Premiere: „Capriccio“ von Richard Strauss am 22.5.2021 in der Semperoper/DRESDEN
Emotional und berührend
Die Inszenierung von Jens-Daniel Herzog (Bühnenbild: Mathis Neidhardt; Kostüme: Sibylle Gädecke) lässt die Handlung dieses „Konversationsstücks für Musik“ zwischen Rokoko-Zeit und Gegenwart geschickt hin- und herpendeln. Das Rokokoschloss in der Nähe von Paris zur Zeit Glucks bleibt hier spürbar. Trotz kleinerer szenischer Abstriche bleibt das Gesamtkonzept überzeugend. Stürmisch werben der Dichter Olivier und der Komponist Flamand um die Gunst der jungen Gräfin Madeleine. Sie wollen bei ihrer bevorstehenden Geburtstagsfeier auch neue Werke präsentieren. Der Regisseur La Roche zeigt dabei zudem ein kleines Huldigungsfestspiel. Lebhaft diskutiert man dabei die Frage, ob der Text oder die Musik wichtiger für das Gelingen dieser Oper seien. Auf einer drehbaren Bühne kommt es zu zahlreichen szenischen Verwandlungen, neue Räume öffnen sich, andere schließen sich. Die verwirrte Gräfin soll schließlich ein Urteil fällen, aber sie kann sich nicht zwischen den beiden Verehrern entscheiden. Auch Wort und Musik kann sie hier eigentlich nicht voneinander trennen. „Soll ich dieses Gewebe zerreissen? Bin ich nicht in ihm selbst schon verschlungen? Wählst du den einen – verlierst du den andern!“ Die Frage bleibt offen, ob die junge Gräfin zwischen den beiden Feuern verbrennen will. Sie hat die „Capriccio“-Partitur in den Händen, die sie zuvor schon eifrig einstudierte. Mit der alten Gräfin tauscht sie sich zuletzt intensiv aus. Da besteht zwischen den beiden Frauen eine geheimnisvolle Verbindung, die diese Inszenierung subtil auskostet. Auch die erotischen Komponenten der insgesamt doch recht verwickelten Handlung werden durch raffinierte choreografische Einlagen nuancenreich ausgekostet. Dies steigert nur die große emotionale Verwirrung des Dichters und des Komponisten.
Christian Thielemann gelingt es mit der Sächsischen Staatskapelle vortrefflich, die klangliche Durchsichtigkeit und kontrapunktische Meisterschaft dieses Alterswerkes zu beschwören. Der musikalische Komödienton wird auch von den Sängerinnen und Sängern in ausgezeichneter Weise ausgekostet. Themenverarbeitungen und Motive blitzen hier immer wieder in reizvoller Weise hervor. Neben den genüsslich ausgekosteten Parlando-Effekten stechen außerdem die satirischen Momente beim explosiv gestalteten Streit- und Lachoktett heraus. Die pathetische Ansprache des Theaterdirektors wirkt hier aber keineswegs überzeichnet. Auch die parodistische Dienerszene gelingt sehr gut. Der skurrile Monsieur Taupe hat einen unheimlichen Auftritt. Beim Orchesterzwischenspiel der „Mondnacht“ blüht die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung von Christian Thielemann noch einmal leidenschaftlich auf, alle Themen und Motive dieser klangmächtigen Partitur scheinen in meisterhafter Weise emporzusprießen. Die kunstvolle Verschlingung der Klangflächen weckt stellenweise außerdem Assoziationen zu „Ariadne auf Naxos“ und „Daphne“, wobei selbst die buffonesken Züge nicht vernachlässigt werden. Die melodische Inspirationskraft dieser Musik ist unter der Leitung von Christian Thielemann in den besten Händen. Diese emotional stark berührenden Momente übertragen sich auch auf die Sänger – allen voran Camilla Nylund (Sopran) als mit weitausgreifenden Kantilenen agierende Gräfin, die ihrem gräflichen Bruder (facettenreich: Christoph Pohl, Bariton) oftmals Paroli bietet. Überhaupt wird bei dieser durchaus suggestiven Inszenierung auf eine plausible Personenführung großen Wert gelegt. Auch Daniel Behle als Musiker Flamand und Nikolay Borchev als Dichter Olivier bieten interessante Rollenporträts. Georg Zeppenfeld mimt einen stellenweise doch recht aufgebrachten Theaterdirektor La Roche, Christa Mayer stellt die Schauspielerin Clairon mit gewitzter Nonchalance dar.
In weiteren Rollen überzeugen ferner Wolfgang Ablinger Sperrhacke als Monsieur Taupe, Tuuli Takala als italienische Sängerin, Beomjin Kim als italienischer Tenor und Torben Jürgens als Haushofmeister. Hinzu kommen die acht Diener Frank Blümel, Friedrich Darge, Alexander Födisch, Torsten Schäpan, Norbert Klesse, Thomas Müller, Juan Carlos Navarro und Jörg Reißmann, die das Geschehen mit temperamentvoller Ironie auffrischen. Die drei Musiker Jörg Faßmann (Violine), Tom Höhnerbach (Violoncello) sowie Jobst Schneiderat (Cembalo) wecken Assozitationen zum Rokoko-Zeitalter. Malwina Stepien als Tänzerin sorgt in der einfallsreichen Choreografie von Michael Schmieder und Ramses Sigl für szenischen Abwechslungsreichtum. Hinzu kommt noch das abwechslungsreich agierende Tanzensemble mit Juliane Bauer, Iryna Midzyanovska, Mascha Schellong, Eugen Boos, Björn Helget, Arthur Troitsky und Frederick Zabel. Jana Mesgarha porträtiert die alte Gräfin mit bewegenden Gesten. Auch der von Andre Kellinghaus sorgfältig einstudierte Chor der Herren des Sächsischen Staatsopernchores trägt zum Gelingen der Aufführung bei. Dieses im Jahre 1942 im Nationaltheater München uraufgeführte Alterswerk hinterlässt tatsächlich viele Fragen. Richard Strauss ist es jedoch gelungen, dem „Rosenkavalier“ hier ein berührendes Nachspiel folgen zu lassen. Dies macht Camilla Nylund als zwischen Gefühlen hin- und hergerissene Gräfin zuletzt sehr gut deutlich.
Alexander Walther