen Gesang trotz aller Bemühungen und engagiertem Einsatz aller nicht harmonieren wollten.
Zu der überbordenden Lautstärke trug wohl auch die Akustik des eingebauten Konzertzimmers bei, in dem Orchester und Chöre zwar Platz hatten, der Klang aber noch zusätzlich komprimiert wurde, so dass viele Details untergingen und Struktur und innerer Zusammenhang wie das „Accende-Motiv“ („Accende lumen sensibus …“ – „Entzünde das Licht in uns,…) als Verbindung der beiden inhaltlich gegensätzlichen Teile, als „Brücke zum 2. Teil mit dem „Faust“-Thema nur bedingt wahrzunehmen war.
Der 2. Teil ließ Raum und Zeit zur Entfaltung, für das monumentale Orchester aus Sächsischer Staatskapelle und Gustav Mahler Jugendorchester, das bereits mit der ersten und längsten rein instrumentalen Passage gemeinsam sein Können einsetzte und mit schönen Soli, zum Beispiel von der virtuosen Solo-Violine (Matthias Wollong), und solistischen Instrumenten oder Instrumentengruppen der Streicher, Holz- und Blechbläser aufwartete, und auch der Chor, insbesondere der Frauenchor, trat mit klangvollen Passagen in Erscheinung.
Für die Solisten, Camilla Nylund als Magna Peccatrix, Ricarda Merbeth mit auffälligem Vibrato, aber sicherer Gestaltung der Una Poenitentium, Štěpánka Pučálková als empfindsame, zu Herzen gehende Mulier Samaritana und Christa Mayer als Maria Aegyptiaca, beide mit geschmeidiger, klang- und ausdrucksvoller Stimme, die auch bei gemeinsamem Gesang gut harmonierte, David Butt Philip als Doctor Marianus, mit Vibrato, aber sicherer Stimmführung, Michael Volle als sehr gut gestaltender Pater Ecstaticus und Georg Zeppenfeld als Pater Profundis mit seiner sonoren ausdrucksstarken Bassstimme und sehr guter ausgeglichener Gestaltung. Hier waren die unterschiedlichen Timbres zwar auch auffällig, aber kein Problem.
Der sehr gut einstudierte gemischte Kinderchor der Semperoper (Claudia Sebastian-Bertsch) sang mit schöner Raumwirkung sehr überzeugend aus der Proszeniumsloge und dem ersten Rang. Aus der Höhe ertönte auch die unbeschreiblich schöne, samtweiche, strahlende Stimme mit dem außergewöhnlich schönen Timbre von Regula Mühlemann als Inkarnation der Mater Gloriosa. Sie wurde zum Glanz- und Höhepunkt der Aufführung, die mitreißend, triumphal und jubelnd endete.
Nach dem grandiosen Schluss verharrte Thielemann noch weiter in seiner letzten Position, um das Gehörte möglichst lange nachklingen zu lassen. Dann brach der Jubel des Publikums mit Standing Ovations los, um Thielemann zu feiern. Man kann nur hoffen, dass er der Sächsischen Staatskapelle als Gast weiterhin verbunden bleibt.
Ingrid Gerk