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DRESDEN/ Semperoper: CAPRICCIO mit Renée Fleming

20.11.2014 | Oper

Dresden / Semperoper: RICHARD-STRAUSS-TAGE: RENÉE FLEMING UND DANIELA SINDRAM IN „CAPRICCIO“ – 19.11.2014

Unbenannt 
Foto: Semperoper Dresden

Gleich mehrere Stars lockten während der Dresdner Richard-Strauss-Tage das Publikum überaus zahlreich und mit großen Erwartungen in die Semperoper zu 2 Aufführungen von „Capriccio“ (16. und 19.11.). Der Abend am 19.11. begann zwar mit einer Ansage wegen Absage, aber die Aufführung wurde trotzdem ein großer Erfolg.

 Christoph Pohl war kurzfristig an Grippe erkrankt und konnte den Grafen nicht singen. Als „Notlösung“ wurde Dietrich Henschel aus Wien eingeflogen, der, dunkel gekleidet, mit Notenpult in der rechten Rampenecke die Partie sang und vom Spielleiter auf der Bühne gedoubelt wurde. Das störte keineswegs. Henschel sang, ungeachtet der schwierigen Situation, sehr gut und der Spielleiter agierte synchron, so dass man durch diese Diskrepanz kaum irritiert wurde. Die „Schattengestalt“ an der Rampenecke wirkte eher noch weiter belebend auf das freundliche, graziöse Bühnenbild von Marco Arturo Marelli und machte – flüchtig betrachtet – den Eindruck einer kommentierenden Person. Durch die gekonnte, gut abgestimmte Umsetzung der beiden Akteure erwies sich diese Lösung als ausgesprochen gut. Sie beeinträchtige die Aufführung kaum.

 Marellis ansprechende Inszenierung stammt aus dem Jahre 1993 und drückt in ihrer grazilen Art und dezenten Farbigkeit bewusst die von Richard Strauss und seinen Librettisten beabsichtigte „ästhetische Opposition“ gegen Krieg und Ungeist der Entstehungszeit dieses „Konversationsstückes für Musik“ aus (Uraufführung im Krieg: 1942). Sie wirkt noch immer sehr ansprechend und keineswegs antiquiert. Zusammen mit den Kostümen von Dagmar Niefind-Marelli, bei denen vor allem die beiden großen Roben der Gräfin gekonnt gestaltet sind, unterstreicht sie dieses Anliegen. Nur der zerbrochene Spiegel an der Wand deutet auf das unmenschliche, grausame Umfeld hin.

 Mit Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden war bereits ein großer Opernabend vorprogrammiert. Vom ersten Takt an spielte die Kapelle Strauss’ Musik in ausgesprochener Klangschönheit wie sie nicht schöner und zarter gespielt werden könnte. Dazu hob sich langsam, sehr langsam der große Schmuckvorhang und dann der anschließend sichtbare rote Samtvorhang konform mit der Musik in eben dieser Langsamkeit und mit viel Stilgefühl. Das scheinen Kleinigkeiten zu sein, die derzeitig oft genug vernachlässigt werden, aber sie tragen nicht unwesentlich zu einem eindrucksvollen Opernabend mit bei.

 Dieser Feinheit entsprach Renée Flemings edler Gesang und anmutige Darstellung als nachdenkliche und auch ein wenig kokette Gräfin, die in „kritischen“ Situationen auch mit Dramatik aufwarten konnte. Dass man kaum ein Wort verstand, bedeutete in diesem Fall wenig. Hier hatte der schöne Klang den Vorrang, und es gab außerdem deutsche Übertitel. Immer edel, zart besaitet, sensibel, fast zerbrechlich trat sie als angebetete, beinahe unwirkliche Symbolgestalt, die den Streit zwischen Wort und Musik entscheiden soll, im entscheidenden Moment auf, zunächst zurückhaltend, sich dann steigernd bis zu ihrer großen Schlussszene, bei der ihre Stimme mit den schwelgerischen Melodien des Orchesters harmonisch ineinanderfloss, bis am Ende der Haushofmeister (Bernd Zettisch) mit den dezenten Worten „ Frau Gräfin, das Suppé ist serviert …“ auf den Boden der Realität zurückführte und den Vorhang leise zur Musik zuzog – aber so weit sind wir noch nicht.

 Als Kontrast zur Gräfin brachte Daniela Sindram als „Gegenspielerin“ Clairon, die eher „irdische“ Schauspielerin, eine Glanzleistung ganz anderer Art auf die Bühne. Sie erfüllte die Rolle mit Leben und herrlicher Stimme, nicht ohne eine versteckte Ironie, aber alles immer auf höchstem Niveau. Sie belebte die Handlung mit ihrer flexiblen, immer der Rolle angemessenen Sing- und Sprechstimme und köstlicher, lebhafter Darstellung.

 Georg Zeppenfeld verlieh dem Theaterdirektor La Roche mit seiner großartigen Stimme und darstellerischen Persönlichkeit Profil. Mit guter Artikulation verteidigte er in seinem großen Auftritt die hehre, traditionsreiche Theaterkunst, die der nachfolgenden Generation abhanden zu kommen scheint.

In turbulenten Szenen mit aufgeregtem Disput unter den Beteiligten gab es nie „Chaos“. Es war immer alles sehr gut abgestimmt. Olivier, ein Dichter alias Adrian Eröd und Flamand, ein Musiker alias Steve Davislim disputierten zu Beginn mit viel gespieltem Pathos, wie es der Handlung entspricht. Davislims ansprechender Gesang gipfelte im sanften, sehr harmonischen Duett mit der Gräfin und großer Harmonie mit dem Orchester. Seine Arie wirkte gewinnend und unmittelbar. Sein Sinn für Humor ließ kleine Übertreibungen zu, aber auch er wahrte immer das Niveau.

Manuel Nunez Camelino war als italienischer Tenor für Mert Süngü eingesprungen und schien stimmlich mit dieser Rolle etwas überfordert, machte aber aus der Not eine Tugend und verwandelte die Rolle in eine simple, humorvolle Karikatur auf einen fiktiven brillierenden Tenor, den er mit entsprechendem Spiel lächerlich machte. Am Schluss seiner „Arie“ ließ er sich „erschöpft“ und lautstark in die Kissen fallen, was viel Heiterkeit im Publikum auslöste. Ob allerdings Strauss die Rolle so gesehen hat, sei dahingestellt. Dann hätte er sie wahrscheinlich anders komponiert. Ganz anders und glaubwürdig erfüllte hingegen Christina Poulitsi ihre Rolle als italienische Sängerin.

Als zierliche, leichtfüßige junge Tänzerin verkörperte Megan Wilcox, Elevin des Semperoper Balletts, sich auch selbst, jung, sehr talentiert, anmutig und grazil.

 Die „Acht Diener“ vom Sächsischen Staatsopernchor, verfügten nicht über die schönsten Stimmen, sangen aber unüberhörbar und gut artikuliert und agierten entsprechend koordiniert auf ihren Positionen.

 Johannes Preißinger gestaltete (anstelle von Tom Martinsen) als Monsieur Taupe, den vergessenen Souffleur. Beim Schlussapplaus vergaß Thielemann die verdienstvolle „echte“ Souffleuse (Gabriele Auenmüller) nicht. Schließlich versieht sie ihre Funktion sehr gewissenhaft und schläft nie ein wie Monsieur Taupe. Er applaudierte auch mehrmals der Sächsischen Staatskapelle, die seinen Intentionen in allen Details folgte. Herrlich, wie doch das Orchester allein die „Mondscheinmusik“ ganz aus sich heraus gestaltete und so filigran ausklingen ließ! Das war ein musikalischer Genuss besonderer Art. Und nicht zu vergessen die perfekte und überaus ansprechende Bühnenmusik mit bewährten und sehr einfühlsamen Musikern (Jörg Faßmann, Violine, Martin Jungnickel, Violoncello und Jobst Schneiderrat, Cembalo)

 Schöner könnte wohl kaum eine Debatte über Musik, Text, Literatur und Liebe auf der Opernbühne geführt werden. Die gesamte Aufführung war, einschließlich Inszenierung, ein sehr eindrucksvolles, ästhetisches Erlebnis. Es war einer jener großen Opernabende, die immer seltener werden. Dass durch Thielemann in der Zeit, in der er an der Semperoper als Chefdirigent wirkt, alle, die von ihm dirigierten Opernaufführungen zu „Sternstunden“ wurden, lässt für die Zukunft des Hauses sehr viel hoffen.

 Ingrid Gerk

 

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