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DRESDEN/ Semperoper: „BENVENUTO CELLINI“ VON HECTOR BERLIOZ IN EINER NEUINSZENIERUNG VERWIRRENDER VIELFALT

06.07.2024 | Oper international

Dresden/Semperoper:  „BENVENUTO CELLINI“ VON HECTOR BERLIOZ IN EINER NEUINSZENIERUNG VERWIRRENDER VIELFALT – 5.7.2024

Hector Berlioz’ erstes, 1838 in Paris uraufgeführtes Opernwerk, die Opéra comique „Benvenuto Cellini“, hatte in Dresden zuletzt vor knapp 100 Jahren (1929) Premiere. Jetzt kam sie in der Weimarer Fassung (von Franz Liszt 1852 zwecks Wiederaufführung von vier Bildern auf drei Akte gestrafft) wieder auf die Bühne der Semperoper (Pr.: 29.6.2024).

Außer Berlioz regte das außergewöhnlich bewegte Leben des florentinischen Künstlers Benvenuto Cellini (1500-1571), basierend auf seiner skandalträchtigen Autobiografie, auch mehrere Komponisten (Franz Lachner, Camille Saint-Saëns) und Dramatiker (Alexandre Dumas, Paul Meurice) sowie Filmemacher an. Kurt Weill komponierte eine Operette nach Legenden aus dem Leben dieses Künstlers, der als Erfolg besessen, eitel und streitsüchtig galt und in seinen Memoiren drei Morde eingestand, ein typischer Vertreter und Künstler der Renaissance, einer Epoche des Aufbruchs, wo nach der einengenden Zeit des Mittelalters plötzlich alles möglich schien und auszutesten reizte, wo viele Künstler danach strebten, das Höchstmögliche zu vollbringen, sich durchzusetzen und außergewöhnliche Kunstwerke von Ewigkeitswert zu schaffen. Cellinis Kunstwerke sind noch heute zu bewundern.

Für die Oper verlegten Léon de Wailly und Auguste Barbier in ihrem Libretto den Ort der Handlung von Florenz nach Rom und komprimierten die Ereignisse im Leben Cellinis auf drei Tage: Lukrativer Auftrag vom Papst für repräsentatives Kunstwerk, Ausführung seitens von Cellini stagniert, römischer Karneval, Liebe zu Teresa, Tochter seines Konkurrenten und schon anderweitig versprochen, Schänkenbesuch mit Kumpanen – Geldnot – Streit – Gehilfe Ascona überbringt Nachricht, dass Geld, fließt, wenn Auftrag sofort erfüllt – Cellini setzt alles daran und opfert (nur in der Oper) wegen Materialmangel alle seine vorherigen Arbeiten, um sein größtes Kunstwerk doch noch zu vollenden.

Für Barbora Horáková ist es die vierte Inszenierung an der Semperoper nach „Der goldene Drache“, „Die kahle Sängerin“ und „La traviata“. In einer Mischung aus italienischer Renaissance in leicht verzerrten Bildern, wie zum Beispiel bekannten (oder ähnlich wirkenden) Skulpturen aus dieser Zeit mit heutigen Gesichtern, die sich zum Teil sogar bewegen, und  typischem gegenwärtigem menschlichem (Bühnen-)Verhalten, viel undefinierbarer Technik und utopischer Zukunft mit menschlichem Roboter usw. sucht sie das Wesen dieses außergewöhnlichen Menschen und Künstlers zu ergründen und zu gestalten.

Zweifellos war Cellini ein vielseitiges Genie. Er war Goldschmied und Bildhauer, Medailleur, Musiker und Buchautor – und eine umstrittene Figur an der Schwelle der Hochrenaissance zum Manierismus im Umfeld der Päpste und der Medici, dem reichen und einflussreichen Adelsgeschlecht, ein „uomo universale“ (Universalgenie) wie Michelangelo, Rafael und Leonardo da Vinci.

Michelangelo war Maler, Bildhauer und Baumeister/Architekt (u. a. Bauleiter am Petersdom), Rafael Maler und Architekt und Leonardo da Vinci, nicht nur ein begnadeter Maler, sondern auch Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, genialer Ingenieur und Naturphilosoph, einer der berühmtesten Universalgelehrten aller Zeiten, der unter anderem auch technische Dinge, die weit in die Zukunft reichen (vor allem ideell) plante und entwickelte, was Horákova als dominierendes Element bei der Darstellung der dramatischen Ereignissen bei ihrer Inszenierung einsetzt und damit das Leben zweier historischer Persönlichkeiten vermischt. Cellini beschäftigte sich vermutlich mehr mit seinem Brennofen, als mit Plänen zukünftiger Technik. Oper muss kein realistisches Abbild der Geschichte bieten, aber die Handlung sollte stimmig erklärt werden. Die Idee ist plausibel, die Umsetzung jedoch verflacht das Ganze durch die immer wider strapazierte, gegenwärtig übliche Personenführung, die Bühnenbilder und Kostüme.

Das Bühnenbild (Aida Lennor Guardia) fordert viel vom Opernbesucher viel Mitdenken. Viel nicht unbedingt neuartige Fantasie-Technik mit Leitern und Gestänge und künstlichen Augen, die sich mitunter bewegen, füllt die Bühne, was beängstigend wirken soll, wie auf einen Menschen, der sich ausgeliefert fühlt. Die „altitalienische Schänke“ wird als primitiver Kasten bzw. Kneipe mit dem Namen WESLA (Sumpf-Insel oder Jazzsängerin?) hereingefahren. Menschen agieren mit dem üblichen (gegenwärtigen (Bühnen-)Verhalten in den üblichen Gegenwarts-Kostümen (Eva Butzkies) mit Ausnahme des Papstes, der ganz in Weiß erscheint, und seines Begleiters in Schwarz mit Rot und an die Schweizergarde erinnernden Federhelm sowie Cellini im goldenen Anzug. Der römische Karneval findet in ähnlicher Weise mit Masken statt – auf der Bühne nicht viel Neues! Die Liebe zu Teresa wird durch zwei langsam zueinander geschobene überdimensionale Gesichtshälften symbolisert (gab es auch schon).

Zusätzlich wirbeln sechs, vorwiegend schwarz gekleidete Personen des Bewegungschores über die Bühne, vor allem Rad schlagend und Purzelbäume schießend (Choreografie: Juanjo Arqués). Man muss die Oper schon gut kennen, um zu wissen, was das alles bedeuten könnte. Man weiß nicht, wo man überall hinschauen soll, um die Handlungsstränge zu verfolgen. „Wer vieles bringt, wird manchem etwas geben“ (Goethe). Wenn es aber zu viel ist, bietet es kaum etwas, stiftet eher  Verwirrung. Weniger ist manchmal mehr. Die Opernhandlung mit der Geschichte des ungewöhnlichen Künstlers und noch ungewöhnlicherem Menschen erschließt sich hier nur dem wirklich, der sie bereits kennt. Wie sollen aber die jugendlichen Opernbesucher, die es zum Glück in Dresden auch gibt, die Handlung so schnell erfassen, wenn die Oper nicht mehr allgemein bekannt ist?

Cellini hatte Freunde in höchsten Kreisen wegen seiner Kunst, aber auch viele Feinde, musste sich gegen sie verteidigen und war oft auf der Flucht und auf Reisen, ein typisches, bewegtes Künstlerleben der Renaissance, das viel „Zündstoff“ enthält und sich für Inszenierungen anbietet. Wann wird endlich die Handlungs- und historisch orientierte Inszenierungspraxis er- oder gefunden?

Eine Oper lebt von der Musik. Berlioz’ fulminante, furiose Künstleroper kann bis heute mit ihrer Melange aus Komik und Tragik und dem unbedingten Willen, etwas Großes und künstlerisch Überwältigendes zu schaffen, faszinieren, denn die anspruchsvolle Partitur mit ihrer brillanten Orchestrierung, außergewöhnlichen Anforderungen an die Solisten und Solistinnen und großartigen Chorszenen bewegte bereits Richard Wagner zutiefst und bewegt auch noch heute.

Die Premiere leitete Giampaolo Bisanti. Jetzt stand Oscar Jockel (Dirigat-Debüt/Hausdebüt) am Pult der Sächsischen Staatskapelle und leitete die Aufführung zügig und energiegeladen, weniger romantisch. Bereits die Ouvertüre erklang sehr massiv und kaum differenziert, was sich immer weiter fortsetzte. Oft dominierte der gut und kräftig singende Sächsische Staatsopdernchor (Einstudierung: André Kellinghaus), verstärkt durch viel Komparserie, die Bühne optisch und akustisch füllend. Da hatten es die Solisten nicht leicht, aber Anton Rositzkiy als Benvenuto Cellini (Rollendebüt), Štěpánka Pučálková als Roboter-Ascanio – vielleicht, weil er als Gehilfe die Befehle Cellinis mit mechanischer Zuverlässigkeit ausführt, ohne zu denken (was nicht bei der Rolle vermerkt ist) – und Tuuli Takala (Rollendebüt) als Cellinis Freundin Teresa setzen sich durch und brillierten mit sehr gut gesungenen Arien und der Schönheit der romantischen Musik mit französischem Charme und französischer Gefühlswelt, aber manche Feinheit ging in der allgemeinen Lautstärke dennoch unter.

Ante Jerkunuca als Giacomo Balducci, ,Jérôme Boutillier als Fieramosca und Tilmann Rönnebeck als Papst Clemens VII. ließen keine Wünsche offen. In weiteren Rollen agierten und sangen Vladyslav Buialskiy als Bernardino, Matthias Henneberg als Pompeo, Anton Beliaev vom Jungen Ensemble als Offizier, Jürgen Müller als Wirt und Aaron Pegram als Francesco.

Trotz mancher Einschränkungen beeindruckte dieser Opernabend vor allem durch Berlioz’ Musik und die Leistungen der Sängerinnen und Sänger und die perfekt spielende Sächsische Staatskapelle.

Ingrid Gerk

 

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