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DRESDEN/ Semperoper: ATTILA von Giuseppe Verdi. Konzertant

08.02.2023 | Oper international
Dresden/Semperoper: „ATTILA“ VON GIUSEPPE VERDI – KONZERTANT – 7.2.2023

„Attila“, Giuseppe Verdis frühe Oper (die neunte) erklang bis vor einigen Tagen noch nie in Dresden. Jetzt hatten die Opernbesucher Gelegenheit, die Oper wenigstens in einer konzertanten Aufführung als Dresdner Erstaufführung (Pr. 4.2.2023) zu erleben. Die Aufführung fand auf der Bühne statt. Es gab Vorhänge und Beleuchtung zwischen rot für die kriegerischen und schwarz für alle übrigen Szenen, um die Handlung etwas anzudeuten. Einzige „Requisiten“ waren fünf Notenpulte an der Rampe, die – je nach Bedarf und Funktion – für die von beiden Seiten auftretenden und abgehenden Protagonisten, die mitunter durch kleine szenische Gesten den starren Ablauf etwas auflockerten, angeleuchtet wurden oder wieder im Dunkel verschwanden.

Der Chor saß bzw. stand – je nach Einsätzen im Bühnenhintergrund. Mitunter kommentierte er die Handlung auch hinter der Bühne und klang dann sehr verhalten. Es war eine sehr spartanische „Inszenierung“, aber eigentlich genügte es, um sich auf Handlung und Musik zu konzentrieren, wobei auch die eingeblendeten deutschen (und englischen) Texte hilfreich waren. Die „Kleinigkeiten“ lockerten eine starre, trockene, rein konzertante Aufführung angenehm auf. Bei einer Inszenierung ist heutzutage alles möglich und wird akzeptiert, warum sollte da auch eine konzertante Aufführung nicht etwas erweitert werden. Man konnte die Oper in ihren Grundzügen erfassen, denn so kompliziert sind die Handlungsstränge in diesem Fall nicht, und manche szenische  Inszenierung lenkt oft leider zu sehr vom Kern der Handlung ab.

Wie einst die Römer im 8. Jahrhundert v. Chr. ein riesiges Reich, das Imperium Romanum,  eroberten, versuchte Attila vom Territorium des heutigen Ungarn aus, im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung mit seinen brutalen kriegerischen Horden, Teile des römischen Reiches unter seine Gewalt zu bringen und ein Weltreich zu erobern, das jedoch nur kurze Zeit hielt. Er fiel 452 in Italien ein und zerstörte die Stadt Aquileia, deren Bewohner in die venezianischen Lagunen flüchteten und den Grundstein für die Stadt Venedig legten. Vor Rom wurde Attila mit seinem Heer gestoppt, aus welchen Gründen auch immer. Dass Papst Leo I dies vermochte, dürfte ein Mythos sein.

In freier Abwandlung und Deutung, wie es in der Oper üblich war, verwendeten Giuseppe Verdi und seine Librettisten Temistocle Solera und Francesco Maria Piave die Historie als Sujet für ein „Dramma lirico in einem Prolog und drei Akten“ nach der fünfaktigen romantischen Tragödie „Attila, König der Hunnen“ von Friedrich Ludwig Zacharias Werner, um mit einer neuen Oper an den sensationellen Erfolg des vier Jahre zuvor uraufgeführten „Nabucco“ anzuknüpfen, der vor allem auf unterschwelliger revolutionärer Doppeldeutigkeit basierte und das Nationalbewusstsein der italienischen Bevölkerung gegen die ungeliebte Fremdherrschaft stärkte.

Bei „Attila“ ist der Macht des christlichen Glaubens und der mahnenden Worte des Papstes zu danken, das Rom von den brandschatzenden und mordenden, Wotan-gläubigen Horden verschont blieb. Der unerbittliche Eroberer Attila bewundert, die kämpfende, rachedürstende Tochter des von ihm ermordeten Königs der Stadt Aquileia und verliebt sich in die, erstmalig auf der Opernbühne erscheinende emanzipierte Frauengestalt. Er überlässt ihr sogar sein Schwert, mit dem sie ihn später, nachdem sie ihn vor dem Giftmord durch ihren wahren Geliebten Foresto bewahrt hat, ermordet wie in der Bibel Judith den Holofernes. Eine etwas paradoxe Opernhandlung, noch in dem alten Nummernmuster der „solita forma“ ausgeführt, die zum Zwiespalt der Protagonisten führt und dramatische Spannung erzeugt. Auf der Opernbühne ist (fast) alles möglich, und Verdi verstand es, diesen Zwiespalt treffend in Musik umzusetzen.

Positiver Effekt der drei konzertanten Aufführungen, die von vielen Opernfreunden mehrfach besucht wurden, war für viele Besucher das erstmalige Kennenlernen dieser Oper. Für Wagner-Enthusiasten war es zusätzlich ein glückliches zeitliches Zusammentreffe der Oper „Attila“, in der die Hunnen ihrem Gott Wodan (Wotan) huldigen, mit Richard Wagners komplettem „Ring“ unter Thielemann.

Vor allem aber waren es einige herausragende sängerische Leistungen, allen voran Georg Zeppenfeld, der derzeit in einem Vorstellungsmarathon, unter anderem in Wagners „Ring“, befindlich, sein Rollendebüt in der Titelpartie gab. Nach über 20 Jahren regelmäßiger Verbundenheit mit der Dresdner Staatsoper bewies er auch hier einmal mehr, dass er eine wichtige sängerische Konstante im Dresdner Opernensemble ist. Der Gestalt des Attila verlieh er markante Würde und stimmliche Grandezza. Trotz Dauerbesetzung bei Wagner verfügt seine Stimme nicht nur über die oft bewunderte Präzision, Intonationssicherheit und außergewöhnlich klangvolle Tiefe, sondern auch noch immer über die Italianita, die für das italienische Repertoire so wichtig ist.

Weniger eroberungssüchtig und blutrünstig, was bei Attilas erstem Auftritt handlungsseitig auch schon hinter ihm liegt, gestaltete Zeppenfeld die Partie des ambivalenten Eroberers zwischen Kriegslüsternheit und Machtstreben, Grausamkeit und Bewunderung für eine resolute Heldin bis zur Liebe mit seinem außergewöhnlich wandelbaren Bass würdevoll und glaubhaft. Seine große und großartige, intensiv gestaltete Szene hatte er bei der Schilderung seines Alptraumes, in dem er vor dem Feldzug gegen Rom gewarnt wird und selbst als Kriegsheld sehr menschliche Züge annimmt.

Allein diese Szene hätte den Besuch der konzertanten Aufführung gelohnt, aber es gab auch noch den großartigen Andrzej Dobber, der der Semperoper ebenfalls seit vielen Jahren verbunden ist und vor allem im italienischen Fach Glanzpunkte setzte. Er lieh dem, immer wieder zwischen beiden Seiten zu vermitteln suchenden römischen General Ezio und der daraus resultierenden scheinbaren inneren Widersprüchlichkeit seine geschmeidige, klangvolle und ausdrucksstarke Stimme mit Exaktheit, stilistischem Ausdruck und Können.

Der serbische Tenor Tomislav Mužek debütierte als Foresto, Ritter aus Aquileia und Odabellas wahrer Geliebter. Er fand zu den Wurzeln seiner Anfänge zurück und konnte in seiner Rolle überzeugen, teils zurückhaltend, teils bravourös, wenn es auch nicht zu der letztendlich gültigen tenoralen Strahlkraft kam.

Als blondgelockte, vorteilhaft und entsprechend der Rolle gekleidete Tochter des ermordeten Herrschers von Aquileia, Odabdella, hatte Anna Smirnova zwar die Schärfe einer kriegerischen Heldin in der Stimme, die nur noch die Rache kennt, konnte aber gesanglich in der dominierenden, gefürchteten und extrem schwierigen Sopranpartie nicht ganz überzeugen. Sie sang durchgehend mit stimmlicher Kraft und schwacher, nicht immer ganz sauberer Intonation. Ihr fehlte in Sotto-voce-Passagen auch etwas von, wenn auch vorgetäuschter, weiblicher Anmut und Begehrlichkeit, um den Hunnenkönig zu verführen. Man weiß nicht, warum die einst als dramatischer Mezzosopran begeisternde Sängerin (Amneris, Eboli, Ortrud) jetzt zu diesen dramatischen Sopranpartien des frühen Verdi strebt.

Timothy Oliver blieb als Uldino, ein junger Bretone, Sklave Attilas wenig eindrucksvoll, obwohl auch kleinere Rollen charakteristisch gestaltet werden können, was Tilmann Rönnebeck als Leone bzw. alter, mahnender Römer (Papst Leo), der Attila im Traum ins Gewissen redet, mit würdevoller, wohlklingender Stimme bewies, die sich in einer eindrucksvollen Szene harmonisch aus und über den Chor erhob.

Der Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden (André Kellinghaus) sang harmonisch. Dennoch vermisste man die für die italienische Oper typische Vitalität.

Der spanische Dirigent Jordi Bernàcer gilt als Spezialist der frühen Opern Verdis. Am Pult der Sächsischen Staatskapelle verzichtete er auf allen „Pomp“ und betonte eher die seltenen Lyrismen, was einen ziemlich „schlanken“ Gesamteindruck hinterließ und Verdis dramatische Schlagkraft auch dieses Frühwerkes vermissen ließ. Bei den dramatischen Arien begann er enthusiastisch und dynamisch und verlangsamte dann das Tempo. Es schien nicht leicht, den Spagat zwischen der, die Tiefen auslotenden Ernsthaftigkeit der Staatskapelle und der beinahe unbekümmerten Leichtigkeit der italienischen Musizierweise zu vereinen.

Wenn auch mit mancher Einschränkung, könnte man sich doch gut ab und an eine solche konzertante Aufführung einer der zahlreichen Belcanto-Opern vorstellen, wie es vor vielen Jahren schon einmal an der Semperoper begonnen wurde, denn meist überwiegen die positiven Eindrücke.

Ingrid Gerk

 

 

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