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DRESDEN/ Semperoper: 10. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER HERBERT BLOMSTEDT, DEM NEU ERNANNTEN EHRENDIRIGENTEN

07.05.2016 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: 10. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER HERBERT BLOMSTEDT, DEM NEU ERNANNTEN EHRENDIRIGENTEN – 7.5.2016

Herbert Blomstedt, dem ehemaligen und langjährigen Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle Dresden (1975 – 1985), der immer wieder ans Kapellpult zurückkehrt, mehr als 300 Konzerte der Kapelle dirigiert und gut 150 Schallplatten und CDs gemeinsam mit ihr eingespielt hat und auch der Dirigent der ersten Amerika-Tournee des Orchesters war, wurde nun beim 10. Symphoniekonzert (am ersten der drei Aufführungstage (5.5.)) der Titel eines Ehrendirigenten der Sächsischen Staatskapelle Dresden verliehen, der bisher nur Colin Davis zuteil geworden war.

Die Wertschätzung und gute Zusammenarbeit zwischen Blomstedt und der Kapelle besteht auf beiden Seiten gleichermaßen und spiegelte sich auch in diesem Symphoniekonzert wieder. In seinem 89. Lebensjahr ist Blomstedt kein bisschen leise und immer noch bewundernswert „in Form“. „In großer Gründlichkeit, mit überschäumender Liebe zur Musik und stets sehr achtungsvoll im Umgang mit den Musikern und dem Publikum“ wie es in der Laudatio heißt, hatte er mit dem Orchester zwei „tönende Schwergewichte“ erarbeitet.

Mit dem „Klavierkonzert f‑Moll“ (op. 114) von Max Reger, der schon mit 43 Jahren starb und ein reiches musikalisches Oeuvre hinterließ, wurde an dessen 100. Todestag erinnert. Sein (einziges) Klavierkonzert wurde und wird sehr selten aufgeführt. Es war immer umstritten und erschließt sich auch dem heutigen Konzertbesucher nicht gleich beim ersten Hören in all seiner komprimierten Dichte. Man muss es aus der Zeit seiner Entstehung heraus verstehen.

Es enthält nicht die übliche Kadenz, in der der Pianist mit seinem Können brillieren kann, aber es stellt technisch sehr hohe Anforderungen an den Solisten und nicht zuletzt auch an das Publikum. Reger orientiert sich an vielen Vorbildern und Stilrichtungen, vor allem an Bach, Beethoven und Brahms, bis hin zum, vom „Katholiken bis in die Fingerspitzen“ zitierten, protestantischen Choral, im „Inneren“ aber hält er als Musikerpersönlichkeit das „tönende Schwergewicht“, den „Koloss aus Tönen“ mit überreicher Erfindungsgabe und dem ihm eigenen kunstvollen Stil zusammen und verbindet alles mit seinem spezifischen Sinn für Harmonie, so dass alles „bis in die äußersten Zweiglein durchgebildet ist“, was sich aber erst vollständig aus dem Studium der Partitur erschließt und sehr vom Können und musikalischen Verständnis der Ausführenden abhängt. Bei erstmaligem Hören ist es schwer, sofort bis in die kompositorischen und geistigen Tiefen vorzudringen.

Am Beginn des Klavierkonzertes, dieses „empfindsamen Kraftpaketes“, für dessen ausgiebigen Paukeneinsatz Dirigent und Paukist ein sehr gutes Maß an Eindringlichkeit und Eindrucksfähigkeit, angemessener Lautstärke und Anpassung an den Gesamtklang des Orchesters fanden, ist das Vorbild des 1. Klavierkonzertes von Johannes Brahms, von Reger noch überhöht, nicht zu überhören.

Auf den monumentalen 1. Satz (Allegro moderato), der sowohl an Länge, als vor allem durch seinen gewichtigen Inhalt den breitesten Raum einnimmt, durch die gute Interpretation, auch seitens der Kapelle, trotz aller kompositorischen Dichte relativ gut zu verfolgen war und die typisch Regerschen Harmonien nicht „zugedeckt“ wurden, folgte ein beinahe „lyrischer“, gefälliger, sehr ansprechender 2. Satz (Largo con gran espressione) und ein leichterer, lockerer, vom Pianisten fast wie ein Scherzo begonnener 3. Satz (Allegretto con spirito).

Bei der Uraufführung hatte die Pianistin Frieda Kwast-Hodapp den Solopart übernommen, die Reger danach mit einem seiner beliebten Wortspiele als „Kwast-Hutab“ titulierte. Jetzt spielte ihn Peter Serkin, der Sohn des legendären Pianisten Rudolf Serkin, der sich unter anderem gemeinsam mit dem ehemaligen Dresdner GMD Fritz Busch nachhaltig für Regers Werk eingesetzt hat.

Nun kann man, was die Interpretation betrifft, sehr unterschiedlicher Meinung sein. Peter Serkin bewältigte die technischen Schwierigkeiten problemlos, mit relativ „nüchternem“ Anschlag. Er interpretierte den Klavierpart weniger emotional als vielmehr rational und mit Sachlichkeit, wobei es bei allen technischen Schwierigkeiten nicht leicht sein dürfte, das Werk auch noch geistig-emotional zu durchdringen und die einzelnen Elemente zu einem durchgeistigten Ganzen zu verbinden.

Umso mehr gab die Staatskapelle dem Konzert mit dem ihr eigenen Klangideal, insbesondere im 2. und 3. Satz, jene klanglichen Feinheiten und wohlklingenden Harmonien, die Regers Zeitgenossen rühmten und die Reger sogar den Ehrendoktor-Titel der medizinischen Fakultät der Universität Berlin einbrachten, weil er bei vielen Kranken durch seine Musik zur Genesung beigetragen habe.

Das besondere Verdienst von Dirigent, Solist und Orchester besteht in dem Engagement für dieses Konzert, es einmal den Musikfreunden zu präsentieren und damit das Bild der Musikerpersönlichkeit Max Reger und den Blick auf das Genre Klavierkonzert zu erweitern.

Im zweiten Teil des Konzertes erklang dann die „Symphonie Nr. 7 A‑Dur“ (op. 92) von Ludwig van Beethoven, die, „rhythmisch bis in die letzten Details durchgeformt, mit ihrer Entfesselung der Energien lange die Gemüter spaltete“.

Aufgrund des sich in den ersten Takten des 1. Satzes herausbildenden und immer mehr das ganze Werk bestimmenden Rhythmus bezeichnete Richard Wagner die Sinfonie als „Apotheose des Tanzes“. Hector Berlioz verglich den ersten Satz mit einer „ronde de paysans“ („Bauerntanz“). Karl Nef sah eine motivische Anleihe an die Arie „Euch werde Lohn in besseren Welten“ aus „Fidelio“. Andere brachten Beethovens VII. in Anbetracht ihrer Entstehungszeit in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit Napoleon und seinem Russlandfeldzug, ein großer Appell zur Völkerbefreiung, was man auch in Trauer und einem schmerzlichen Aufschrei zu hören glaubt. Die junge Bettina von Arnim schrieb an Goethe, dass sie sich beim Anhören der Musik vorgestellt habe, „den Völkern mit fliegender Fahne voranziehen zu müssen“.

Im Gegensatz zu diesen Auffassungen nahm Blomstedt seine Lieblingssymphonie sehr locker und heiter und in sehr zügigem Tempo, das der Kapelle viel abforderte, aber es wäre nicht die Sächsische Staatskapelle, wenn sie nicht auch das mit Bravour gemeistert und all ihre Tugenden eingesetzt und stets beibehalten hätte. Die Musiker folgten dem Dirigenten mit äußerster Genauigkeit und ihrer sprichwörtlichen Klangschönheit. In Blomstedts Interpretation war es die reine Lebensfreude, ausgeglichen, heiter und klangschön bis in die letzten Töne, ähnlich dem sonnigen Frühlingswetter an den Aufführungstagen. Die eventuelle politische Semantik wurde außen vorgelassen und auch der schmerzliche Aufschrei in Schönklang umgemünzt.

Es ist erstaunlich, wie Beethovens Musik doch in sehr unterschiedlicher Weise interpretiert werden kann, ohne an Substanz zu verlieren. Hier wurde seine 7. Symphonie zu einem heiteren Werk in unerschütterlicher Klangpracht.

 Ingrid Gerk

 

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