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DRESDEN/ / Semperoper: 6. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER WLADIMIR JUROWSKl

11.01.2017 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: 6. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER WLADIMIR JUROWSKl – 10.1.2017

Wladimir Jurowski, jetzt in aller Welt, an der Met, der Mailänder Scala, bei den Wiener und Berliner Philharmonikern u.v.a.m. „zu Hause“, ist auch in Dresden ein gern gesehener Gast und kehrt regelmäßig zur Sächsischen Staatskapelle als Gastdirigent zurück. Neben Moskau und Berlin hat er auch in Dresden studiert und deshalb ein besonderes Verhältnis zur Stadt. Seine große, schlanke Gestalt und seine ausdrucksvollen, geschmeidigen Dirigierbewegungen, bei denen er auch schon mal vom Podium abhebt, und vor allem seine Interpretationen zwischen Werkauffassung und jugendlichem Enthusiasmus sorgen für große Sympathie beim Publikum.

Etwas gedämpft wurde sie allerdings durch das ungewöhnliche Programm des 6. Symphoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle mit ausschließlich Werken aus der Zeit des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, einer Zeit des Verfalls der stagnierenden Traditionen, die an ihre Grenzen gestoßen waren, und des Umbruchs in Europa mit mehr oder weniger Bezug zur untergehenden Donaumonarchie. Theoretisch betrachtet, war die Programmfolge durchaus interessant und stimmig, bestanden doch bei den vier aufgeführten Kompositionen mehrfach Parallelen und Zusammenhänge. Musikalisch gab es jedoch wenig Abwechslung, es sei denn, man vertiefte sich in die Problematik jener Zeit.

Zumindest bei den drei, zuerst aufgeführten, Werken konnte man sich, obwohl in unterschiedlichen persönlichen Situationen der Komponisten entstanden und individuell vom Personalstil geprägt und damit letztendlich doch unterschiedlich in ihrem Charakter, beim Hören dem Eindruck eines gewissen Gleichmaßes nicht erwehren. Das mag nicht nur an der Interpretation gelegen haben, sondern auch an der Zeit ihrer Entstehung und der Situation, in dem Bestreben, neue Wege in der Musik zu finden und sich aus der Tradition zu befreien. In diesem Zusammenhang waren sie mehr rational als emotional zu verstehen.

Eingebettet in zwei Sinfonietten, eine dreisätzige von Alexander Zemlinsky (1871-1942) und eine fünfsätzige von Leos Janacek (1854-1928), kamen zwei jeweils dreisätzige Solistenkonzerte für die ungewöhnliche Solobesetzung mit Streichquartett von Erwin Schulhoff (1894-1942) und Bohuslav Martinu (1890-1959) zur Aufführung.

Zemlinskys „Sinfonietta für Orchester“(op. 23) „Die Seejungfrau“ nach dem Märchen von Hans Christian Andersen, entstanden 1934 aus der unseligen Liebe zu seiner Schülerin Alma Schindler, der späteren Frau Gustav Mahlers, trägt bereits das Stigma des kompositorischen Zwiespalts der Auseinandersetzung mit dem musikalischen Erbe und dieser Suche nach dem Neuem. Aus Furcht vor einer möglichen Katastrophe bleibt Zemlinsky im Gegensatz zu seinem Schüler und späteren Schwager Arnold Schönberg der Tonalität verhaftet, „höhlt“ sie aber „von innen“ aus und bereitet damit den Boden für die Atonalität.

In der „Sinfonietta“ überwiegt noch die Tonalität. Melodische, wehmütig lyrische, melancholische Phasen wechseln mit lauten, kraftvollen, bei denen ein mittleres Streichorchester mit Xylophon(en) „angereichert“ und bei der Aufführung von kraftvoller Pauke und lautstarkem Becken unterstützt wurde. Am Ende klingt das Werk leise aus, wie eine Assoziation einer sich einsam auf weitem Feld verloren fühlenden Seele. In Jurowskis Interpretation war der Zugang zu diesem Werk trotz guter Ausführung durch die Musiker der Staatskapelle nicht gerade leicht. Es erschloss sich erst über das Wissen um den Inhalt und das künstlerische Ringen Zemlinskys

In ähnlicher Situation befand man sich auch bei Schulhoffs „Konzert für Streichquartett und Blasorchester“ (WV 97), bei dem er sich mit seinem unverwechselbaren Tonfall undogmatisch zwischen den Stilen bewegt. In diesem Konzert, das bei Luis Spohr (1784-1859) eine Art „Vorläufer“ hat, fungiert ein klassisches Streichquartett in klassischer Besetzung als vierstimmiges „Soloinstrument“. Die einzelnen Spieler treten kaum individuell hervor. Sie spielen meist obligat im Quartett

In der Eröffnungsphase mit ihren motorischen Rhythmen waren die Bläser gefordert und führten ihren Part meisterhaft aus. Es gab auch in dieser farbigen, rhythmisch aufgeladenen Komposition beinahe lyrische Abschnitte, in denen die Kapelle zu ihrem besonders feinsinnigen Klangcharakter fand. Das traditionsreiche Borodin Quartett, das in den 70 Jahren seines Bestehens trotz wechselnder Besetzung seinen Ruf als Streichquartett von Weltrang kontinuierlich fortsetzen konnte, führte den Solopart in der jetzigen Besetzung sehr homogen, gewissenhaft und intern ausgeglichen aus.

In einem Wechsel zwischen Freude und Furcht, Hoffnung und Verzweiflung, arbeitete Jurowski die klar umrissene Form des Werkes heraus und verlieh ihm Plastizität. Die Musiker hielten trotz raschem, lebhaftem Tempo im 1. Satz (Allegro moderato) mit bewundernswerter Präzision mit, fanden besonders im verhalten lyrisch gefühlvollen 2. Satz (Largo) zu ihrem besonders feinsinnigen Klang und gestalteten unter Jurowskis Leitung das Finale mit Vehemenz.

„Ich war nie Avantgardist“ sagte Bohuslav Martinu (1890-1959), obwohl das „Konzert für Streichquartett mit Orchester“ (H 207) beim ersten Hören den Eindruck machen könnte. Kontinuierlich, wie innerlich getrieben, bestimmt ein immer wiederkehrender Rhythmus wie eine innere Motorik den Verlauf des Konzertes. Wieder fungierte hier das Borodin Quartett mit den Herren (Ruben Aharonian, Sergej Lomovsky, Igor Naidin und Vladimir Balshin) als sehr zuverlässiges „Soloinstrument“.

Leos Janaceks „Sinfonietta für Orchester“ (op. 60) atmete einen anderen Charakter als die drei vorher aufgeführten Werke. Sie entstand einige Jahre zuvor, fernab der brodelnden Krise in Wien. Hier vollzieht sich ein Wandel von den Empfindungen eines Stadtbildes, der Stadt Brünn, mit den Erinnerungen an Zwänge, Leid und Befangenheit zu einem hoffnungsvollen, befreienden Aufschwung mit der Gründung der Tschechoslowakei als unabhängigen Nationalstaat.

Hier eröffnen ebenfalls die Bläser in einer längeren Phase schmetternd und überschwänglich den Reigen. Die Pauke behauptete sich lautstark. Es ist weniger rational gestaltete Musik, als vielmehr eine gesunde, bodenständige, von der nationalen Folklore beeinflusste, ehrlich empfundene Musik, was in Jurowskis Interpretation jedoch weniger zum Ausdruck kam. Es gab auch hier Parallelen zu den vorher gehörten Werken. Auch hier gibt es einen begleitenden Grundrhythmus, getragen vom Horn (Jochen Ubbelohde), das kontinuierlich die gleiche Tonfolge bläst, aber in anderer Bedeutung. Eine sehr schöne, bewegende Flöte (Rozália Szabó) setzte einen besonderen Glanzpunkt. Mit seinem Dirigat, einschließlich triumphalem Schluss, trug Jurowski dem gegenwärtigen internationalen Trend auf den Konzertpodien Rechnung.

 Ingrid Gerk

 

 

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