Dresden / Semperoper: 1. KAMMERABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 17.9. 2017
Die Konzertsaison 2017/18 der Sächsischen Staatskapelle Dresden hat begonnen. Nach dem 1. Symphoniekonzert unter Christian Thielemann (1./2.9.) bot nun der 1. Kammerabend wieder einigen Mitgliedern der Kapelle ein Podium für ihre solistischen und kammermusikalischen Ambitionen und dem Publikum Gelegenheit, eine Komposition eines hierzulande kaum bekannten zeitgenössischen Komponisten und ein unbekanntes Stück eines bekannten Komponisten kennenzulernen und ein bekanntes Werk wiederzuhören und zu genießen.
Es war eine schöne Geste, dass zu Beginn der Konzertdramaturg der Sächsischen Staatskapelle Dresden und Mitbegründer und Künstlerischer Leiter der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch, Tobias Niederschlag, nach 14 Jahren sehr verdienstvoller Tätigkeit – nein, noch lange nicht in den Ruhestand, sondern für eine neue Tätigkeit in gleicher Funktion beim Gewandhausorchester Leipzig (ab 1.10.), sozusagen „öffentlich“, d. h. unter (An-)Teilnahme des Publikums, das den Weggang sehr bedauert, geehrt und verabschiedet wurde. Seine Einführungsvorträge vor den Symphoniekonzerten waren sehr beliebt, informativ und anregend, und kein Geringerer als Christian Thielemann lobte bei anderer Gelegenheit Niederschlags engagierte Arbeit.
Vielleicht bürgert sich diese schöne, fast in Vergessenheit geratene, Tradition auch bei der Verabschiedung verdienstvoller Mitglieder der Staatskapelle wieder ein.
Mit der Aufführung des ersten Stückes, der 15minütigen „Novelette“ von Isang Yun (1917-1995) wurde des vor genau 100 Jahren, am 17.9., geborenen koreanischen Komponisten gedacht. Er war ein leidgeprüfter Mensch. Häufig „schwappte“ Politik in sein Leben. Er beteiligte sich in Korea am antijapanischen Wiederstand und wurde 1943 verhaftet und gefoltert, erhielt 1955 den Kulturpreis der Stadt Seoul, mit dem er in Paris und Berlin studieren konnte, schloss sich der internationalen Avantgarde an, wurde 1967 vom südkoreanischen Geheimdienst in West-Berlin entführt und in Seoul erneut gefoltert, zu lebenslanger Haft verurteilt und aufgrund internationaler Proteste 1969 freigelassen. Seit 1971 war er deutscher Staatsbürger.
Trotz allem strahlt seine 1980 komponierte „Novelette“ eine gewisse Freude und Zuversicht aus, möglicherweise ein Hoffnungsschimmer, eine politische „Frühlingsstimmung“, als der antidemokratische Präsident Park in Südkorea ermordet wurde und die Opposition ihre Chance kommen sah.
Als „Wanderer zwischen den Welten“ bewegt sich Jun in seiner „Novelette“, einer Auftragskomposition von Radio Bremen, zwischen europäischer und asiatischer Ästhetik. Der Titel basiert auf der von Robert Schumann begründeten Tradition dieser kleinen, feinen Form, aber die Kompositionsweise mehr auf der den Asiaten eigenen intuitiven Kraft. Es gibt keine Melodie, kein Thema, keine Struktur. Alles ist ständig in musikalischem Fluss, flexibel und leicht. Der Einzelton, der für Jun das Leben verkörpert, bestimmt den Fortgang, so dass Phrasierung und Dynamik permanent pausen- und nahtlos verlaufen.
Für Jun ist die Dynamik ein „vitalisierender Schub“, „dass der Mensch keine Sekunde hat zu ruhen, sondern er gezwungen wird, mit der Musik mitzugehen“. Dem folgten die vier Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle mit feinem Spürsinn und brachten das Werk in seiner ungewöhnlichen „Quartett“-Besetzung von Flöte, Harfe, Violine und Violoncello sehr ansprechend und mit liebevoll gestalteten Phrasen zu Gehör. Sie hielten sich an Juns Bemerkung in seiner Partitur, dass das Spiel der Streicher stets distanziert sein und wie aus dem Hintergrund klingen und in das musikalische Geschehen von Flöte und Harfe nicht direkt eingreifen soll.
Von Conradin Kreutzer (1780-1849), einem typischen Vertreter der Frühromantik und des musikalischen Biedermeier, sind bestenfalls noch seine Oper „Das Nachtlager von Granada“ und das „Hobellied“, ein aus seiner Schauspielmusik zu dem Alt-Wiener Zaubermärchen „Der Verschwender“ von Ferdinand Raimund zum Wienerlied avanciertes Couplet bekannt. Im Kammerabend der Staatskapelle konnte man Kreutzer von einer ganz anderen Seite kennenlernen. Sieben Musiker der Staatskapelle hatten sich zu seinem „Septett Es‑Dur“ für Klarinette, Fagott, Horn, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass (op. 62) zusammengefunden und musizierten die sechs Sätze mit Engagement, wenn auch nicht immer ganz in dem bei diesem Orchester gewohnten akribischen Einklang. Besonders gut harmonierten jedoch Klarinette und Horn mit besonders schönem Klang. Es war sehr erfreulich, dieses Werk kennenzulernen.
Bekannt und beliebt ist das „Quintett für 2 Violinen, Viola, Violoncello und Klavier A‑Dur (op. 81) von Antonin Dvorák, das mit einem wohlklingenden „Dialog“ zwischen dem Klavier mit schönem, feinsinnigem Anschlag und „singendem“ Violoncello begann, ein einleitender Hörgenuss, der sich später noch einmal mit diesen beiden Instrumenten wiederholte. Zusammen mit den beiden Violinen und der Bratsche wurde allgemein sehr lebhaft musiziert, die Tänze Dumka und Furiant sehr temperamentvoll, entsprechende Passagen aber auch mit Feingefühl und Sinn für die böhmische Mentalität, immer im musikalischen Fluss.
Es war – wie alle diese Kammerabende – ein interessanter, informativer Abend mit breit gefächertem musikalischem Horizont.
Ingrid Gerk