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DRESDEN/ Semperoper: „2.  SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN“ MIT TON KOOPMANN UND ROBERT OBERAIGNER

12.10.2022 | Konzert/Liederabende
 Dresden/Semperoper:  „2.  SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN“ MIT TON KOOPMANN UND ROBERT OBERAIGNER –  11.10.2022

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Foto: Staatskapelle

Ton Koopman, der Spezialist für Alte Musik, Organist, Cembalist, Liedbegleiter, Leitfigur der historischen Aufführungspraxis und Gründer von Amsterdam Baroque Orchestra und Amsterdam Baroque Choir (ABO&C), einem der führenden Barock-Emsembles weltweit, mit dem er sehr erfolgreich in allen Musikzentren gastiert, stand in den vergangenen Jahren „nebenbei“ auch am Pult der bedeutenden Orchester Europas und Amerikas, darunter Berliner Philharmoniker, Concertgebouw Orchestra, New Yorker Philharemonic, Münchner Philharmoniker und Wiener Symphoniker. Damit begab er sich auf ein Terrain, das für ihn „Neue Musik“ bedeutet, zu der bei ihm auch schon Carl Maria von Weber, Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn gehören, die auf dem Programm des von ihm geleiteten 2. Symphoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden standen, Komponisten und Werke, die zum „Kernrepertoire“ der Staatskapelle gehören.

 Zunächst fiel eine etwas andere Sitzordnung des relativ kleinen, fast kammermusikalischen Orchesters auf, bei der die 2. Violinen neben den ersten saßen, was aber in der Vergangenheit auch schon von anderen Dirigenten praktiziert wurde und nur geringe Klangunterschiede bewirkte.

Eröffnet wurde das Konzert mit Webers Ouvertüre zur Oper „Der Freischütz“ (op. 77) in einer etwas anderen Sicht als gewohnt, mit mehr Beschaulichkeit und einigen effektvollen (Kunst-)Pausen. Die ersten Paukenschläge gelangen besonders geheimnisvoll, von den dunklen Tönen des Kontrabasses ergänzt. Koopman baute darauf eine geheimnisumwitterte Stimmung in volkstümlich beschaulicher Atmosphäre auf, wobei die Anklänge an die „Wolfsschlucht“-Szene nicht im Fokus standen. Die Hörner ertönten aus dem Hintergrund und stimmten auf das Geschehen ein, gefolgt von der Klarinette, die der gebürtige Österreicher Robert Oberaigner, Soloklarinettist der Staatskapelle, spielte, der anschließend im „Klarinettenkonzert A-Dur“ (KV 622) von Wolfgang Amadeus Mozart als exzellenter Solist aus den eigenen Reihen auftrat. Später spielte er wieder im Orchester, was für seine Uneitelkeit, starke Kondition und Musizierfreude spricht.

Anders als Sabine Meyer entschied er sich für die A‑Klarinette, mit der er allen technischen Ansprüchen voll und ganz gerecht wurde. Mozart hatte seinerzeit für das Konzert, das er einen Monat vor seinem Tod fertigstellte, zunächst ein Bassetthorn in G bestimmt und später eine „chromatische Bassetterweiterung der A-Klarinette um eine Terz nach unten“ vorgesehen, vermutlich in Zusammenarbeit mit dem Widmungsträger, dem damals berühmten Anton Stadler, so dass die Wahl des Instrumentes eigentlich dem Solisten/der Solistin überlassen ist, wesentlich ist nur, wie der Solopart bewältigt und gestaltet wird. Das vermochte Oberaigner souverän, mit Bravour, unveräußerlicht, mit geschmeidigem, einschmeichelndem Ton, hoher Präzision, feiner Dynamik, fließenden Läufen und ureigenster Musikalität, mitunter wie mit zwei Stimmen auf einem Instrument im Dialog.

Ohne Starallüren, nur dem Dienst an der Musik verpflichtet, meisterte er locker, spielfreudig und klangschön den 1. Satz. Kein Wunder, dass bereits (bewusst oder in Unkenntnis) danach schon „Szenenapplaus“ aus den Reihen des Publikums erscholl, das aber noch zwei weitere brillant musizierte Sätze genießen konnte, den sehr klangvoll, fast feierlich, mit edler Tongebung, feinstem Pianissimo und musikalischem Feingefühl in relativ langsamem Tempo vorgetragenen 2. Satz und den fröhlichen, dynamisch mitreißend, lebensfroh und mit echter Musizierfreude dargebotenen 3. Satz. Seine Kolleginnen und Kollegen in einer noch kleineren Orchesterbesetzung als bei der „Freischütz“-Ouvertüre waren ihm echte Partner, folgten ihm in jeder Phase, setzten die Klänge der Soloklarinette im Orchester fort und „antworteten“ mit ihren Instrumenten – ein glückliches Miteinander auf „gleicher Wellenlänge“.

Koopman ließ dem Solisten Zeit zum Atmen und Raum zur Gestaltung und richtete sich im Tempo ganz nach ihm, wobei der 2. Satz eine kleine Straffung vertragen hätte. Es war eine ungezwungene Musizierweise, fernab von Hektik und veräußerlichtem Virtuosentum, die auch ein wenig an geruhsamere Zeiten denken ließ und dem Solisten eine individuelle Entfaltung ermöglichte. Bei aller Meisterschaft und Virtuosität war es auch ein echter Hörgenuss. Nicht nur vom Publikum kam deshalb begeisterter Applaus für Oberaigner, auch von Orchester und Dirigent.

Man blieb danach noch „ein wenig“ bei Mozart. Was hätte nach diesem Konzert auch besser gepasst! Die seinerzeit für die Karnevalsfeiern 1776 in Salzburg geschriebene „Serenade Nr. 6 D‑Dur“ (KV 239), die bekannte, „Serenata notturna“, begeistert immer noch und immer wieder mit ihrer ungewöhnlichen, sehr effektvollen Besetzung von zwei Orchestern im Stile eines Concerto grosso, das erste mit zwei Soloviolinen, einer Bratsche und Kontrabass, das zweite mit Tutti-Streichern und Pauken.

Zunächst kontrastierten Solostimmen und Tutti, dann ließ Koopman als besonderen Effekt die Pauken laut „dröhnen“, ein bisschen zu viel des Guten, auch wenn es der historischen Aufführungspraxis entsprochen haben mag. Dann folgten die zarten Pizzicati der Tutti-Streicher. Kleine Solo-Kadenzen von Erstem Konzertmeister (Matthias Wollong), Konzertmeister der Zweiten Violinen (Holger Grohs), Bratsche (Florian Richter), Cello (Friedwart Christian Dittmann), Kontrabass (Andreas Ehelebe) und Kesselpaukenwirbel gaben den Musikern, die sich „die Bälle zuspielten“, Gelegenheit, ihre virtuosen Fähigkeiten zu präsentieren und lockerten die ohnehin sehr spielfreudige Serenate noch weiter auf. 

Koopman sucht das Authentische, Individuelle, Ursprüngliche. Er geht von der Musizierpraxis der Alten Musik aus, die zwar zu Mozarts Zeiten auch noch aktuell war, aber die Gefahr in sich birgt, Mozarts Musik etwas von ihrer unbekümmerten, oft „überschäumenden“ Lebensfreude (auch wenn ihm wohl oft nicht danach zumute war) zu nehmen. Hier wurde sie durch gewollte Authentizität und die „vorlaute“ Pauke, die möglicherweise historischer Musizierpraxis entsprach, ein bisschen „ausgebremst. Sei’s drum, es war ein musikalischer Spaß, Mozart einmal anders, unterhaltsam auf hohem Niveau. Dem Publikum hat’s gefallen.

Bei Joseph Haydns „Symphonie Nr. 100 G‑Dur“ (Hob. I:100), der sogenannten „Militärsymphonie“, die eigentlich keine solche wirklich ist und von Nikolaus Harmoniert als „Anti-Militärsinfonie“ bezeichnet wurde, wurde das Orchester wieder größer, und der gewohnte Staatskapellen-Klang stellte sich ein. Der Titel „Militärsinfonie dürfte nicht Haydns wohlwollendem Humor entsprochen haben, sondern eher kommerziellen Absichten, die auch im damaligen England, wo die Sinfonie uraufgeführt wurde, nicht unwichtig waren. Militärmusik hatte damals etwas Prickelndes und war sehr beliebt. Die Sinfonie überrascht mit zahlreichen Einfällen, effektvollem Instrumentarium und türkischer Janitscharenmusik. „Die Überraschung kann vielleicht in der Musik nicht weiter getrieben werden, als sie es hier ist“, schrieb damals die Presse.

Koopman stellte Erfindungsreichtum und Effekte besonders heraus. Die Schlagzuggruppe war bereits separat und gut sichtbar aufgestellt. Die Janitscharenmusik dröhnte übermütig mit Schlagwerk, Trommel, Becken und Triangel. Das wesentlich größere Orchester hatte entsprechend vollen Klang. Bei etwas langsamerem Tempo konnte genussreich ausmusiziert werden. Von „getupft“ bis temperamentvoll war alles dabei – eine vergnügliche Wiedergabe, die den unbeschwerten Abend abschloss.

Ingrid Gerk

 

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