Dresden / Operettentheater: DOPPELABEND: „DIE SCHÖNE GALATHÈE“/„GIANNI SCHICCHI“ – 19.1.2019
Einmal klassische Operette und komischen Opern-Einakter an einem Abend zusammen bringen? Warum nicht, handelt es sich doch um zwei heitere Werke, wenn auch sehr unterschiedlicher Prägung. Angekündigt wird ein Doppelabend als „doppelter Genuss“, dem man durchaus zustimmen kann, je nachdem, wie hoch man die Ansprüche stellt. In der Operette ticken die Uhren anders bzw. können – anders als in der Oper – die Proportionen verschoben sein. Hier stand nicht unbedingt die Musik im Vordergrund, sondern vor allem die witzig pointierte Handlung und zwei sehr ansprechende Bühnenbilder, in denen die beiden Stücke auf leichte, heitere Art in Szene gesetzt worden sind.
Axel Köhler, von 2009 bis 2016 Intendant der Oper Halle (die nach seinem Weggang einen erheblichen Einbruch an Besucherzahlen erlitt), Countertenor und Regisseur, kurz, ein Vollblut-Theatermann und leidenschaftlicher Streiter für das Musiktheater, hat jetzt seine Fähigkeiten in den Dienst der Staatsoperette Dresden gestellt, wie die Besucherzahlen zeigen – mit großem Erfolg. Bei ihm ist die Operette keinesfalls tot – im Gegenteil, da hat man den Eindruck, dass sie gerade wieder wie ein Phönix aus der Asche steigt.
Nach vielen vergeblichen Hoffnungen – auch des Publikums – dass er der neue Intendant der Semperoper oder wenigstens des Operettentheaters würde, entschied das „Schicksal“ anders. Jetzt wird er der neue Direktor der Dresdner Hochschule für Musik – für die Hochschule ein Glück, für die Liebhaber von Oper und Operette ein bitterer Wermutstropfen, denn er verstand und versteht es immer wieder meisterhaft, mit seinen Inszenierungen das Beste der Traditionen mit modernen Ansprüchen und den Erwartungen des Publikums zu einer neuen, organischen Einheit zu verbinden und vermag damit immer wieder die Besucher „anzulocken“ und zu begeistern und damit den Unkenrufen entgegenzuwirken, Oper/Operette sei „out“ – und siehe da, das Haus war wieder voll.
Für die Gestaltung der Bühne hatte er Arne Walther von der Semperoper ins Boot geholt, der mit seiner glücklichen Hand für funktionale und optisch sehr ansprechende Bühnenbilder aus bewährten konservativen und modernen Elementen das passende „Ambiente“ für beide Stücke schuf und alle Erwartungen übertraf (denn heutzutage ist man diesbezüglich nicht mehr verwöhnt). Er versteht es, die Situation der Handlung sofort erfassbar zu machen und außerdem die Bühne als Augenweide und Blickfang zu gestalten, ohne großen kostspieligen Aufwand (wie manche Inszenierung an manchem Opernhaus, die Unsummen verschlang). Das ist die große Kunst, es (fast) allen „recht getan“, die eben doch mancher kann.
Franz von Suppés komisch-mythologische Operette spielt im Atelier Pygmalions im antiken Zypern, und da spielt sie auch wirklich in dieser Inszenierung (und nicht in der Tiefgarage, im Weltall oder auf dem Planet der Affen)! Der antike Stoff vom jungen begnadeten Bildhauer Pygmalion, der sich in die von ihm geschaffene Marmorstatue einer Idealfigur von Nymphe verliebt und Venus bittet, sie zum Leben zu erwecken, wurde in den verschiedensten Fassungen und Genres verarbeitet. Eine Version und dazu noch eine sehr heitere, und spitzzüngige, transportierte Köhler auf seine Art in die Gegenwart. Vom antiken Stoff geht nichts verloren, aber die Dialoge entsprechen dem Jargon unserer Zeit und bewahren Niveau. Das kommt beim Publikum an.
Das Orchester der Staatsoperette Dresden spielte unter der Musikalischen Leitung von Andreas Schüller sogleich mit den ersten flotten Takten sehr schwungvoll, wie es sich für ein Operette-Orchester gehört, konnte aber auch gut differenzieren und höheren Ansprüchen genügen. Der Chor der Staatsoperette Dresden (Einstudierung: Thomas Runge) sang mit Qualität.
Die Darsteller waren durchaus passend für ihre Rollen ausgewählt und spielten „lebensecht“. Pygmalion (Richard Samek) erscheint hier als eitler, schon etwas älterer Bildhauer, der seinen Lorbeerkranz sogar bei der Arbeit trägt, Ganymed (Anna Werle) als vorsichtiger Praktikant in der Furcht seines Herrn (damit er nicht entlassen wird). Mydas (Andreas Sauerzapf), reicher Bankier, Snob und Kunstliebhaber wird zum „Mäzen“, wenn es um die schöne Weiblichkeit geht.
Die zum Leben erweckte Ideal-Statue der Galathée (Maria Perlt) wird zur schönen, eigenwilligen selbst- und sexsüchtigen Frau, die auch singen kann, aber ihren Schöpfer nervt (wie alle Frauen). Um dem Ganzen reichlich Sex-Appeal zu verleihen avanciert Venus (Anna- Luysa Grumbt) zur attraktiven, sehr leicht bekleideten „knackigen“ Muse mit Lyra, aber bei aller Frivolität sehr ästhetisch kostümiert! Besonderer Gag: als der abgeblitzte Mydas wenigstens seinen kostbaren Schmuck wieder zurückfordert, wird Galathée, die nur mit dem jungen Ganymed flirten will, gerade wieder auf Bitten ihres Meisters von Venus durch geschickte Beleuchtung samt Schmuck zurück in Stein verwandelt – Pech gehabt!
Die erste Hälfte des Abends verlief unbeschwert heiter-amüsant. Die Darsteller verlegten sich vor allem auf ein fröhliches Spiel, bei dem der Gesang nicht unbedingt die Hauptrolle spielte. Optisch konnte man sich im schönen Griechenland mit antikem Touch fühlen. Das Auge schwelgte auch da, wo das Ohr den melodischen Reichtum der kleinen Operette, deren charmante Sologesänge und temperamentvolle Ensembles, die an die komischen Opern Gaëtano Donizettis erinnern, nicht in voller Schönheit wahrnehmen konnte, und kompensierte vieles. Im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten war das Problem aber gut gelöst.
Waren Bühne und Kostüme (Judith Adam) im ersten Stück klassisch und mit viel weiß (wie Marmor) vorwiegend hell gestaltet, so erschien die Bühne bei „Gianni Schicchi“ von Giacomo Puccini mit viel schwarz, hohem, ehrwürdigem Mobiliar und roten Stuhlbezügen, auf denen sich der scheinheilige Familien-Clan (Silke Richter, Richard Samek, Johannes Strauß, Ella Rombouts, Julian Simat, Stefan Sevenich, Elmar Andree, Nikolaus Nitzsche, Anna Werle) ebenfalls in vornehmes Schwarz gehüllt, niederlässt. Man befindet sich schließlich bei dem edlen Geschlecht der Donati, deren Ahn Buoso Donati (Arne König) gerade das Zeitliche segnet und sein ansehnliches Vermögen einem Kloster vererben will (nach einer Episode aus Dantes „Göttlicher Komödie“).
Das bringt nicht nur die Sippe, sondern auch den Schuster (Dag Hornschild) und den Färber (Tobias Märksch) auf den Plan, die schließlich doch den verachteten bauernschlauen Bauer Gianni Schicchi, der pfiffig genug ist, sich mit den Gesetzen (und ihrer Verdrehung) auszukennen, um Hilfe ersuchen, worum ihn dessen Tochter Lauretta (Maria Perlt) mit ihrem berühmten „O mio babbino caro“ anfleht. Sie liebt zufällig ein Mitglied der ach so vornehmen Familie, was natürlich gar nicht geht! Am Ende sind aber die beiden Verliebten doch die lachenden Dritten.
Alle bekommen durch Bestechung und Schicchis falsches Spiel ihren gewünschten Teil vom Erbe, um den sie gebeten haben, den fettesten Brocken aber, das Filetstück, Haus und (goldenes modernes) Maultier(-Kunstwerk), auf das keiner „aus Bescheidenheit und Anstand“ offen Anspruch zu erheben wagte, nimmt sich das schlaue Bäuerlein selbst, was natürlich für Empörung sorgt, aber es ist notariell beglaubigt und unwiderruflich, denn als Notar betrat eine Persönlichkeit die Bühne, Hans-Joachim Ketelsen von der Semperoper, bei dem jede Bewegung, jedes Wort „saß“ und der, die eigentlich kleine Rolle, mit seiner Bühnenerscheinung und kraft- und klangvollen Stimme zur großartigen machte.
Ein anderer ehemaliger Protagonist der Semperoper, der vielseitige Andreas Scheibner, gab dem raffinierten Gianni Schicchi Stimme und Gestalt. Unklar nur, warum er sich laut Regie unbedingt mit zwei Revolvern verteidigen muss, früher genügte seine Schläue, jetzt aber muss unbedingt Gewalt auf der Bühne zu sehen sein – die „Bühne als Erziehungseinrichtung“? Schließlich findet das Kind noch eine dritte Pistole im Bett, mit dem es den Betrüger, der die Betrüger betrogen hat, erschießt. Früh übt sich … oder um Gianni seiner verdienten Strafe zuzuführen und in die Hölle zu schicken? Sieger ist – wie beruhigend – das junge Paar, dass einer „lichten“ und pekuniär abgesicherten Zukunft entgegengeht.
Nach dieser neuen Inszenierung an der Staatsoperette Dresden (Pr.: 27.10.2018) muss einem um den Fortbestand der Operette nicht bange sein. Hier wurde die „Rechnung nicht ohne den Wirt gemacht, d. h. das (Musik-)Theater nicht ohne das Publikum. Bei letzterem kann nicht vorausgesetzt werden, dass es die gleichen Ansichten wie manches Regieteam in Sachen Oper bzw. Operette hat. Schließlich beschäftigen sich die Menschen, die abends ins Theater als Zuschauer gehen, tagsüber mit ganz anderen Dingen und möchten am Abend anspruchsvoll entspannen, wobei auch der optische Eindruck eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
Ingrid Gerk