Dresden/Semperoper: „1. AUFFÜHRUNGSABEND“ DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 22.12.2022
Bei den Aufführungsabenden der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die auf den im Jahr 1854 von Kapellmitgliedern gegründeten Dresdner Tonkünstlerverein zurückgehen, treten die Musikerinnen und Musiker freiwillig und nur durch ein symbolisches „Frackgeld“ „entlohnt“ auf. Obwohl der 1. Aufführungsabend der Konzertsaison so kurz vor Weihnachten stattfand (aus welchen Gründen auch immer), enthielt er kein weihnachtliches Programm, aber heiter wirkende unbeschwerte Werke dreier, sehr unterschiedlicher Komponisten.
Nachdem die Musikerinnen und Musiker für ein mittleres Orchester vor dem Schmuckvorhang Platz genommen hatten, betrat der junge, sympathische Dirigent Mihhail Gerts das Podium und leitete mit eleganten, nicht übertriebenen, aber inspirierenden angenehm geschmeidigen Bewegungen die, ursprünglich für Klavier zu vier Händen komponierte und von Henri Büsser für Orchester bearbeitete, 15minütige „Petite suite“ von Claude Debussy.
Dirigent und Orchester schienen sich auf gleicher Wellenlänge zu bewegen. Mit exzellentem Klang, wunderbarer Klarheit und Transparenz, beschwingt und heiter fingen die Musiker, nach „einer Art musikalischem Seufzer“, der das Werk sofort beliebt machte, die Stimmung und „innere Ruhe und Trägheit auf dem Wasser“ ein, die Debussy so treffend zu charakterisieren verstand, breiteten die poetische Seite nach Gedichten von Paul Verlaines aus und ließen die tänzerischen Momente und das marschartige Thema, das sich als wiederkehrendes Element durch die Suite zieht, durchscheinen. Die Kapelle hatte ihren unverwechselbaren Klang und ihre, stets angestrebte Transparenz und Perfektion der Ausführung wiedergefunden, die schon durch manch anderen Dirigenten abhanden zu kommen drohte.
Von einer ganz anderen Seite zeigte sich das „Harfenkonzert“ (op. 25) des argentinischen Komponisten Alberto Ginastera (1916-1983), der zu Beginn seines Schaffens traditionell argentinisch geprägte Stücke schrieb, sich aber ab den 1950er Jahren der Moderne zuwandte, ohne dabei den Bezug zur argentinischen Volksmusik zu verlieren. Zu seinen bekanntesten Schülern gehörte Astor Piazzolla. Ginastera erhielt 1956 den Auftrag zur Komposition eines Harfenkonzertes für das 1958 in Washington, D.C. stattfindende Inter-Amercan Festival. Die begeistert aufgenommene Uraufführung seines Harfenkonzertes fand jedoch erst nach einigen Verzögerungen bei der Fertigstellung 1965 in Philadelphia mit dem spanischen Meister-Harfenisten Nicanor Zabaleta statt.
Das Konzert entstand in einer Zeit, wo auf allen Gebieten der Kunst Tabus gebrochen und die musikalischen Traditionen auf den Kopf gestellt wurden und sensationelle Effekte Vorrang hatten. Die junge Harfenistin Johanna Schellenberger, seit 2020 Soloharfenistin der Sächsischen Staatskapelle, hatte bei diesem, technische Perfektion voraussetzenden, Harfenkonzert Gelegenheit, ihr sehr vielseitiges Können und ihre harfenistischen Fähigkeiten zu präsentieren. Sie stellte sich den virtuosen Extravaganzen, wie Schlagen auf den Instrumentenkörper, Pedal-Glissandi, Spiel mit den Fingernägeln, Streichen der tiefen Saiten mit der Handfläche usw. mit Bravour.
Der Orchesterpart mit seinen perkussiven Rhythmen, diversen „Knall-Effekten“ und vielfältig eingesetztem, energiegeladenem Schlagzeug geriet mitunter etwas zu stark und drohte zuweilen die Harfe in den Hintergrund zu drängen, aber die Harfenistin setzte sich vor allem im langsamen zweiten Satz, in dem die Harfe in den Vordergrund tritt, durch und bewies auch ihren Klangsinn im dritten Satz bei der ausgedehnten, souverän, mit Charme und traumwandlerischer Sicherheit ausgeführten Solokadenz.
Bei allen Kompositionen strahlte der Dirigent Frohsinn und eine gewisse unbeschwerte Heiterkeit aus, die sich auch auf die Ausführung der live relativ selten zu hörenden sechssätzigen „Serenade Nr. 1 D‑Dur (op. 11) von Johannes Brahms übertrug, die aus seiner Beschäftigung mit den Serenaden Mozarts und den Sinfonien Haydns resultiert und deren Einflüsse das Werk prägen, das durchaus auch romantische und tanzartige Züge enthält. Frisch und fröhlich musizierte die Kapelle in der vielfarbigen Instrumentation mit Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten, Hörnern, Trompeten und Pauken und natürlich den feinsinnigen kontinuierlich zuverlässigen Streichern. Schöne Bläserkantilenen wetteiferten mit sanften Streicherklängen bei Schönklang und froher Stimmung und so hatte dieser Aufführungsabend auch etwas von fröhlicher Einstimmung auf das Fest.
Ingrid Gerk