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DRESDEN/ Semperoper: 3. AUFFÜHRUNGSABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN

20.04.2015 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: 3. AUFFÜHRUNGSABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN 20.4.2015

 

Am Pult des 3. Aufführungsabends der Sächsischen Staatskapelle Dresden stand der estnische Dirigent Andres Mustonen, dem der Ruf einer „Künstlerpersönlichkeit der genialischen Sorte“ mit ganz eigenen künstlerischen Vorstellungen und Gedanken vorausgeht.

 Er eilte denn auch mit sehr eigenwillig zügigem Tempo durch die beiden Werke der Klassik, die eingangs gespielte „Sinfonia g‑Moll (Murray RWV A42) des böhmischen Komponisten Antonio Rosetti (1750-1792), auch als Anton Rös(s)ler bekannt, und abschließend die „Symphonie Nr. 2 B‑Dur“ (D 125) von Franz Schubert.

 Die, von dem Dichter, Komponisten und Gelehrten C. F. D. Schubart wegen ihrer „Grazie und Schönheit“ von „unendlich feiner Natur“ gerühmte „Sinfonia“ Rosettis nahm Mustonen „im Sturm“, so dass – was bei der Sächsischen Staatskapelle äußerst selten vorkommt – einige wenige Einsätze doch nicht ganz so exakt wie gewohnt kamen und sich die der „Sinfonia“ eigene reiche Harmonik und Expressivität nicht in dem Maße entfalten konnte, wie es möglich gewesen wäre und den Mitgliedern der Kapelle stets angelegen ist.

 Diese im bayrischen Wallerstein 1787 verfasste „Sinfonia“, die einzige Sinfonie in Moll überhaupt, bildet den Höhepunkt in Rosettis Schaffen, und wer Rosettis Kompositionen kennt, weiß, welch mitreißender melodischer Erfindungsreichtum in dieser Musik steckt, die sich bei dieser allzu zügigen und sehr „gegenwärtigen“ Interpretation auch dem aufmerksamsten Zuhörer kaum erschließen konnte. Die Musiker spielten trotz des bis an die spieltechnischen Grenzen eines Orchesters reichenden Tempos möglichst exakt und ließen im 3. und 4. Satz auch feinere, dieser Musik entsprechende, Episoden anklingen, bis der Dirigent wieder sein forcierendes Tempo forderte. Temperament und Tempo sind nicht alles. Hier wäre Gelegenheit gewesen, mit den spezifischen Qualitäten der Kapelle die Musik dieses zu Unrecht wenig bekannten Komponisten dem Publikum nahe zu bringen.

 Wesentlich mehr Sorgfalt verwendete Mustonen auf die deutsche Erstaufführung der Komposition „Warum“ für Flöte (auch Bassflöte), Klarinette (auch Bassklarinette) und Streichorchester (2014) der weltweit renommierten, in Tschistopol (Tatarische Republik) geborenen russischen Komponistin Sofia Gubaidulina, eine „der großen  Stimmen in der zeitgenössischen Musik“.

 Das einsätzige, 30minütige Werk, eine Auftragskomposition für verschiedene Musikfestivals sowie der Sächsischen Staatskapelle, dessen deutsche Erstaufführung an diesem Abend in Anwesenheit der Komponistin und Capell-Compositrice 2014/2015 stattfand, enthält die ‘Frage nach der Ursache von Schmerz‘, wie die Komponistin selbst äußerte. In einer Art eigener Tonalität entwickelt sich das Werk als ‘Drama‘, dessen klangliche Entwicklung von der Unvereinbarkeit der Intervallbeziehungen der großen und kleinen Sekunde, die aus dem Klang eines vibrierenden Unisono entstehen, beeinflusst wird.

 Hier hatte die Kapelle Gelegenheit mit der ihr eigenen Perfektion Klangsinnlichkeit und Feinheiten herauszuarbeiten. Ein Sonderlob verdienen die beiden Solisten, die in Korrespondenz mit den Streichern je zwei Instrumente im Wechsel zu spielen hatten, Sabine Kittel, die versierte Soloflötistin der Kapelle, die auch hier wieder Bewunderung verdiente, die Flöte und Bassflöte und Christian Dollfuß, Solo-Bassklarinettist des Orchesters, die Klarinette und Bassklarinette. Es gab auch besondere Effekte in diesem Werk, wie leise Glissandi und das Schlagen der Kontrabässe nur mit dem Bogen, was bei den ausführenden Kapellmusikern erstaunlich musikalisch klang.

 Sabine Kittel ließ es sich nicht nehmen, auch in Franz Schuberts „2. Symphonie“  wieder die Solo-Flöte zu übernehmen. Hier orientierte Mustonen wieder auf Schnelligkeit und Lautstärke. Es blieb kaum Zeit und Raum für Feinheiten. Auch wenn es sich um eine „Jugendsymphonie“ handelt, die Schubert nach dem Abschluss des Wiener Stadtkonvikts schrieb und dem Direktor der Bildungseinrichtung widmete, verrät sie doch seine große Genialität und enthält bewundernswerte musikalische Wendungen und Details, die eine sorgsame Gestaltung verdient hätten.

 Durch die ziemlich „überhöhte Geschwindigkeit“ hatte man nicht selten den Eindruck von „Motorik“ und sich überstürzenden Klangmassen, fernab aller klassischen Klarheit. Von dem sensationsorientierten Dirigat ging hier kaum eine entsprechende Inspiration zur Umsetzung des musikalischen Gehalts aus. Die Symphonie wirkte massiv, punktgenau von der Pauke unterstrichen. Es entstand ein inneres Spannungsfeld, das der Symphonie nicht in ihrer Art entsprach.

 „Verachtet mir die Meister nicht“ und die musikalischen Werte der Vergangenheit, auch nicht wegen einem interessanten, neuen Werk. Mag sein, dass das Publikum andernorts sensationsgeladene Interpretationen bevorzugt, von der Sächsischen Staatskapelle erwartet man immer höchste Qualität, denn das Orchester vermag, die Kompositionen aller Jahrhunderte in ihrer spezifischen Eigenart und Bedeutung wiederzugeben, sich mit Engagement und vor allem Werkverständnis in jede Stilrichtung und jede Wesensart eines Komponisten hineinzudenken, so dass sowohl die Spezifik des Werkes und seiner Zeit als auch das gegenwärtige musikalische Empfinden eine gute Symbiose eingehen, denn auch die Komponisten vergangener Jahrhunderte haben uns noch viel zu sagen.

 Jede Komposition hat die ihr immanenten Gesetzmäßigkeiten, die es nachzuspüren gilt, eine Fähigkeit, über die die Mitglieder der Kapelle in besonderem Maße verfügen und die hier kaum wirksam werden konnte, ein großer Schatz, der gehütet werden sollte. Allzu langsame Tempi entsprechen nicht mehr dem heutigen Musikempfinden, aber es sollte auch nicht übertrieben werden, denn „alles hat seine Zeit“ bzw. sein Maß.

 Ingrid Gerk

 

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