Dresden / Schlosskapelle: „BACH & SÖHNE“ UND DIE DRESDNER PHILHARMONIE – 10.1.2016
Da die Dresdner Philharmonie seit 2012 über keinen festen Konzertsaal mehr verfügt und man nur hoffen kann, dass der neue, eigene bald fertig wird, „gastiert“ sie an verschiedenen Aufführungsorten, was auch nicht ohne Reiz ist, zumal, wenn es sich um einen so geschichtsträchtigen Ort wie die Schlosskapelle im Dresdner Residenzschloss handelt, ein eindrucksvoller Sakralbau aus dem 16. Jh., bei dem Stilelemente der Spätgotik mit denen der Renaissance genial vermischt wurden. Sie gilt als „Wiege“ der deutschen Musik. Hier wirkte Heinrich Schütz als Leiter der in Deutschland führenden Hofkapelle mehr als 50 Jahre lang. Da er u. a. in Venedig studiert hatte, brachte er auch den Einfluss der italienischen Musik mit nach Deutschland.
Nach der Kriegszerstörung des Schlosses befindet sich diese Schlosskapelle jetzt in einem längeren Zustand der Rekonstruktion, aber die Konzertbesucher sind glücklich über jeden baulichen Fortschritt und froh, wenn sie eine Eintrittskarte erhalten konnten.
In einer, dem Raum angemessenen Besetzung hatte die Dresdner Philharmonie „Bach & Söhne“ als Programm gewählt, bei dem mit, für die Mitglieder der Bach-Familie charakteristischen, Werken ein kurzer, aber prägnanter Eindruck in die Vielfalt der Komponier-Stile dieser Musiker-Persönlichkeiten gegeben wurde.
Johann Sebastian Bach hatte vielfältige Verbindungen nach Dresden. Als „Familienoberhaupt und „Übervater“ eröffnete er das Konzert“ mit seiner bekannten und beliebten „Orchestersuite (Ouvertüre) Nr. 1 in C‑Dur“ (BWV 1066), deren mitreißend festlicher Charakter von den Musikern unter der sachkundigen Leitung von Bernhard Forck an der Violine die Zuhörer mitriss. Bach verstand es, die bereits zu seinen Lebzeiten „in den letzten Zügen liegende“ Kompositionsweise so mit Leben zu erfüllen, dass sie auch in unserer Zeit lebendig und in dieser ansprechenden Interpretation unmittelbar begeisternd wirkte.
Sein zweitältester Sohn, Carl Philipp Emanuel Bach, dessen „Konzert für Oboe, Streicher und Basso continuo in Es‑Dur“ (Wq 165) mit Undine Röhner-Stolle als versierter Solistin folgte, trug bereits einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung. Musik war nicht mehr nur Privileg der Fürsten, sondern auch des aufstrebenden Bürgertums geworden, das das Unkompliziertere, Galante bevorzugte.
Wilhelm Friedemann Bach, der älteste Sohn, dessen kontrapunktischer Komponier-Stil dem seines Vaters am nächsten kam und den Vater Bach für seinen genialsten Sohn hielt, wirkte 18 Jahre als Organist in Dresden, konnte aber trotz Virtuosentum und Genialität nicht recht Fuß fassen, zu hochstrebend und anspruchsvoll war sein Stil und der Kontrapunkt überholt. Bei der Wiedergabe durch die Philharmoniker konnte man sich von dieser Genialität überzeugen. Ausgesprochen klangschön und temperamentvoll wurde die nur zweisätzige „Sinfonie in d-Moll“ (F 65) mit ihrem ernsten, klanglich beeindruckenden 1. Satz „Adagio“, bei dem die klangschönen Flöten auffielen, und dem dazu kontrastierenden fugierten „Allegro“-Satz zu Gehör gebracht. Hier wurde das kontrapunktische Können ganz im Dienst einer sehr bewegten Ausdruckswelt mit dem Reiz des düster-Geheimnisvollen herausgearbeitet.
Der jüngste Bach-Sohn, Johann Christian Bach, hatte sich am weitesten von der Familientradition entfernt. Mit seinem neuartigen Kompositionsstil, den Mozart als Kind bei ihm in London kennengelernt hatte und später zur vollen Entfaltung brachte, hatte er sich weit in die Zukunft vorgewagt. Mit seiner leidenschaftlichen „Sinfonie in g‑Moll“ (op. 6 Nr. 6) wurde das „Familienkonzert“ beschlossen, von den Mitgliedern der Dresdner Philharmonie auf modernen Instrumenten, aber mit viel Temperament und Stilgefühl wiedergeben.
Es müssen nicht immer Instrumente „aus der Zeit“ sein. Engagement, Musikalität und Musizierfreude der Ausführenden können viel bewirken. Die Musiker der Dresdner Philharmonie gestalteten in diesem reizvollen Rahmen einen rundum ausgewogenen abwechslungsreichen Abend voller Wohlklang.
Ingrid Gerk