Dresden / Semperoper: „CAVALLERIA RUSTICANA”/”PAGLIACCI“ – EINE KOPRODUKTION MIT DEN OSTERFESTSPIELEN SALZBURG – 19.1.2016 Premiere 16.1.2016.
Bühnenbild. Copyright: Daniel Koch
Als Koproduktion mit den Salzburger Osterfestspielen 2015 hatten jetzt der Einakter „Cavalleria rusticana“, 1890 in Rom, und die zweiaktige Oper „Paglacci“, 1892 in Mailand uraufgeführt, an der Semperoper Premiere (16.1.2016), wie nach einer gemeinsamen Aufführung 1893 in New York zum internationalen Standard geworden, an einem Abend. Dafür wurden Inszenierung und Bühnenbild von Philipp Stölzl in leicht veränderter Fassung von Salzburg übernommen und in anderer Besetzung gespielt.
Die Salzburger Simultanbühne mit 6 Satzkästen, in 2 Ebenen übereinander angeordnet, als separate kleine „Guckkasten-Bühnen“ mit eigenem Vorhang und mit wenigen, gut charakterisierenden Ausstattungs-Mitteln, oft in impressionistisch-realistischem Stil, wurde für Dresden als Fassung mit 4 „Guckkästen“ in tristem „Kreuzrahmen“, der wie ein Ausschnitt aus dem „eisernen Vorhang“ der Semperoper wirkt, angepasst und damit z. T. auch komprimiert, da die Bühne des Salzburger Festspielhauses breiter und die der Semperoper höher ist, was aber den Besuchern, die nicht auch eine der Salzburger Aufführungen gesehen haben, nicht auffallen dürfte. Nur der relativ große Chor wirkt in den Massenszenen mitunter gedrängt.
Man ist, was Inszenierungen und Bühnenbilder betrifft, allgemein nicht mehr verwöhnt. Stölzl, der Spielfilme, Werbespots, Musikvideos und Opern inszeniert, verwendet viele bekannte Gestaltungselemente (auch die Satzkästen sind nicht neu), aber er hat sie experimentierfreudig neu „gemischt“ und zu einem Ganzen zusammengefügt, das eine akzeptable Bühnenlösung bietet, in der die Handlung „comicartig“ schnörkellos abläuft.
In beiden Opern werden aussagekräftige Details als Video eingeblendet, mitunter parallel zur “Live“-Handlung noch einmal 1:1 (wozu eigentlich?). Sinnvoller sind die „Bilder“ mit „Zoom“, um ausdrucksstarke Details durch eine vergrößerte Projektion zwingend hervorzuheben, wie die im Widerspruch zur Gemütsverfassung stehende Schminkszene des Canio, bei der die Mimik höchstens durchs Opernglas zu sehen wäre.
Die Handlung findet mal auf der einen, mal auf der anderen „Minibühne“ statt, im 1. Teil („Cavalleria rusticana“) nacheinander und in schwarz-weiß-Bildern, wodurch die kontrastreiche Handlung stärker polarisiert wird. Beim 2. Teil („Pagliacci“) läuft die Handlung oft parallel und in Farbe ab, mitunter sogar ähnlich einem Gemälde von Franz Marc, wobei die Sänger in weiteren Neben- und Hintergrundhandlungen und stummen Szenen agieren und auch von einer Szene in die andere wandern können. Die Handlung wird dadurch um weitere Details „bereichert“ und für Abwechslung auf der Bühne gesorgt, aber auch eine „simultane“ Aufmerksamkeit vom Publikum gefordert, das auch noch die Übertitel lesen möchte (oder sollte), und von den ursprünglichen Haupt-Handlungsabläufen und erst recht von den seelischen Konflikten der handelnden Personen schnell abgelenkt wird.
Das eigentliche Verständnis der jungen Opernszene, die sich seinerzeit von der Künstlichkeit der bis dahin üblichen Musik und Libretti zwischen Wagner und Verdi abkehren und stattdessen mit einem neuen, (später) als Verismo bezeichneten, Opernstil, zu dem sich auch Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo bekannten, Menschen von Fleisch und Blut mit realistischer Musiksprache und volkstümlicher Melodik auf die Bühne bringen wollte, kann leicht in neuer, wenn auch anderer „Künstlichkeit“ erstarren.
Stölzl wollte aus dem „Netz von Sehnsucht und Betrug eine Bühnenlösung schaffen, in der es möglich ist, simultan immer auch die Figuren weitererzählen zu lassen, die gerade nicht ihre Szene haben“. Damit kommen „Haupthandlung“ und seelische Konflikte der Protagonisten im Wesentlichen nur noch in der Musik und in gutem Gesang zum Tragen. Zu dem, was Komponist und Librettist beabsichtigten, wird der Zugang erschwert. Man erkennt vor allem, inwiefern der Inszenierende die Handlung (von der Musik ganz zu schweigen) verstanden hat.
Warum als besonderes Detail Santuzzas Kind, schon geboren und auch schon um einiges gewachsen, zusätzlich eingeführt wird, um die Verbindung mit Turridu noch deutlicher und brisanter werden zu lassen, erscheint nicht zwingend notwendig, obwohl Kinder auf der Bühne für manche Besucher immer etwas Berührendes haben.
Gewalt darf natürlich auch hier nicht fehlen. Sie richtet sich gegen einen offenbar gemobbten Kollegen (aus dem Chor), den der Kutscher Alfio, seine Arie singend, aus Frust sinnlos drangsaliert, und auch die Mafiosi kommen zu ihrem „Recht“, indem sie Mamma Lucia beim Geldzählen „beschützen“. Es gibt so manche verfremdende Details wie die Bierflaschen, wenn von einem Becher Wein „die Rede ist“, die notfalls in ihrer Bauchigkeit als kleine Weinflaschen durchgehen könnten, usw.
Die handelnden Personen sind hier keine Bauern, sondern (Klein-)Städter. Die Verlegung der Handlung von „Cavalleria rusticana“ aus der Atmosphäre eines sizilianischen Bauerndorfes in die Nüchternheit einer von Industrie geprägten Stadt nimmt viel von der Brisanz der bäuerlichen Mentalität in der geistigen Enge der Dörfer, aus der in der Vergangenheit unüberlegte, ekstatische Handlungen bis zum Mord resultierten. Die Handlung von „Pagliacci“ entwickelt sich hier aus einem tristen (klein-)städtischen Jahrmarkt und wird als sich zuspitzender Konflikt einer Commedia dell’arte-Truppe abgehandelt, was den Betrachter weniger berührt. Die Orientierung der Kostüme von Ursula Kudrna auf einen ewig gestrigen Stil tun ein Übriges.
Tichina Vaughn muss als Mama Lucia wie eine, in fast adligem Stolz und Kontenance erstarrte Frau in wenig passender, „altväterischer“ Tracht am Stock über die Bühne staksen und keine Spur von Gefühl, Rührung oder Mütterlichkeit einer Bauersfrau zeigen, was bei ihr noch unterstrichen wird durch eine harte, spröde Stimme ohne Seele und ein ähnliches Spiel. Als Lola macht Christina Bock mit Petticaot auch nicht gerade einen verführerischen Eindruck.
Während in Salzburg Jonas Kaufmann als Turridu und als Canio ein zweifaches Rollen-Debüt lieferte, folgte man in Dresden dem ursprünglichen Plan, für die beiden Opern zwei Tenöre zu engagieren: Teodor Ilincai, der seiner Rolle als Torridu in schöner Weise gerecht wurde und Vladimir Galouzine, der mit voller, wohlklingender und sehr ausdrucksstarker Stimme dem Seelenschmerz des Canio Ausdruck verlieh. Eine Doppelrolle hatte Sergey Murzaev zu singen, wenn auch nicht in dem Umfang wie Kaufmann, sondern als Alfio und Tonio, die er beide mit Leben erfüllte.
Aus der allgemein guten Sängerbesetzung mit Veronica Cangemi als Nedda, Aaron Pegram als Beppe und Mario Cassi als Silvio (für den erkrankten Christoph Pohl) waren es zwei Solisten, die an diesem Abend in besonderer Weise herausragten und berührten: Vladimir Galouzine und Sonia Ganassi, die als Santuzza in sehr beeindruckender Weise ihrer Rolle gerecht wurde, und mit großer Emotionalität sich auch gegen die oft lautstarke „Emotionalität“ des Orchesters durchsetzen konnte. In ihrer Stimme und gesanglichen Gestaltung lag eine große Ausdruckskraft.
Die Sächsische Staatskapelle Dresden begann unter der musikalischen Leitung von Stefano Ranzani mit äußerster Feinheit, durchdrungen von den verletzlichen Gefühlen der Protagonisten, aber nicht sehr lange, da ließ Ranzani die Lautstärke gewaltig ansteigen, um die starken Gefühle noch stärker hervorzukehren, was während der gesamten Aufführung noch oft vorkam, vor allem in Passagen ohne Gesang. In manchen Situationen wäre da allerdings etwas weniger sogar noch mehr gewesen. Abgesehen von einigen übermäßigen Forte-Passagen konnte die Staatskapelle mit ihren Mitteln viel gefühlsmäßigen Ausdruck einbringen, um die Handlung nicht nur zu untermalen, sondern das Publikum an den starken Gefühlen, die die Musik ausdrückt, teilhaben zu lassen – bis zu dem gewaltigen „Aufschrei“ im Orchester, mit dem der Abend endete und den Worten des Canio „AUS!“.
Der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen und der Sinfoniechor Dresden sowie der Kinderchor der Sächsischen Staatsoper Dresden (Einstudierung: Claudia Sebastian-Bertsch) trugen mit zu einer eindrucksvollen Aufführung bei.
Ingrid Gerk