Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DRESDEN/ Semperoper: 11. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER MYUNG-WHUN CHUNG – ALS „VARIATION 11“

20.06.2021 | Konzert/Liederabende

 

Dresden / Semperoper: 11. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER MYUNG-WHUN CHUNG – ALS „VARIATION 11“ – 19.6.2021

0568 chung
Myung Whun Chung. Foto: Sächsische Staatskapelle

Den Auftakt für die, nach dem Lockdown wieder mit Publikum stattfindenden, Konzerte der Sächsischen Staatskapelle Dresden bildete die (dreimalige) Aufführung des 11. Symphoniekonzertes – als „Variation 11“ wegen der wie überall begrenzten Besucheranzahl und kürzeren Aufführungsdauer. Von dem ursprünglich vorgesehenen Programm der „Tanz- und Traumwelten“ mit Kompositionen von Gabriel Fauré, Claude Debussy („La mer“) und Maurice Ravel („Daphnis et Chloé“ und „La valse“) blieb nur die Suite „Pelléas et Mélisande“ (op. 80) von Fauré, ein Hauptwerk des Symbolismus, kombiniert mit der „Symphonie Nr. 9 e‑Moll (op. 95) „Aus der Neuen Welt“ von Antonín Dvořák.

In der Suite, in der Fauré seine, für die Londoner Erstaufführung (1898) verfasste, erfolgreiche Bühnenmusik zu dem gleichnamigen Theaterstück des belgischen Autors Maurice Maeterlinck, das später auch Debussy, Schönberg und Sibelius zu ähnlichen Kompositionen anregte, verarbeitete, begab er sich in eine geheimnisvoll-düstere Traumwelt. Von den sieben Musikstücken und vielen kleinen Orchestereinwürfen der Bühnenmusik übernahm er vier Stücke in die Suite, die bis heute in den Konzertsälen beliebt sind, allen voran die „Sicilienne.

Offensichtlich glücklich, wieder mit und für Publikum musizieren zu können, spielten die Musiker unter der Leitung des Ersten Gastdirigenten der Kapelle, Myung-Whun Chung, mit großer Hingabe, Exaktheit und Leidenschaft, nicht nur die eingängige „Sicilienne – die in besonderem Maße -, sondern die gesamte Suite, so klar, so durchsichtig und klangschön, dass die halb reale, halb traumhafte Welt des zugrundeliegenden Dramas, das auch von Debussys Oper „Péleas & Melisande“ bekannt ist, unwillkürlich in der Fantasie entstand.

Bei dieser meisterhaften Wiedergabe wurde die ganze Emotionalität dieses Meisterwerkes deutlich. Von den ersten, mit äußerster Feinheit zelebrierten Tönen des „Prélude“, über die lebhafte „Fileuse“, die bekannte „Siciliennemit ihrer eigenwilligen, von Harfenklängen unterstrichenen, Melodik bis zum düsteren „Mort de Mélisande“ wurde in dynamischer Steigerung eine einzigartige Spannung aufgebaut, die Charakter und Stimmung der Handlung in besonderer Weise traf. So fein zelebriert, wie das Stück begonnen hatte, ließ es Myung-Whun Chung auch ausklingen. Bei dieser äußerst transparenten, klangschönen Wiedergabe wurde die große Emotionalität des Stückes mit all ihren Details und sensiblen Feinheiten ausgelotet, wie es nur sehr selten zu erleben ist – eine exzellente Wiedergabe..

Fast zeitgleich wie sich Fauré in die Traumwelt von „Pelléas et Mélisande“ vertiefte, brach Dvořák in eine ganz andere, reale, die „Neue Welt“ auf, wo er seine berühmte „Neunte“ schuf. Seinem Auftrag gemäß, eine neue nationale amerikanische Musikkultur zu entwickeln, beschäftigte er sich mit indianischer Musik und Negro-Spirituals, blieb im Grunde seines Herzens aber seiner böhmischen Heimat und ihrer Musik eng verbunden, was sich in der Symphonie vielfach wiederspiegelt. So ist es wahrscheinlich auch die Vielseitigkeit und die ineinander verwobenen Themen, die den besonderen Reiz dieser Symphonie ausmachen.

Unter den vielen Möglichkeiten, die Symphonie zu interpretieren wählte Chung eine mitreißende, emotional aufgeladene, bei der weniger die gemütvolle tschechische (böhmische) Seite im Vordergrund stand, sondern eine sensationelle. Er ließ zunächst die langsame, wehmütige Einleitung sehr fein und sensibel beginnen, der in schönstem Unisono bezaubernde Streicherklänge folgten, was dann mit zunehmender Vehemenz mit sauberen Hörnern, sehr schönen Holzbläsern und inniger Flöte mit dem gesamten Orchester, begleitet von sehr harten Paukenschlägen ins Grandiose gesteigert wurde und am Schluss des Satzes mit Urgewalt donnernd endete.

Im zweiten Satz, von Dvořák als ‚Legende‘ bezeichnet und von einer Szene aus dem National-Poem „Hiawatha“ des amerikanischen Dichters Longfellow angeregt, das er durch die Übersetzung seines Landsmannes J. V. Sladek kennengelernt hatte, kamen die besonderen Qualitäten der Kapelle im leidenschaftlichen Trauermarsch, der Totenklage des Helden für seine verstorbene treue Gefährtin, mit sauberen Bläsern, schmerzlich-melancholisch singendem Englischhorn und Vogelgesang imitierender Flöte zum Tragen und ließen den Satz in erhabener Ruhe ausklingen.

Der dritte Satz, das Scherzo, begann rhythmisch punktiert, den Festtanz der Indianer zur Hochzeit Hiawathas vorbereitend, brachte aber dann, nicht zuletzt mit einer typisch tschechischen, sprunghaften Walzermelodie und sauberen Hörnern die Sehnsucht nach der böhmischen Heimat zum Ausdruck. Der vierte und letzte Satz, der mit vollem Orchester, von Dynamik erfüllt, mit fast schrillen Bläsern marschartig energisch, fast pathetisch von der „Neuen Welt“ kündet und mit Klarinetten dagegen die Sehnsucht nach Dvořáks Vaterland ausdrückt, wurde zu einem mitreißenden triumphalen Höhepunkt geführt und klang leise und verhalten aus.

Als große Überraschung begann die Kapelle schon ohne Dirigent als Zugabe mi dem hinreißend gespielten „Ungarischen Tanz Nr. 5“ von Johannes Brahms, schon oft gehört, aber noch nie mit solcher Präzision und gleichzeitig überschäumendem Temperament. Da konnte sich auch Chung nur noch von den „Klangwogen“ mitreißen lassen.

Ingrid Gerk

 

 

Diese Seite drucken