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DRESDEN/ Semperoper: „A COLLECTION OF SHORT STORIES“ – EIN MEHRTEILIGER BALLETTABEND – LIVE –

13.06.2021 | Ballett/Performance

Dresden/Semperoper: „A COLLECTION OF SHORT STORIES“ – EIN MEHRTEILIGER BALLETTABEND – LIVE –

12.6.2021

Nach der Lockdown-bedingten Schließung öffnete nun auch die Semperoper wieder ihre Pforten und begann ihren neu angepassten Live-Spielplan mit der (zweimaligen) Voraufführung (12./13.6.) des mehrteiligen Ballettabends „A Collection of Short Stories“, dessen Premiere für den 15.10.2021 vorgesehen ist und dessen Aufzeichnung bis Ende Juni das Streaming-Angebot der Semperoper ergänzen wird. Dann folgen noch fünf Aufführungen von Mozarts „Zauberflöte“, und damit ist die Spielzeit auch schon wieder zu Ende.

Doch jetzt hob sich erst einmal der Vorhang für den Ballettabend mit sechs Ausschnitten aus bekannten und neuen Choreografien für das Semperoper Ballett, deren Tänzerinnen und Tänzer über hohes Können sowohl im klassischen als auch modernen Tanz verfügen. „Endlich wieder Kontakt mit unserem Publikum“ meint Ballettdirektor Aaron S. Watkin, der die Company seit 2006 leitet und über die Grenzen Europas hinaus bekannt gemacht hat. Jetzt kann er sein 15jähriges Jubiläum feiern, leider durch Corona getrübt. Als ehemaliger Schüler von William Forsythe holte er neben seinem Lehrer auch andere berühmte Choreografen nach Dresden und kreierte selbst große abendfüllende Ballette wie „Dornröschen“, „La Bayadère“ „Schwanensee“, „Der Nussknacker“ und „Don Quixote“ nach seinen großen Vorbildern, aber auch mit eigenen Ideen.

 Eine Choreografie von Forsythe, „THE VERTIGINOUS THRILL OF EXACTITUDE“ nach der Musik von Franz Schubert, dem „Allegro Vivace“ aus der „Sinfonie Nr. 8 C‑Dur“ (vom Tonträger nicht gerade in bester Qualität eingespielt) machte den Anfang einer bunten, kurzweilig und spannungsreich arrangierten Folge von erfolgreichen Choreografien sehr unterschiedlicher Choreografen. In sparsamen, neuartigen, auch ans Neoklassische erinnernden Kostüm(ch)en von Stephen Galloway zeigten Kaitlyn Casey, Gutavo Chalub, Elena Karpuhina, Mariavittoria Muscettola und Houston Thomas mit leicht und geschmeidig wirkenden Bewegungen, Figuren und Sprüngen, die nicht leicht zu machen sind, in abwechslungsreichen Gruppierungen immer wieder neue, anmutige Bilder, bei denen der Fokus auf optischer Wirkung lag.

Danach folgten zwei sehr anspruchsvolle, in ihrer Art sehr unterschiedliche Choreografien vom Chef selbst. Die Kostüme dafür schuf Erik Västhed. Für die Lichtregie, die die einzige Bühnendekoration bildet, sorgte Fabio Antoci.

In „WEISSER SCHWAN“ boten Kanako Fujimoto und Julian Amir Lacey einen exzellenten Pas de deux aus „Schwanensee“ nach Lew Iwanow und natürlich mit der Musik von P. I. Tschaikowsky, eine Meisterleistung der beiden Tanz-Künstler mit ihrer sehr eleganten Körperhaltung, sehr geschmeidigen Bewegungen, auffallend schönen, ungewöhnlich hohen Hebefiguren und höchsten künstlerischen Ansprüchen, unterstrichen von den zauberhaften Kostümen. Trotz aller tänzerischen Schwierigkeiten wirkte alles fließend und natürlich, frei von erstarrten Klassikformen. Watkin hatte diesem Pas de deux mithilfe ausdrucksstarker Gesten sehr menschliche Züge verliehen und damit diese altbekannte, oft aufgeführte Geschichte wieder neu belebt und in die Gegenwart geholt.

Eine ganz andere Seite präsentierte er in  „ODALISQUES–  Pas de trois aus „Le Corsaire“, bei dem drei charmante Tänzerinnen, Chantelle Kerr, Evelyn Bovo und Chiara Scarrone, in hübschen Kostümchen einzeln und in verschiedenen Gruppierungen zur Musik von Adolphe Adam leicht und geschmeidig über die Bühne gleiten, tanzend, springend und „schwebend“.

In einer Choreografie von David Dawson, FAUN(E) tritt zunächst nur eine Tänzerin ganz ohne musikalische Begleitung  auf und tanzt wie nach innerer Musik. Erst mit dem Erscheinen einer  zweiten Tänzerin setzt die Musik von Claude Debussy („Prélude à l‘après-midi d‘un faune“) ein und beide (Aidan Gibson, Alice Mariani) tanzen geschmeidig und hingebungsvoll in passenden Kostümen, schlichten, fließenden Kleidern, von Yumiko Takeshima, auch hier nur von Licht auf kahler Bühne begleitet (David Dawson, Bert Dalhuysen) gemeinsam, vieles ausdrückend, weiter.

Eine Choreografie von Jorma Elo, „STILL OF KING“, bringt eine sehr individuelle Umsetzung der Musik Joseph Haydns („Adagio, Allegro“ aus der „Sinfonie Nr. 100 G‑Dur) mit modernen Stilelementen, perfekt und ausdrucksstark ausgeführt von Marcello Gomes.

Beim letzten Teil A COLLECTION OF SHORT STORIES, der dem Abend seinen Namen gab, bilden eine Lichtsäule, Studio-Scheinwerfer und ‑lampen die Bühnendekoration. Der junge US-amerikanische Tänzer, Choreograf und Pädagoge Nicholas Palmquist, der weltweit in einer Vielzahl von Tanzgenres arbeitet, neue Modelle für die Entstehung von Tanz mit dem Broadway Dance Lab entwickelte und für die Dresdner Ballett-Gala „Semper Essenz: We will dance!“ den Jazz-Evergreen „These Arms“ choreografierte, zeichnet hier auch für Kostüme und neben Fabio Antoci für Bühne und Lichtregie verantwortlich.

In der tänzerischen Umsetzung der (tonalen) Musik der kanadischen Pianistin und Komponistin Alexandra Stréliski (der einzigen Frau außer den Tänzerinnen) hatte er Gelegenheit, sein Können zu präsentieren. Hier bestimmen eine sehr moderne Choreografie mit den gegenwärtig üblichen Stilelementen, natürlichen, alltäglichen Bewegungen, eine Bühnendekoration, die Studio-Atmosphäre vermittelt, und bunt gemischte Kostüme, bunt wie das Leben, von Alltagskleidung bis elegant, das immer im Fluss befindliche, Geschehen in wechselnden Bildern und Formationen.

Da die Company des Semperoper Ballett über ausgezeichnete Tänzerinnen und Tänzer verfügt, die den klassischen und modernen Tanz gleichermaßen beherrschen und perfekt ausführen, lenkt ihr Können „automatisch“ die gesamte Aufmerksamkeit auf die tänzerische Seite, so dass die Bühnengestaltung zur Nebensache wird, zumal sie, wie hier, durch gute Lichtregie ersetzt wírd. Wenn man aber an der Semperoper selbst bei Ballett oft die Sächsische Staatskapelle live hört, ist Musik vom Tonträger ohnehin nur ein schwacher Ersatz, wenn auch nicht ungewöhnlich, aber dann wünschte man sich wenigstens eine gute tontechnische Qualität, wie sie jetzt möglich ist. In Anbetracht der hohen tänzerisch-künstlerischen Leistungen war man allerdings geneigt, diesen technischen Mangel zu vergessen, so sehr faszinierte das Bühneneschehen. Das zahlreich erschienene, vorwiegend jugendliche Publikum applaudierte begeistert. Da muss man sich um die Zukunft des Balletts keine Sorgen machen.

Ingrid Gerk

 

 

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