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DRESDEN/ Semperoper: 4. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE (Reimann, Bartok)

am 12.11. (Ingrid Gerk)

13.11.2019 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper:  4. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN 12.11.2019

 Zwei Werke des 20. Jahrhunderts, neun Miniaturen und eine einaktige Oper mit sieben geheimnisvoll verschlossene Türen, standen auf dem Programm des 4. Symphoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden, eine hinsichtlich Publikumsgeschmack gewagte Zusammenstellung, interessant für Kenner und Liebhaber, aber leider auch mit Lücken in den Reihen des Zuschauerraumes, was bei Konzerten der Staatskapelle äußerst ungewöhnlich ist. Die Ferngebliebenen ahnten nicht, welch großartiges musikalisches Ereignis ihnen dabei entgangen ist.

Mit den „Neun Stücken für Orchester“ wurde die Residenz des derzeitigen Capell-Compositeurs Aribert Reimann eröffnet. Darin beschreitet Reimann, der lange Zeit als konservativ galt, neue Wege und löst die Lyrik Paul Celans in aphoristischer Auseinandersetzung in eine rein musikalische Welt auf. Unter der musikalischen Leitung des amerikanischen Dirigenten David Robertson erklangen die neun Orchesterminiaturen in großer Klarheit und entsprechender Artikulationsweite. Sie ließen in ihrer subtilen Querverbindung zwischen Sprache und Musik der Fantasie viel Freiraum für poetische Vorstellungen, obwohl die Texte in keiner Form erscheinen und einzig die Musik die Poesie in dunkel bewegten Klangmassen und scharf profilierten Intervallen zum Klingen brachte, seufzend und klagend, suchend und irrend, mit harten Schlagzeug-Interventionen, aber auch wehmütig und zuweilen versonnen in liebevoll musizierten Kantilenen, bis das Ganze in stummer Fortführung tonlos „verhallte“.

Um geheimnisvoll verschlossene Türen geht es in “Herzog Blaubarts Burg“, Béla Bartóks „Oper in einem Akt“ an der Schwelle zwischen musikalischer Moderne und Neuer Musik, die er dreißigjährig komponierte. Sie beruht auf dem alten Märchen vom frauenmordenden Blaubart, dessen verflossene Geliebte ursprünglich am Leben blieben. Bei Bartók und seinem Librettisten Béla Balázs wird die Geschichte zum Seelendrama und Bartóks Musik erstmals zu seinem Personalstil, der durch die Einbeziehung archaischer volkstümlicher Elemente innerhalb des ungarischen Musiktheaters zu einer Wende führte.

Dieses National-Ungarische wird noch betont durch die Verfügung, dass der Prolog, der – ähnlich alten Theaterstücken – das Publikum mit den Worten „Die Burg ist alt, alt ist auch die Sage, die von ihr geht“ auf die Erzählung einstimmt, um das Folgende „wie ein Hauch, eine Erinnerung“ vor dem inneren Auge ablaufen zu lassen, in Ungarisch zu sprechen sei, was der Dirigent in perfekter Weise im zunächst völlig abgedunkelten Raum befolgte. Es wurde auch im weiteren ungarisch gesungen, wobei deutsche Übertitel das Verfolgen des Textes ermöglichten. Noch während des Prologs wurde es langsam heller und der Dirigent gab dem Orchester, das das lautmalerische Fundament bildete und die unterschiedlichen Situationen in dieser musikalisch äußerst dichten Komposition nicht nur illustrierte, sondern lebendig und unmittelbar erlebbar werden ließ, den Einsatz für die ersten leisen, geheimnisvollen Töne. Am Schluss versank entsprechend der Handlung wieder alles im Dunkel. Das Licht bildete bei dieser konzertanten Aufführung stellvertretend für eine szenische oder halb-szenische Umsetzung die einzige „Requisite“.

Ein Glücksfall war die Verkörperung der Judith durch Elena Zhidkova, die die Partie bereits mit großem Erfolg bei der Premiere an der Mailänder Scala, an der Barbican Hall London und beim Saito Kinen Festival sang sowie am Marinskij-Theater, wofür sie den russischen Theaterpreis, die „Goldene Maske“ erhielt. Ohne zu übertreiben, war sie, auch äußerlich, jung, schlank, schön und unverbildet erscheinend, dazu im passenden Kleid, die Inkarnation dieser Rolle. Mit schöner, ausgewogener Stimme in allen Lagen und starkem Ausdruck beherrschte sie die Balance zwischen unvoreingenommen liebender und unbeirrt bittend-fordernder junger Frau, die Licht, Glück und Freude in Blaubarts dunkle Burg bringen möchte, wo hinter jeder Tür, ob Folterkammer, Waffenkammer, Schatzkammer, Blumengarten, weite Landschaft oder Tränensee, Blut klebt. Noch im schlimmsten Grauen sieht sie jeden Lichtstrahl am Horizont als Hoffnungsschimmer und wird immer wieder schockiert. Die Liebe gibt ihr Kraft und Mut, auch die letzte Tür noch zu öffnen,  wo Blaubarts drei Geliebte, die des Morgens, des Mittags und des Abends auftauchen. Am Ende muss sie, die Licht in das Dunkel bringen wollte, als Frau der Nacht ihren Vorgängerinnen hinter die siebente Tür folgen, um in der Erinnerung die liebste und schönste Frau zu bleiben. „Und immer wird nun Nacht sein… Nacht… Nacht…“.

Das alles vermochte Elena Zhidkova in einer breiten Palette an stimmlichen Möglichkeiten und starkem Ausdruck auch im höchsten Affekt auszudrücken. Sie schien wie geschaffen für diese Rolle. Mit schöner, mühelos klingender Stimme, ausgezeichneter Diktion und Artikulation und starkem Ausdruck war sie die Inkarnation dieser Partie und setzte die Glanzpunkte.

Matthias Goerne bildete den düsteren Gegenpol, der Rolle entsprechend „wortkarg“, herb und derb und in sich verschlossen, verbissen oder auch verbittert, und überzeugte in seiner Art.

Ingrid Gerk

 

 

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