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DRESDEN/ Semperoper: „5. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN. Petr Popelka; Antoine Tamestit (Schnittke, Tschaikowsky, Strawinsky)

15.01.2025 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: „5. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN“ – 14.1.2025

Petr Popelka, der tschechische Dirigent des Abends, war zehn Jahre lang Solo-Kontrabassist der Sächsischen Staatskapelle Dresden, bevor er sich ganz dem Dirigieren widmete. Jetzt kehrte er als Chefdirigent der Wiener Symphoniker und außerdem des Radio-Symphonieorchesters Prag zurück – ans Dirigentenpult seiner früheren Wirkungsstätte und überraschte mit einem besonderen Konzertabend, dessen Programm einen Bogen von Alfred Schnittke über Pjotr I. Tschaikowsky zu Igor Strawinsky spannte. Das Wiedersehen mit seinen ehemaligen Mitstreitern war ausgesprochen herzlich und führte zu einer kongenialen Widergabe des „Konzertes für Viola und Orchester“ von Alfred Schnittke, einem zentralen Werk des wolgadeutschen Komponisten, das die ersten 35 Minuten des Symphoniekonzertes bestimmte.

Es bedeutet einen tragischen Wendepunkt in seinem Leben und Schaffen. Er vollendete es zehn Tage, bevor ihn ein erster Schlaganfall ereilte, dem vier weitere folgten und schließlich zum Tod mit nur 63 Jahren führten. Er widmete es dem Bratschisten Yuri Bashmet, der es 1986 mit dem Royal Concertgebouw Orchestra uraufführte. Wie alle Werke Schnittkes ist es von der Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen und der eigenen gesundheitlichen Situation, von Zusammenbruch und Zerrissenheit geprägt, einem „Durchs-Leben-Jagen“, wie er selbst meinte. Nicht zufällig schrieb er kein Solokonzert für die Violine, sondern für die tiefer gestimmte Viola, für die es nur wenige Solokonzerte gibt. Er bevorzugt, entsprechend seiner Gemütsstimmung, die dunkleren Töne und verzichtet auch im Orchesterpart auf Violinen und setzt dafür neben den Holz- und Blechbläsern, Pauken und Schlagzeug Celesta, Cembalo und Klavier ein. In einer Polystilistik aus Elementen der Barockmusik, Romantik und Avantgarde spiegelt er seinen Seelenzustand wider.

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Antoine Tamestit. Foto: Julien Mignot

Den Konzertbesucher empfing eine ungewöhnliche Orchesteraufstellung – der Hauptteil der Musiker rechts vom Dirigenten und hinter ihm, und auf der linken Seite nur Harfe, Tasteninstrumente und der Solist Antoine Tamestit, der das Konzert – ebenso ungewöhnlich – einsam a capella mit einer Solokadenz, die wenig später von Streichern begleitet wird, begann. Der, in Paris geborene und international sehr geschätzte Ausnahmekünstler war unter anderem 2021/2022 Capell-Vituose der Sächsischen Staatskapelle. Sein breit gefächertes Repertoire reicht von der Barockmusik bis zur Gegenwart. Sein besonderes Engagement gilt der zeitgenössischen Musik. Schnittkes Viola-Konzert spielte er 2005 erstmals mit der Dresdner Philharmonie und etwa 30mal vor allem in Mittel- und Nordeuropa.

Seine herausragende Technik, mit der er alle Schwierigkeiten. Doppelgriffe, gezupfte Töne usw. meisterte, ließ ihm genügend Raum für sein sensibles Spiel, mit dem er Schnittkes Seelenzustände zwischen klangvollen Melodien und erschaudernden Ausbrüchen mit farbenreichem Ton auf der allerersten Viola, die Antonio Stradivari gebaut hat, in vielen Facetten seines Könnens, auch schroff, wenn nötig, im Dialog mit dem Orchester in kontinuierlichem Fluss zum Klingen brachte. Die Soloviola spielte oft schöne, eingängige Melodien, wie Hoffnungsschimmer, die dann durch hereinbrechende Orchesterpassagen als grausame Realität übertönt werden.

Solist, Dirigent und Orchester gestalteten dieses innerlich aufwühlende Violakonzert mit gleicher Empfindung und eines Sinnes, harmonierten auch bei disharmonischen Klängen, musizierten im gegenseitigen Miteinander und begaben sich nicht nur an die physischen, sondern auch die psychischen Grenzen, um das Konzert mit Feingefühl in seiner geistigen und seelischen Tiefe auszuloten. Selbst laute Pauken- und Schlagzeugeinsätze und gewaltige Klangwellen hatten bei aller Lautstärke nichts Belastendes, wie um Schnittkes wunde Seele nicht noch mehr zu belasten.

Mit einer feinsinnigen Zugabe, einem mehrstimmigen „Capriccio“ von Henri Vieuxtemps (nach dem Vorbild Bachs) bedankte sich Tamestit für den einhelligen Beifall des Publikums, das Schnittkes Konzert durch ihn und das Orchester unter Popelkas einfühlsamer Leitung verstanden hatte.

Wahrhaft höllische Klänge, dynanisch und voller Feuer im wahrsten Sinne des Wortes führten dann zu Tschaikowskys Sinfonischer Fantasie nach Dante (op. 32) „Francesca da Rimini“, der eine historische Legende zugrunde liegt, die Dante in seiner „Göttlichen Komödie“ verarbeitete. Die schöne Francesca musste aus politischen Gründen den missgestalteten, hinkenden Tyrann von Rimini heiraten, der als Brautwerber seinen schönen Bruder Paolo geschickt hatte. Natürlich verliebten sich beide sofort ineinander, was den grimmigen, ungeliebten Ehemann so sehr erzürnte, dass er beide wegen des Ehebruchs in flagranti erstach, und so endeten beider Seelen in Dantes „Göttlicher Komödie“, an deren Text sich Tschaikowski eng anlehnte, im „5. Gesang“ in ewiger Verdammnis im Höllenfeuer, von furchtbaren Wirbelstürmen umtost, deren dramatische Schilderung man bei dieser Aufführung regelrecht hören, fühlen und „vor dem geistigen Auge“ sogar „sehen“ konnte.

Eigentlich wollte Tschaikowsky eine Oper schreiben, aber sich nicht den Forderungen des Librettisten, sich in Stil und Form an den Musikdramen Richard Wagners zu orientieren, beugen. Es gibt übrigens auch eine Oper über diesen Stoff im italienischen Stil von Riccardo Zandonai, die gelegentlich noch aufgeführt wird.

Popelka leitete die Aufführung mit Umsicht, überließ der Kapelle, deren Qualitäten er bestens kennt, mit ruhigen Bewegungen manche Passage in ihrer feinen, nachempfindenden Art und setzte sich mit Energie für die dynamische, dramatische Seite ein. Nicht auf äußerliche Effekte bedacht, konzentrierte er sich voll und ganz auf die inhaltlich-musikalische Umsetzung des Werkes. Er ist kein „Taktstockakrobat“, sondern Musiker durch und durch.

Als Abschluss erklangen sieben Teile aus Igor Strawinskkys Suite für Orchester aus seinem, für die Ballets Russes geschaffenen, abendfüllenden Ballett „L’Oiseau de feu“ („Der Feuervogel“) in der Fassung von 1919. Mit scharfen Kontrasten, feinen Klängen für die sanfte, zarte Prinzessin und ihre 12 Gefährtinnen und harten Schlägen für die Gewalt des Feuervogels, mit äußerster Dramatik, oft laut, stark akzentuiert und aufwühlend, aber stets in schöner Klarheit lief die Handlung dieses äußerst dramatischen Werkes in Kurzfassung sehr plastisch ab und endete folgerichtig im „Finale“ schlagartig auf dem Höhepunkt.

Ingrid Gerk

 

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