Dresden / Semperoper: 4. AUFFÜHRUNGSABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 11.5.2022
Neben der eigentlichen Orchestertätigkeit pflegen die Mitglieder der Sächsische Staatskapelle Dresden auch intensiv die Kammermusik, die auf den 1854 gegründeten Tonkünstler-Verein zurückgeht, mit 6 Kammer- und vier Aufführungsabenden in der Saison, bei der die Musiker in der Semperoper vor dem Schmuckvorhang in Kammermusikformationen bzw. mit kleinerem / mittlerem Orchester musizieren.
Der vierte Aufführungsabend, bei dem zwei Frühwerke berühmter Komponisten und eine Uraufführung auf dem Programm standen, war in vieler Hinsicht auch ein „Dresdner Abend“, da alle Ausführenden einen unmittelbaren Bezug zu Dresden haben.
Der Dirigent des Abend, Gaetano d’Espinosa, ein „Italiener in Dresden“, begann bei der Sächsischen Staatskapelle als Stellvertretender 1. Konzertmeister und leitete schon wiederholt die Kapelle. Bei diesem Aufführungsabend, den er bisher wegen Corona verschieben musste, trat er zum ersten Mal als Konzert-Dirigent auf.
Christa Mayer kam aus Bayern nach Dresden ins Junge Ensemble der Semperoper und blieb Stadt und Oper treu. Gastspiele führten sie von hier in die Welt und wieder zurück. Sie ist nicht nur deshalb in Dresden sehr geschätzt und beliebt.
Reinhard Krauß blieb, in Dresden geboren, seiner Heimatstadt immer treu und gehört als Konzertmeister der 2. Violinen zu den prägenden Persönlichkeiten der Sächsischen Staatskapelle. Ihm widmete der Dresdner Komponist Jörg Herchet (*1943) sein, 2020 komponiertes und an diesem Abend uraufgeführtes, „Konzert für Violine, Alt und Orchester“, bei dem die Fähigkeiten von Reinhard Krauß und Christa Mayer in besonderer Weise zur Geltung kamen.
Herchets, ca. 25minütiges „Violinkonzert“ ist Teil eines, 1978 begonnenen Zyklus „Das geistliche Jahr“, dem das Gleichnis vom Sämann aus dem Matthäus-Evangelium zugrunde liegt, bei dem ein Korn, je nachdem, ob es auf gutes oder „dorniges“ Land fällt, mehr oder weniger Frucht bringt, weshalb darin das „naturhafte, pflanzliche Wachsen“ mit großem Aufwand an üblichem und extravagantem Instrumentarium aufwändig geschildert wird. Neben Streichern (ohne Violinen), Holz- und Blechbläsern werden auch Bassklarinette, Tenorsaxophon, Kontrafagott, Wagnertuba, viel Schlagzeug, Harfe und Klavier eingesetzt.
Der Violin-Solist ist ständig präsent und gefordert. Der Solopart ist mit allen technischen Schwierigkeiten und Finessen gespickt, die Krauß mit Bravour bis ins Detail mit warmem schönem Ton meisterte. Seine Tongebung verband sich auch wunderbar mit der warmen, schönen Altstimme von Christa Mayer, die die Kommentare interpretierte. Die Mitglieder der Staatskapelle spielten mit den ihnen eigenen hohen Qualitätsansprüchen.
Für Krauß war es gleichzeitig der Abschied von der Staatskapelle, zu der er 21jährig von Herbert Blomstedt in die Reihe der Ersten Geigen geholt wurde und später als Konzertmeister der Zweiten Violinen das Orchester wesentlich mit prägte. Zwei Jahrzehnte lang konzertierte er außerdem als Primarius seines Streichquartetts außerordentlich erfolgreich im In- und Ausland. Bei seiner jugendlichen Erscheinung und seinem stets heiteren Wesen – er betritt die Bühne immer mit einem freundlichen Lächeln ins Publikum und zu seinen Kollegen – erscheint dieser Abschied auf der Höhe seines Könnens – nur sehr schwer vorstellbar, aber die Zeit steht nicht still.
Eingeleitet wurde der Abend mit der „Streicherserenade e‑Moll“ (op. 20) von Edward Elgar, eines seiner meistgespielten Werke, ganz oben in der Gunst des Publikums. Er schrieb als noch weitgehend unbekannter Komponist zunächst drei jugendlich-unbeschwerte „kleine Melodien“, die er 1892 – noch vor seinem Durchbruch – zu einem dreisätzigen Werk zusammenfasste. Mit ihrem unverwechselbaren Klang, ihrer Akkuratesse und Klangschönheit, immer mit höchstem Anspruch widmeten sich die Kapellmitglieder auch dieser heiteren „serenadenhaften“ Musik mit ihrer eingängigen Melodik, leicht und unbeschwert bis schwungvoll und vital.
Im zweiten Teil des Abends erklang die „Symphonie Nr. 2 C‑Dur“ „Roma“ von Georges Bizets, an der der Komponist elf Jahre lang arbeitete und verbesserte. Sie geht zurück auf eine Symphonie, die er bei einer Reise zum Abschluss eines Studienaufenthaltes durch Italien konzipierte und deren einzelne Sätze den Charakter der großen italienischen Städte Venedig, Florenz und Neapel einfangen sollten. Letztendlich blieb jedoch nur der Titel „Roma“, als nach 11jähriger Umarbeitungszeit das Werk nach seinem frühen Tod uraufgeführt wurde und danach im Druck erschien.
Das Orchester spielte auch hier mit der ihm eigenen Hingabe und Einfühlungsvermögen und ließ die vielfältige Stilistik und vielfarbige Charakteristik von zart und sensibel, frisch bis temperamentvoll und stürmisch erkennen. Es war ein vielgestaltiger, sehr interessanter Aufführungsabend mit vielen Facetten.
Ingrid Gerk