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DRESDEN/ Semperoper:   3. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT RUDOLF BUCHBINDER UND MIRGA GRAZINYTE-TYLA

22.11.2023 | Konzert/Liederabende
Dresden/Semperoper:  3. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT RUDOLF BUCHBINDER UND MIRGA GRAZINYTE-TYLA – 21.11.2023

Da Franz Welser-Möst krankheitsbedingt das Konzert zum Jahresende bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden absagen musste, kam es zu einem Ringtausch der Dirigenten, Tugan Sokhiev übernahm das Silvester-Konzert, und das 3. Symphoniekonzert leitete die junge, aus Litauen stammende Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, von 2016 bis 2022 Musikdirektorin des City of Birmingham Symphony Orchestr, mit dem sie auch bei den Dresdner Musikfestspielen zu Gast war. Sie änderte das Programm, so dass statt Schostakowitsch und Mozart nun Mieczysław Weinberg, Ludwig van Beethoven und Ralph Vaughan-Williams in einer ungewöhnlichen Reihenfolge zu erleben waren. Solist blieb Rudolf Buchbinder.

Für die Musik Mieczysław Weinbergs scheint sie ein besonderes Faible zu haben. So feinsinnig, so klar und transparent hört man seine „Symphonie Nr. 3 h‑Moll“ (op. 45) selten, so dass auch der logische Aufbau mit allen Details sehr deutlich nachvollziehbar war. Trotz seines ungewöhnlich schweren Lebens – Weinberg entkam als einziger seiner Familie der Ermordung im Holocaust durch seine Flucht in die Sowjetunion (weitgehend zu Fuß), wo er wieder ständig Verfolgung und Flucht ausgesetzt war – überwiegt, vielleicht gerade als Gegenpol, eher die melodische Komponente, der Einfluss jüdischer Folklore (wenn auch anders als bei Schostakowitsch), ein Bezug zur Romantik und klare Tonalität,  Das motorische Element hat bei ihm weniger Bedeutung, obwohl er mit Schostakowitsch eng befreundet war und sich beide gegenseitig ihre Werke vorlegten.

Weinbergs Musik zeigt einen gezügelten emotionalen Ausdruck, der manchmal beinahe klassizistisch anmutet. Diese Individualität wurde von der Dirigentin mit verhaltenen Gesten besonders herausgearbeitet, langsam, ruhig, zelebrierend, bis zu einem langsam verschwebenden Echo. Über der Sinfonie lag, besonders bei einzelnen heiteren Passagen, ein fast frühlingshafter Hauch von Frische und Hoffnung. Die Holzbläser stimmten eine liebliche Passage an, die die Streicher fortführten. Die Klarinette steuerte ihre Leuchtkraft bei. Mitunter wurden liebliche, sanfte, behutsame Passagen von vehementen, fast bedrohlich hereinbrechenden und wie Getümmel die Szene beherrschenden unterbrochen, aber der Gesamteindruck blieb doch von den freundlichen, fast träumerisch schwebenden Empfindungen bestimmt.

In die Epoche der („tatsächlichen“) Klassik führte dann Rudolf Buchbinder die Besucher mit dem „Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C‑Dur (op. 15) von Ludwig van Beethoven. Er hat Beethovens Klavierkonzerte schon oft gespielt, auch mit der Sächsischen Staatskapelle, dennoch erscheint seine Wiedergabe bei jedem seiner Auftritte immer wieder neu und spannend. Bei ihm geht kein Ton verloren. Er spielt stets mit gleicher Akkuratesse, Esprit und Spontaneität, aber auch großem Einfühlungsvermögen.

Er spielt immer so, als wäre es das einzige und wichtigste Konzert. Sein differenzierender Anschlag, seine relativ schnellen, perlenden Läufe begeistern immer wieder. Er versenkt sich in Beethovens Intentionen, bringt sie zum Klingen und lässt die Zuhörer teilhaben.  Es ist ein Genuss, ihm zuzuhören. Bei ihm gibt es keine Routine. In den vielen Jahren seines pianistischen Wirkens haben seine Interpretationen nichts von ihrer Brillanz und Besonderheit verloren, sooft er sie auch gespielt hat. Er ist innerlich jung geblieben und begeistert auch immer wieder junge Zuhörerinnen und Zuhörer.

Die anfänglichen minimalen Unstimmigkeiten im Orchester legten sich schnell, dann folgten die Musiker dem Duktus des Solisten auf gleicher Wellenlänge in einem gegenseitig inspirierenden Dialog zwischen ihm und allen Instrumentengruppen bis zu den Kontrabässen. Die Dirigentin hielt sich zurück, steuerte aber einige, im Verhältnis zu dem feinfühligen Solopart herbe, Orchesterpassagen bei.

Zu einem weiteren Höhepunkt des Konzertes gestaltete sich Buchbinders Zugabe, die er mit den schlichten Worten „ein ‚Impromptu‘ von Franz Schubert“ ankündigte. Allgemein bekannt, von vielen Musikliebhabern selbst gespielt, war dieses Impromptu in voller Länge aber wohl nie so einfühlsam und ausdrucksstark zu erleben wie bei ihm.

In ungewohnter Reihenfolge schloss die „Fantasia on a Theme by Thomas Tallis“ („Tallis Fantasia) für Streichorchester von Ralph Vaughan Williams nach einem Thema des englischen Komponisten Thomas Tallis aus dem 16. Jahrhundert, uraufgeführt beim Three Choirs Festival in Gloucester, das Konzert ab – zum Abschluss etwas Heiteres, Leichtes? Hier kamen die spezifische englische Melodik und die speziellen Klangwirkungen nach englischem Geschmack zum Ausdruck. Schwebend und verträumt, versonnen breitete sich die Musik aus. Gute Soli von Violine (Robert Lis) und Bratsche (Sebastian Herberg), solo, im Dialog wie in einer beseelten Zwiesprache zwischen den beiden Instrumenten, und mit sanfter Begleitung der Streicher im Orchester setzten leuchtende Akzente.

Bei dieser Ruhe und Beschaulichkeit konnte sich die Phantasie entfalten und das Meer, die englische Landschaft und zum Schluss am späten Abend einen schönen „Sonnenaufgang“ phantasievoll assoziieren.

Ingrid Gerk

 

 

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