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DRESDEN/ Semperoper: 8. SYMPHONIEKONZERT – „PALMSONNTAGSKONZERT“ – DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE

27.03.2018 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: 8. SYMPHONIEKONZERT – „PALMSONNTAGSKONZERT“ – DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 26.3.2018

Omer Meir Wellber dirigierte seit 2010 schon öfter die Sächsische Staatskapelle Dresden. Ab der Spielzeit 2018/19 wird er Erster Gastdirigent der Semperoper. Im 8. Symphoniekonzert, dem „Palmsonntagskonzert“, präsentierte er ein grandioses Programm mit mehreren Highlights, das er furios dirigierte, ohne den Nerv der Kompositionen wirklich zu treffen.

Das Konzert begann mit einem ungewöhnlichen „Paukenschlag“, der „Misa Criolla“ („Kreolische Messe“) von Ariel Ramírez, eines der bedeutendsten und populärsten christlichen Werke Lateinamerikas, mit dem der Komponist den Grundimpulsen seiner argentinischen Heimat folgt. Aus Freude über die Öffnung der Römisch-Katholischen Kirche auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils vertonte er 1963/64 den Mess-Text in der offiziellen spanischen Version und verband in seiner Musik über die Grenzen regionaler Authentizität hinaus südamerikanische, kreolische und europäische Einflüsse, typische Rhythmen aus fünf verschiedenen Regionen seiner argentinischen Heimat, folkloristische Tanzrhythmen, den traditionellen Carnaval, einen der schönsten und außergewöhnlichsten Tänze Boliviens, der dort zur Feier christlicher Feste gehört, die traditionelle Antiphon und Ausflüge in das Reich der Improvisation.

Wellber dirigierte vom Klavier aus, unterstützt von einigen Musikern mit einschlägigem Instrumentarium und reichlich Schlagzeug, und war bei den rhythmisch betonten Abschnitten ganz in seinem Element, fast überbordend, mit außergewöhnlich viel Temperament.

Der Sächsische Staatsopernchor Dresden stimmte in mittlerer Besetzung sehr dezent, bis zum idealen Pianissimo in die, wieder an die Tradition erinnernden, klassisch-romantisch anmutenden Teile in „gebändigten“ Bahnen ein. Der Solo-Part lag in den Händen des jungen Tenors Airam Hernández, der sicher und mit entsprechender Kondition, am Ende sichtlich erfreut, die menschliche Stimme auf der Suche nach Frieden vertrat.

Es ist eine, für Europa ungewöhnliche Messe, ein Fenster zur Erneuerung und Aktualisierung der jahrtausendealten katholischen Tradition, ein Aufbruch in die Moderne, bei dem sehr unterschiedliche Musikrichtungen der europäischen und traditionellen südamerikanischen Kultur als Synonym für die unterschiedlichen Bevölkerungsschichten und Nationalitäten und als Ausdruck der Versöhnung zu einer Einheit verbunden werden. In ihrer spirituellen Wirkung spricht diese Messe alle Bevölkerungsschichten an. Bei der Aufführung waren es besonders die rhythmisch pointierten Teile, bei denen eine Stimmung wie bei einem mitreißenden Jazzkonzert herrschte. Allerdings standen die einzelnen, in ihrem Charakter sehr unterschiedlichen, Teile eher nebeneinander und erschienen weniger als organisches Ganzes.

„Harmonie ist Zusammenstimmung, Zusammenstimmung aber ist Eintracht“, bemerkt Platon in seinem „Symposion“, das Leonard Bernstein zu seiner 1953 komponierten „Serenade nach Platons „Symposion“ für Violine solo, Harfe, Schlagzeug und Streichorchester“ inspirierte.

Dieser Liebe spürte Midori, eine der ganz großen Geigerinnen unserer Zeit und besonders feinfühlige Solistin in dieser Serenade, nach. Mit ihrer feinen Tongebung, ihrer großen Innigkeit und Tiefsinnigkeit sprach sie das Publikum direkt und unmittelbar an, teilte sie sich mit ihrem persönlichen Anliegen eindrucksvoll und nachhaltig mit. Bereits der Beginn, in dem nur sie zunächst „a capella“ auftrat, entführte in ihre emotionale Welt, so zart, so feinsinnig widmete sie sich dem Thema. Dann stimmten die Violinen der Kapelle ebenso zart ein. Nur Wellber ließ später das Orchester zuweilen lautstark einfallen, mitunter sogar mit einer, für eine Serenade untypischen „Schlagzeug-Gewitter“, wodurch das Werk quasi in zwei Welten gespalten wurde.

Auf der einen Seite wirkte Midori mit ihrer großen Innigkeit, Gefühlstiefe, edlen Zurückhaltung und sehr feinen, leisen Tönen, die noch mühelos wahrzunehmen waren. Ihr Spiel war durchaus auch virtuos, aber nie vordergründig oder auf bloße Effekte bedacht. Sie bewegte sich in ihrer spezifischen, sehr empfindsamen Klangwelt, spannte große musikalische Bögen und wirkte immer im Dienst des Werkes und des Komponisten. Auf der anderen Seite forderte Wellber ungestüm die Orchestermusiker immer wieder zu großer Lautstärke mit Schlagzeug und Pauke(n) heraus und brach damit in diese zarte Gefühlswelt der Liebe ein – so ist das Leben!

Bei ihrer Zugabe, einem mehrstimmigen Satz aus einer Partita für Violine solo von J. S. Bach, kamen Midoris Vorzüge und Qualitäten, ihre besondere Klangschönheit noch einmal „ungestört“ zur Geltung. Mit sphärischer Leichtigkeit und Natürlichkeit steigerte sie sich mit ihrem sehr vitalen, lebendigen Spiel ganz in diese besondere musikalische Welt hinein und ließ die Melodien klangschön ineinanderspielen.

Im jugendlichen Überschwang ließ Wellber auch die „Messe G-Dur“ (D 167) des 18jährigen  Franz Schubert „ausufern“, indem er den, von Jörn Hinnerk Andresen sehr gut vorbereiteten Sächsischen Staatsopernchor Dresden in großer Besetzung zu noch größerer, bis an die (Schmerz-)Grenze reichender Lautstärke aufforderte, womit das der damaligen Aufführungspraxis entsprechende, nicht allzu große Orchester „zugedeckt“ wurde und der gute Klang des Chores mit seinen sonst so schönen Stimmen verlorenging. Im Piano konnte der Chor dann glücklicherweise beweisen, dass er noch sehr gut und stilgerecht singen kann, wovon man sich u. a. im, von Chor und Orchester sehr niveauvoll ausgeführten, „Credo“ überzeugen konnte.

Die Solisten engagierten sich mit Können und Erfahrungen. Emily Dorn sang die Sopranpartie mit großer Gewissenhaftigkeit und setzte mit ihrer klangvollen Stimme die Glanzlichter. Die weniger umfangreiche Tenorpartie, sehr eindrucksvoll, mit leichten Verzierungen und sehr guter Artikulation von Daniel Johannsen gesungen, beeindruckte im „Benedictus“ nachhaltig, und Martin-Jan Nijhof widmete sich mit männlich-kraftvoller Stimme der Bass-Partie.

Was fehlte, war eine entsprechende Geschlossenheit und Ausgeglichenheit. Über der gesamten Messe lag eine gewisse Unruhe. Wellbers vehement überbordende Lesart mit übertriebenem Fortissimo und mitunter forciertem Tempo stand im Widerspruch zum noch stark an der Wiener Klassik orientierten Jugendwerk Schuberts, seinem ganz persönlichen Bekenntnis. So viel hineingetragene Vehemenz war der beschaulichen Messe und Schuberts ganz persönlicher Musiksprache wohl eher nicht sehr zuträglich. Der Schluss blieb merkwürdig offen, weshalb der Applaus weniger wegen Ergriffenheit des Publikums als wahrscheinlich mehr aus Unentschlossenheit auf sich warten ließ.

Wellber echauffierte sich für eine macht- und kraftvolle Wiedergabe aller drei Werke mit übersprudelnder Vehemenz, um starke Kontraste herauszuarbeiten, verschenkte damit aber die der Kapelle und dem Chor eigenen klanglichen Qualitäten, die international den Ruf des Orchesters ausmachen und meist das aufgeführte Werk auch in seiner gedanklichen und emotionalen Tiefe wirklich zur Geltung kommen lassen.

Ingrid Gerk

 

 

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