Dresden / Semperoper: CHRISTA MAYER ZUR KAMMERSÄNGERIN ERNANNT – IM RAHMEN IHRES LIEDERABENDS – 26.2.2020
Die Verleihung des Ehrentitels „Kammersängerin des Freistaates Sachsen“ an Christa Mayer war eine überfällige Entscheidung, denn die sympathische, mehrfach ausgezeichnete Mezzosopranistin, die seit 2001 dem Ensemble der Semperoper angehört, macht in aller Welt von Bayreuth bis Tokio in Oper und Konzert nachdrücklich auf sich aufmerksam. Die internationale Musikwelt kennt und schätzt sie. Dem Haus ist sie eng verbunden und treu geblieben. Nächstes Jahr kann sie ein Jubiläum feiern. Dann gehört sie 20 Jahre zum Ensemble der Semperoper, wo sie sich allgemeiner Beliebtheit erfreut, offen ist für neue Konzepte und Sichtweisen und ein Vorbild für die jungen Sängerinnen und Sänger ist.
An die Semperoper führte sie ihr erstes Engagement direkt nach dem Studium, in dem Jahr, als sie ihr Gesangsstudium an der Bayerischen Singakademie und der Musikhochschule in München abschloss. Es wurde für sie „das Tor in die Welt und wieder zurück“ wie sie sagt. Sie fühlt sich hier sehr wohl, denn „die Sächsische Staatskapelle trägt die Sänger und die Akustik des Hauses tut ein Übriges in schwierigen Situationen“. Sie selbst ist „ein Muster“ an Zuverlässigkeit und Einsatzfreude. Ihr außerordentliches Talent und ihre Ausstrahlungskraft, ihre darstellerische Wandlungsfähigkeit und Eindringlichkeit machen sie zur Ausnahmekünstlerin, ihre schlichte Zurückhaltung, Freundlichkeit und Wohlwollen allen gegenüber zum Star ohne Star-Allüren.
Sie pflegt und nutzt ihre schöne, klang- und kraftvolle, ausdrucksstarke Stimme mit samtenem Timbre und „Durchschlagskraft“ als perfektes „Handwerk“, beherrscht sie vom Fortissimo bis zum verwehenden Pianissimo in gleitender Phrasierung, erschloss sich das Messa di voce neu und setzt sie Instrument intensiver, glaubwürdiger Gestaltung ein. Sie reflektiert ihre Rollen, bewahrt sich aber auch ihre Authentizität in ihrer klugen, besonnenen Art.
Für die Opernbühne hat sich die Künstlerin ein umfangreiches Repertoire großer Partien in ihrem Stimmfach erarbeitet, das gesanglich die Opernliteratur von Barockoper bis zum zeitgenössischen Musiktheater abbildet. Mit ihrem großen künstlerischen Potential war und ist sie in zahlreichen Rollen zu erleben, in der aktuellen Spielzeit als überzeugende Magdalena in Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ und demnächst u. a. als Suzuki in der Neuproduktion von „Madame Butterfly“ (Pr. 26.4. 2020).
Die Verleihung des Ehrentitels „für ihre exzellenten künstlerischen Leistungen und außergewöhnliche Persönlichkeit“ nach den würdigenden Reden der Kulturministerin Barbara Klebsch und des Intendanten der Semperoper Peter Theiler sowie der Überreichung der Verleihungsurkunde wurde von ihr nicht ohne Rührung und vom Publikum, das ihre Freude über den Ehrentitel teilt, mit Jubel aufgenommen. Bei ihrer humorvollen Dankesrede kam ihr sympathisches, liebenswürdiges Wesen zum Ausdruck, und sie drückte ihren Dank auch musikalisch mit den Worten aus, die nicht besser gewählt sein konnten: „Ja, du weißt es, liebe Seele … – habe Dank“ („Zueignung“) von Richard Strauss.
Doch da wären wir schon am Schluss des Liederabends, dem einzigen in diesem Jahr. Liederabende haben es gegenwärtig hierzulande schwer. Einst bei Publikum und Kritik sehr beliebt, geben sie doch unmittelbar Auskunft über das besondere Können eines Künstlers, der – wie es Peter Schreier einmal formulierte – „nackt und bloß“, d. h. völlig auf sich allein gestellt und nur vom Pianisten unterstützt, auf der Bühne steht. Da zählt ausschließlich sein Können. Die Musikliebhaber schätzen deshalb diese intimste Form des Gesanges sehr und möchten nicht darauf verzichten. Christa Mayer hofft, dass es trotzdem weitergeht mit den Liederabenden, denn es hat an der Semperoper schon großartige Liederabende mit bedeutenden Sängerinnen und Sängern gegeben, zuletzt (vor einigen Jahren) mit Georg Zeppenfeld und nach einer längeren Pause mit Michael Volle und Anja Harteros.
Neben den großen Opernpartien versteht Christa Mayer auch die feinere Art des kultivierten Liedgesanges. In ihrer unprätentiösen Art, elegant gekleidet, aber schlicht und natürlich, betrat die vielseitige Künstlerin die Bühne und freute sich ehrlich über den überschwänglichen und aufrichtigen Begrüßungs-Applaus, mit ihr Helmut Deutsch, der „gefragteste und international erfolgreichste Liedbegleiter der Welt“. Es zeugt von hoher Wertschätzung, wenn der einstige Professor und international renommierte Liedbegleiter seine ehemalige Schülerin am Flügel begleitet. Sie verdankt ihm viel, kann sich voll und ganz auf seine hochsensible Begleitung am Klavier verlassen. Zwischen beiden besteht ein enges Vertrauensverhältnis in intensivem Zusammenwirken. Er folgt ihren Intentionen, legt einen Klangteppich unter ihren Gesang, reagiert auf ihre Intentionen, unterstreicht und begleitet sie, so dass sie sich voll und ganz auf die Gestaltung der Lieder konzentrieren und jedes in seiner Spezifik gestalten kann (was allgemein leider immer seltener wird). Eine andere Wertschätzung erfuhr sie von Christian Thielemann, dem sie ebenfalls viel verdankt und der im Publikum saß.
Lieder hat sie schon immer gern gesungen, besonders das französische Lied, das sie schon während ihres Studiums und zu Wettbewerben wählte. Mit ihrer warmen, samtenen Stimme eröffnete sie den Reigen von Liedern des 19. und 20. Jahrhunderts mit den „Zigeunermelodien“ (op. 55) von Antonín Dvořák nach Texten des tschechischen Dichters Adolf Heyduk, der sie selbst für den aus Böhmen stammenden, in Wien wirkenden Tenor Gustav Walter ins Deutsche übersetzte. Bei ihr geht kein Ton und kein Wort verloren. In einer breiten Palette von Ausdrucksmöglichkeiten und Klangfarben von den feinfühligen Passagen bis zum kraftvollen Fortissimo am Schluss beherrschte sie die breite Skala an Ausdrucksmöglichkeiten und setzte sie für die Gestaltung der Lieder ein, wobei nichts aufgesetzt wirkte, sondern natürlich und folgerichtig, wie selbstverständlich. Das eben ist die große Kunst, die schwer zu machen ist.
Wann hört man schon einmal Lieder von Franz Liszt? Interessant war die „etwas andere“, von Liszt ganz anders als man sie kennt vertonte, „Loreley“ nach dem Gedicht von Heinrich Heine, und zwei Lieder nach den französischen Texten von Victor Hugo, die sie sehr kultiviert vortrug. Selbst das viel strapazierte „Es muss was Wunderbares sein“ erfuhr man bei ihr wieder neu. „Die drei Zigeuner“ nach Nikolaus Lenau schlossen schließlich den Kreis zu Dvořáks „Zigeunermelodien“.
In eine ganz andere Gedankenwelt führten fünf oft gehörte und weniger bekannte, fröhliche und traurige Lieder von Gustav Mahler auch stilistisch: das dahinperlende „Rheinlegendchen“, das romantisch traurige „Nicht wiedersehen“, das humoristische „Wer hat dies Liedlein erdacht“, das unromantische Soldatenlied “Aus! Aus!“ und „Das irdische Leben“ (“Mutter, ach Mutter, es hungert mich“) mit seiner düsteren Grundstimmung, bei dem ein abschließender, bewusst gedehnter (Miss-) Klang am Klavier die Ergriffenheit noch steigerte und nachwirkend ausklingen ließ. Christa Mayer scheint alle stimmlichen und gestalterischen Elemente parat zu haben und singt sehr diszipliniert, und sehr diszipliniert war auch das Publikum. Es lauschte „mucksmäuschenstill“.
Ein Novum für das Dresdner Publikum bedeuteten die fünf „Cinco Canciones Negras“ („Fünf schwarze Lieder“) des vielseitigen katalanischen Komponisten Xavier Montsalvatge (1912 -2002), studierter Geiger und Musikkritiker, der großen Einfluss auf die Entwicklung der Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte, bisher jedoch im deutschen Sprachraum kaum bekannt ist. Bei den von Rhythmus und Themen der Musik der karibischen Antillen–Inseln inspirierten, 1945 veröffentlichten, Liedern ließ sie ihr Temperament spielen, mal ernsthaft, mal kapriziös. Hier konnte sie ihre vielseitigen stimmlichen und gestalterischen Fähigkeiten einsetzen, hatte sie Gelegenheit für besondere stimmliche Feinheiten und manche „Extras“ und die Entfaltung von exotischem Temperament und Flair, wie alles bei ihr, in sinnvollen und ganz dem Werk angemessenen Bahnen.
Die gewöhnungsbedürftige Harmonik mit ihren scheinbaren Diskrepanzen, bei denen die Begleitstimme am Klavier mehr als synkopenhaft hinterher zu hinken und eigene Wege zu gehen scheint, verstanden beide, Sängerin und Pianist gut in Einklang zu bringen. Letzterer bedeutete mit einem gekonnten, immer publikumswirksamen Glissando den Schluss dieses sehr beeindruckenden Liederabends an, dem noch eine liebevolle Zugabe vor der Titelverleihung mit „Der Mond steht über dem Berge“ („Ständchen“ op. 6 Nr. 1) von Johannes Brahms folgte.
Ingrid Gerk