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DRESDEN/ Semperoper: AUFKLANG! „LEIDENSCHAFT“ UND „LIEBLINGSSTÜCKE“ – ZWEI ENSEMBLE-ABENDE

06.07.2020 | Oper

Dresden/Semperoper: “AUFKLANG!“: „LEIDENSCHAFT“ UND „LIEBLINGSSTÜCKE“ – ZWEI ENSEMBLE-ABENDE ‑ 4. und 5.7.2020

Es ist schon ein gewöhnungsbedürftiger Anblick, wenn in der sonst meist gut gefüllten Semperoper die ersten fünf Parkettreihen und jede zweite Reihe leer und die anderen Zuschauerreihen nur etwa zur Hälfte besetzt sind, aber Corona verlangt seine Opfer, und Semperoper und Sächsische Staatskapelle wollen – wie viele andere Opernhäuser auch – präsent bleiben und haben sich darauf eingestellt. Man kann es auch positiv sehen und sich wie in einer „Privatvorstellung“ fühlen.

Nach der ersten Veranstaltung der, nach der Corona-Krise neu gegründeten, Reihe „Aufklang!“ mit dem phänomenalen Rollendebüt von Anna Netrebko als Elisabetta in „Don Carlo“ und dem „Außerordentlichen Aufführungsabend“ der Sächsischen Staatskapelle, bei dem zweckmäßigerweise originale Kompositionen für kleinere Besetzungen aufgeführt wurden, folgten nun zwei Ensemble-Abende mit unterschiedlichen Programmen von je 80 Minuten Dauer, in denen alles nur mit Klavierbegleitung von Solisten der Semperoper dargeboten wurde.

Es lässt sich nicht verhehlen, dass große Opern-Arien nur mit Klavierbegleitung etwas von „Vorsing“- oder Proben-Atmosphäre haben und den Orchesterklang, in den die Singstimme meist eingebettet ist, vermissen lassen. Es fehlen nicht nur Inspiration und Klangfarben. Die Sänger sind ganz auf sich allein gestellt und werden nicht vom Orchester „getragen“, allerdings auch nicht „zugedeckt“. Man hört jedes feine Piano, jede Nuance, aber auch jede kleine Unstimmigkeit, und achtet besonders auf Charakter und Klangfarbe der Stimme, die oft mit Orchester gut, mit Klavier aber hart klingt.

Für den ersten Abend (4.7.) waren Lieder und Arien unter dem verheißungsvollen Titel „LEIDENSCHAFT“ angekündigt. Es gab aber neben Arien und Duetten nur ein einziges Lied: “Ging heut‘ morgen über‘s Feld“ aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler, der seinen Zyklus von vier Liedern zwar ursprünglich mit Klavierbegleitung komponiert hatte, aber durch seine eigene Bearbeitung für Orchester erst für die entsprechende Popularität sorgte. Die israelisch-amerikanische Altistin Michal Doron besang mit angenehmer Stimme, sehr euphorisch und mit ausgelassener Heiterkeit die, von Mahler eher lakonisch, aus seinem Liebesschmerz heraus betrachtete, „schöne Welt“. Bei „Sallys Song“ („Losing my mind“) aus „Follies“ von Stephen Sondheim (*1930) war sie dann – mit altem Standmikro als Staffage – auch emotional in ihrem Element.

Ebenfalls in seinem Element war der amerikanische Tenor Aaron Pegram bei der von ihm in kultiviertem Piano und verhaltener Leidenschaft besungenen „Maria“ aus der „West Side Story“ von Leonard Bernstein, mehr als in den von ihm ohne romantischen Schmelz und Verve gesungen klassischen Operetten-Duetten “Sieh dort den kleinen Pavillon“  aus „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár und als Abschluss des Abends „Reich mir noch einmal zum Abschied die Hände“ aus „Viktoria und ihr Husar“ von Paul Abraham, bei denen er hörbar an seine Grenzen geriet, aber die sehr sicher, mit versierter Technik und fester, schlanker Stimme singende Katerina von Bennigsen reichte ihm kollegial die Hände. Sie hatte das Programm ohne „Anlaufschwierigkeiten“, mit klaren, lockeren Koloraturen in „Ah! Tardai troppo“ aus „Linda di Chamounix“ von Gaetano Donizetti eröffnet und später gemeinsam mit Michal Doron ein schon eher kongeniales Duett („A boy like that“) aus Bernsteins „West side story“ gesungen.

Mit schöner, klangvoller Stimme, wirklicher Leidenschaft und Ausdrucksstärke ließ Ute Selbig, eine Künstlerin mit Leib und Seele, mit ihrer hellen, klaren Sopranstimme, hervorragender Diktion und innigem Gestaltungsvermögen die Arie der Elvira „Mi tradi quell’alma ingrata“ aus W. A. Mozarts „Don Giovanni“ erleben. Man fühlte mit ihr bzw. der Operngestalt. Mit ein paar gekonnten Schritten und kleinen, wirksamen Gesten unterstrich sie ihre Darstellung und lockerte damit nicht nur ihre Arie, sondern auch den eher sachlich dargebotenen Abend auf.

Anders als Jürgen Müller, der mit Stimmkraft, aber ziemlich „trocken“ und ohne besondere Emotion den Ohrwurm „Selig sind, die Verfolgung leiden“ aus „Der Evangelimann“ von Wilhelm Kienzl und „Ch‘ella mi creda“ aus Giacomo Puccinis relativ selten gespielter Oper „La fanciulla del West“ sang, bot Tilman Rönnebeck mit profunder Stimme und Überzeugungskraft den „Monolog des König Philipp“ aus Giuseppe Verdis „Don Carlo“, noch „abgerundeter“ und beeindruckender als schon beim Abend mit der Netrebko. In persönlicher Hochform steuerte er außerdem mit viel Temperament die Arie des Basilio „La calunnia è un venticello“ aus „Il barbiere di Seviglia“ von Giachino Rossini leidenschaftlich und mitreißend bei.

Am Klavier begleiteten im Wechsel Solorepetitor Hans Sotin und Alexander Bülow (seit 2020 an der Semperoper) mit eher sachlichem Ton. „Als Überraschung“ steuerte Sotin noch eine eigene Komposition bei, ein gefälliges, harmonisch-melodisches Stimmungsbild, bei dem auch etwas von Franz Schuberts Klavierbegleitung des „Erlkönig“ durchschimmerte.

Moderiert wurde der Abend von Bianca Heitzer, die zudem zwei Interviews auf den beiden roten Sofas (aus der „Fledermaus“-Inszenierung, die hier gute Dienste tun) mit Intendant Peter Theiler und Katerina von Bennigsen führte, ebenfalls recht sachlich.

Für den zweiten Abend „LIEBLINGSSTÜCKE“ (5.7.) hatten andere Sängerinnen und Sänger ihre persönlichen Lieblingsstücke aus dem Notenschrank geholt. Hier führte Juliane Schunke, seit 2016 Dramaturgin an der Semperoper, in ihrer natürlichen, sympathischen Art durch das Programm und „interviewte“ Markus Marquardt, der der Semperoper als Sänger nach wie vor verbunden ist, und Jan Seeger, den Technischen Direktor, dessen Lieblingskomponist, Richard Strauss, an diesem Abend nicht dabei war, der aber auf die derzeitigen technischen Anforderungen und u. a. die zurzeit laufende Erneuerung des Bühnenbodens, der Bretter, die die Welt bedeuten, hinwies.

Eröffnet wurde auch dieser Abend mit einer Sopran-Arie durch Elena Gorshunova, die lebhaft, mit opernhafter Dramatik die Arie der Juliette aus „Roméo et Juliette“ von Charles Gounod anschaulich und unterstrichen durch kleine Gesten, darbot. Roxana Incontrera, deren glasklare Koloraturen als „Königin der Nacht“ an der Semperoper unvergessen sind, brillierte jetzt mit eben diesen sauberen, lockeren Koloraturen, perfekter Differenzierung, schönster Phrasierung, feinstem Piano, kurz edler Stimmkultur, auffallend guter Artikulation und Textverständlichkeit und angedeutetem Spieltalent in der Arie der Frau Fluth aus „Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nicolai, witzig, spritzig und perfekt, ein Feuerwerk aus „Witz und heitrer Laune“. Da saß jeder Ton und jedes Wort, eine großartige Leistung!

 Zum glanzvollen Höhepunkt des Abends gestaltete sich der Auftritt von Christa Mayer mit der Arie der Dalila, “Mon coeur s’ouvre à ta voix“ aus der Oper „Samson et Dalila“ von Camille Saint-Saens, die sie bisher noch nicht auf der Bühne gesungen hat (was man sich für die Zukunft aber nur wünschen kann). Mit ihrer einmalig schönen, warm strömenden, vielfarbig schimmernden Stimme wie Samt und Seide und starker emotionaler Ausdruckskraft lockte sie verführerisch den starken Helden Samson – eine Weltklasseleistung! Dank ihrer Stilsicherheit und Stimmpräsenz, mit der sie auch den guten Ton in der „Barcarolle aus „Les Contes d’Hoffmann“ von Jaques Offenbach angab, gelang dieses Paradestück harmonischen Duett-Gesanges zu jener Klangschönheit voller kongenialem Schmelz und verführerischer Sinnlichkeit, wie man es erwartet, obwohl sie zum ersten Mal gemeinsam mit Elena Gorshunova auftrat, die mitunter etwas vorsichtiger einstimmte.

Markus Marquardt erschien äußerlich sehr seriös, gestaltete aber die „Register-Arie“ des Leporello aus W. A. MozartsDon Giovanni“ mit entsprechendem Humor, wozu ihm „handwerkliches“ Können und reichlich Erfahrung viel Raum ließen, um die Rolle, die er vor Jahren an der Semperoper kennen und lieben lernte und die ihn bis heute nicht losgelassen hat, mit überlegener Gestaltung darzubieten. Ganz in seinem Element war er dann auch bei der „größten“ von Carl Loewes seinerzeit sehr beliebten, jetzt aber fast vergessenen Balladen, „Archibald Douglas“, die er mit Hingabe vortrug und Bilder und Stimmungen, die Loewe so meisterhaft in Töne gesetzt hat (wie er auch im Interview betonte), vor dem geistigen Auge des Zuhörers entstehen ließ.

Sehr angelegen sein ließ sich Alexandros Stavrakakis die Interpretation zweier Romanzen von P. I. Tschaikowsky: „Sleza drozhit“ (op. 6 Nr. 4) und „Ljubow mertwa (op. 38 Nr. 5), in die er sich, weniger romantisch, als vielmehr mit kraftvoller, voluminöser Stimme und sogar russisch anmutendem Timbre hineinsteigerte und die „russische Seele“ durchschimmern ließ.

So viel Einfühlungsvermögen hätte man gern auch von dem amerikanischen Tenor Joseph Dennis erwartet, der sich ausgerechnet eine so bekannte Film-Titelmelodie ausgesucht hatte, wie „Du bist die Welt für mich“ aus dem Film „Der singende Baum“ von Richard Tauber, die nun einmal stimmlichen Schmelz verlangt. Seine Stimme hat jedoch ein ganz anderes Timbre. Er sang kraft-, aber weniger glanzvoll und konnte auch mit der, den Abend abschließenden, mit eindringlicher Dramatik gesungenen Arie des Cavaradossi aus „Tosca“ von Giacomo Puccini („E lucevan le stelle“) nur bedingt überzeugen, zu viele großartige Tenöre (nicht zuletzt Piotr Beczała in Wien) hatte man da im Ohr.

Die beiden begleitenden Pianisten waren an diesem Abend Clemens Posselt und Sebastian Ludwig, der, seit 2018/19 Repetitor im Jungen Ensemble der Semperoper und 2018 bei den Salzburger Osterfestspielen als Assistent verpflichtet, den Orchesterpart mit „flüssigem“, einfühlsam mitgestaltendem, bei Bedarf tonmalerischem, Spiel schon eher zu ersetzen vermochte.

Mit diesem Abschied verabschiedete sich das Sänger-Ensembles der Semperoper in die Sommerpause. Am 11.7. findet das letzte Konzert der Reihe „Aufklang!“ statt. Dann wird Christian Thielemann die Sächsische Staatskapelle mit einem reinen Beethoven-Programm („Coriolan“-Ouvertüre sowie die „Symphonien Nr. 1“ und „Nr. 2“) leiten. Das Konzert wird auf Großleinwand in den Dresdner Zwinger übertragen  – nicht nur sehr stimmungsvoll, sondern auch mit historischem Bezug und räumlicher Nähe zur Kapelle.

 

Ingrid Gerk

 

 

 

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