Dresden/Schauspielhaus: „GEDENKKONZERT FÜR KURT MASUR“ – 12.3.2017
Kurt Masurs künstlerische Laufbahn ist mit der Dresdner Philharmonie eng verbunden. In den 1950er Jahren begann er hier als Assistent von Heinz Bongartz, dem damaligen Chefdirigenten, dessen Schüler er war. Allein die zahlreichen, von ihm geleiteten, Serenaden im Schlosspark Pillnitz erfreuten sich großer Beliebtheit. Die Dresdner hatten ihn sofort in ihr Herz geschlossen und fühlten sich ihm immer sehr verbunden – eine Liebe, die bis heute anhält. Sie waren betrübt, als er von der Dresdner Philharmonie wegging, und sehr erfreut, als er 1967 als Chefdirigent an dieses Orchester zurückkehrte und es bis 1972 in besonderer Weise prägte.
Die Gründung einer Orchesterakademie, mit der die Dresdner Philharmonie ihren besonderen Anspruch, Tradition und Innovation zu verbinden, realisieren möchte, lag ihm sehr am Herzen, und er war gern bereit, ihr seinen Namen zu geben und damit seiner tiefen Verbundenheit mit dem Orchester, dessen Ehrendirigent er ist, Ausdruck zu verleihen.
Wie beliebt er in Dresden war und ist, geht schon allein daraus hervor, dass auch sein letztes Konzert mit der Dresdner Philharmonie, das er im Rollstuhl dirigieren wollte – wie auch das jetzige Gedenkkonzert – ausverkauft war. Viele Dresdner Musikfreunde wollten, da sie sein erstes Konzert in Dresden gehört hatten, auch sein letztes erleben, das aber nicht mehr stattfinden konnte.
Jetzt gedachten die Philharmoniker zusammen mit ihren Substituten der Kurt Masur Akademie e.V. und dem Publikum in einem Benefizkonzert dieses beliebten Dirigenten und Vorbildes. Der Sonntagvormittag begann mit einem Film, 4 Monate vor seinem Tod gedreht, der ihn als wohlwollenden Mentor und Ratgeber junger internationaler Dirigier-Studenten einer Master Class in Wroclaw (Breslau) zeigt, verbunden mit einem kurzen Blick auf die Stadt, in der er studiert und gelebt hat, sowie seine Rolle während der friedlichen Revolution 1989 in Leipzig und als unermüdlichen Dirigenten – auch im Rollstuhl -, der unbedingt noch weitermachen wollte, weil er noch so viele Ideen hatte.
Er wollte das Wesen der Welt, die „Mystery“ des Lebens durch die Musik erkennen und ergründen, um auf diese Weise Hoffnung zu bringen und weltweit für Frieden und Toleranz zu wirken. Ihm lag am Herzen, die Jugend zu fördern, sein Vermächtnis, seine Erkenntnisse an sie weiterzugeben. Er legte der nächsten Dirigenten-Generation nahe, die musikalische Vergangenheit intensiv verstehen zu lernen, um die Zukunft gestalten zu können. Deshalb erklangen in diesem Konzert zwei Werke der Klassik und Romantik, Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart und Zukunft.
Bevor die Intendantin der Dresdner Philharmonie, Frauke Roth, das Wort ergriff, gab Masurs (dritte) Gattin und Schirmherrin der Akademie, die japanische Bratschistin und Sopranistin, Tomoko Sakurai, ihrem Dank mit bewegenden Worten Ausdruck.
Unter der Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling eröffneten die Philharmoniker zusammen mit den Substituten der Kurt Masur Akademie den musikalischen Teil mit der „Sinfonie Nr. 1 C‑Dur“ (op. 21) von Ludwig van Beethoven, die zwar entgegen aller damaligen Konvention mit einer aufsehenerregenden, Musikgeschichte schreibenden, Dissonanz beginnt, danach aber klassischen Gesetzmäßigkeiten – öfters im Sinne Haydns – folgt.
Sanderling lotete die Sinfonie mit schöner Klarheit aus und ließ bereits Beethovens Wesen und Persönlichkeit trotz aller klassischen Strukturen durchblicken. Mit einem auffallenden Ritardando am Beginn des 4. Satzes baute er bewusst eine erwartungsvolle Spannung auf.
Zum besonderen Höhepunkt des Gedenkvormittags (ohne besonderes Gedenk-Datum) wurde die Aufführung des „Konzertes“ für Violine und Orchester D‑Dur“ (op. 35) von Peter I. Tschaikowski mit der 18jährigen Geigerin Lara Boschkor, die schon mehrere 1. Preise gewonnen hat. Sie spielte den Solopart so geschmeidig und klangschön, mit so viel musikalischem Gefühl, wie es nicht jeder „gestandene Solist“ vermag. Was dem für die Uraufführung vorgesehenen Geiger Leopold Auer zunächst als unspielbar“ erschien, bewältigte sie mit bewundernswerter Souveränität, einschließlich der mit allen spieltechnischen Raffinessen und Schwierigkeiten versehenen Kadenz, die sie in all ihren Facetten ausschöpfte.
Beim ersten und letzten Satz verlieh sie der darin enthaltenen Lebensfreude Ausdruck. Beim 2. Satz betonte sie dezent die russische Mentalität und verlieh dem melancholischen, sehnsuchtsvollen „Andante“, das Tschaikowsky besonders schätzte, viel Wärme und klangvolle Poesie.
Unter Sanderlings Leitung „begleitete“ die Dresdner Philharmonie sehr temperamentvoll, die Pauke setzte richtige Akzente, aber es blieb auch genügend Raum für die Entfaltungsmöglichkeit der Solistin, die sich für den begeisterten Applaus mit einer ebenso perfekt wie melodiös, klangvoll und mit überlegener Leichtigkeit gespielten Zugabe, dem „Allegro“ aus der in polyphoner Schreibweise verfassten „Sonate Nr. 2 für Violine solo“ von J. S. Bach bedankte.
Ingrid Gerk