Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DRESDEN/Operettentheater: DIE FANTASTICKS – Kult-Musical von Harvey Schmidt. Premiere

11.06.2021 | Operette/Musical

Dresden/Operettentheater: “DIE FANTASTICKS“ – KULT-MUSICAL VON HARVEY SCHMIDTPremiere- 10.6.2021

Kathrin Kondaurow, seit der Spielzeit 2019/20 Intendantin der Staatsoperette Dresden, brachte jetzt an diesem Haus ihre erste Inszenierung heraus, das am Broadway am längsten gespielte Musical „The Fantasticks“ (Premiere: 10.6.). Seit seiner Uraufführung im Jahr 1960 war es an einem Off-Broadway-Theater in der Originalinszenierung bis 2002 jeden Abend zu sehen und wurde mit 17162 Aufführungen zum Hit und meistgespielten Werk der amerikanischen Theater-Geschichte – ein Weltrekord.

Nicht nur in Dresden, sondern in ganz Deutschland ist dieses Erfolgsstück des amerikanischen Musical-Komponisten Harvey Schmidt (1929-2018), der insgesamt 13 Musicals und daneben auch Filmmusik schrieb, weitgehend unbekannt. Buch und Liedtexte der Romeo-und-Julia-Parodie stammen von Tom Jones, mit dem Schmidt bei allen seinen Musicals zusammenarbeite. Einige der Songs daraus wurden zu Hits für Barbara Streisand.

Für ein kleineres Theater (Off-Broadway-Theater) konzipiert, war es jetzt mit einer personellen Besetzung von sieben männlichen und einer weiblichen Rolle, einem (sehr) kleinen „Orchester“ und einer Aufführungsdauer von 2 Std. 30 min (inkl. 25 Min. Pause) für die Einhaltung der Lockdown-bedingten Vorgaben wie geschaffen.

Die Grundidee dieses Musicals basiert auf der Romanze „Les Romanesques“ („Die Romantiker“) des französischen Dichters und Dramatikers Edmond Rostand (Autor von „Cyrano de Bergerac“) aus dem Jahr 1894, wobei die Tragik des Shakespeare-Stoffes nicht so ernst zu nehmen ist. Zwei junge Leute verlieben sich ineinander, obwohl sie – wie sie meinen – aus benachbarten, sich streitenden Familien stammen. Ihre Väter haben sogar eine große Mauer zwischen ihren Grundstücken, obwohl sie eigentlich Freunde sind und die Zwistigkeiten nur vortäuschen, um bei ihren Kindern romantische Gefühle zu wecken. Sie wollen „Schicksalsgötter“ spielen und die beiden verkuppeln und meinen, Widerstand reizt am meisten. Nach allerlei Irrungen und Wirrungen und „schmerzlichen“ Erkenntnissen gelingt der Plan schließlich.

Der Dauererfolg dieses Kult-Musicals mit einer Laufzeit von 42 Jahren erscheint aus hier-und-heutiger Sicht kaum vorstellbar. Die Zeiten haben sich geändert, der Geschmack auch, weshalb es jetzt schwierig ist, dieses Musical mit modernen Mitteln auf die Bühne zu bringen. Trotzdem ist es der Intendantin und Regisseurin zu danken, die Dresdner mit diesem Stück bekannt zu machen. Das Publikum tickte damals offenbar anders. Vielleicht wirkte die rührende Romantik, die Zitate aus den „erhabenen“ klassischen Stücken wie „Hamlet“, Goethes „Faust“, „Don Quichote“ usw. bei einem (auch halb) gebildetes Theaterpublikum als besonders niveauvoll und eine Parodie darüber als erheiternd, eine Weltreise für jedermann noch als ein Traum und doch schon realisierbar, was vorher nur der Oberschicht vorbehalten war.

Man träumte sich auf der Bühne in ein besseres Leben. Das Stück traf wahrscheinlich genau den damaligen Zeitgeist, volkstümlich, volksnah und dem amerikanischen Geschmack entgegenkommend. Jetzt und hier sieht man das anders, differenzierter.

Katrin Kondaurow inszenierte dieses Kult-Hit-Musical zwischen Kammerspiel und Showmomenten als „Show der Träume“, eine Parabel über die Liebe und das Leben und versucht, es psychologisch zu durchleuchten. Sie verwendet auch übliche Inszenierungselemente, verfälscht aber das Stück nicht, sondern erzählt es auf ihre Art, durchdacht und gegenwärtig interpretiert.

Am Anfang empfangen den Besucher auf der Bühne zwei große „Kästen“, zwei getrennte abgeschottete Welten, in denen zwei junge Leute agieren. In dem einen besingt Luisa (Laila Salome Fischer) ihr jungmädchenhaftes Erwachen, in das ihre Sehnsüchte und ihre naiv-träumerische Vorstellungswelt von der Liebe zu dem ebenso erwachenden Nachbarsjungen Matt (Gero Wendorf) filmisch aus verschiedenen Blickrichtungen eingeblendet werden (Video: Vincent Stefan). In dem anderen Kasten bewegt sich Matt mit ähnlichen Problemen aus „männlicher“ Sicht – auf der Schaukel (warum eigentlich? – früher hätte da das junge Mädchen gesessen).

Ihre Väter (Marcus Günzel, Hucklebee, und Bryan Rothfuss, Bellomy, beide Naturliebhaber, weshalb im Hintergrund viel Grün oder ein üppiger Blumenflor eingeblendet werden, sind befreundet, spielen aber die Verfeindeten, wobei hier die große Mauer durch einen kopfstehenden Baum des Lebens „ersetzt“ wird. Um die Liebe der Beiden zu forcieren, planen sie außerdem eine Verführung in verschiedenen Varianten, die den Akteuren Gelegenheit bietet, auch ein wenig Schauspielkunst, „tänzerische Einlagen“ und Sportlichkeit, u. a. auf Rollschuhen, zu zeigen, neben den beiden Vätern auch Dietrich Seydlitz, Henry und Markus Liske, Mortimer).

Später sind die Kästen ineinander verschoben, die Mauer weg, fast vereint und doch nicht. Es regen sich Zweifel, Ängste vor dem Alltäglichen und Langeweile. Als Ausweg erscheint für Matt ein Hineinstürzen ins „Vergnügen“ der großen weiten Welt, eine Reise in die tobende, tosende Welt der Millionen-Städte mit ihren Vergnügungen, Ablenkungen, Höhen und Tiefen. Er beginnt diese Reise auf einem alten Karussell-Pferdchen als Reminiszenz an den Jahrmarkt, ein Synonym für den Lauf der Welt, und kehrt erschöpft, desillusioniert und entzaubert von seinen Sehnsuchtsorten zurück. Luisa hat sich inzwischen in eine andere Liebe „gestürzt“ – zu El Gallo (Christian Grygas, der wenig aufregend „durch das Programm führt“), mehr in ihrer Vorstellungswelt als real.

Schließlich finden sich beide mit der Erkenntnis, worin der bessere Teil des Lebens besteht, in ihrer heimischen (klein-)bürgerlichen Welt wieder. Und die Moral von der Geschicht‘? – Natur und echte Liebe trügen nicht.

Die Turbulenzen der „Weltreise“ geben Gelegenheit zu großen (Film‑)Bildern und „zündender“ Musik, die vor allem von der kleinen Band, wie in der Originalfassung bestehend aus einem Klavier, einer Harfe, Kontrabass, Schlagzeug und Tasteninstrumenten, unter der Leitung von Peter Christian Feigel, der auch an den Tasteninstrumenten sitzt, ausgeht. Bei ihnen lag die vielfarbige musikalische Seite des Musicals, die in ihrer Vielfalt von Stilelementen Mozart-Kopie, Puccini und lateinamerikanische Tänze verbindet, in guten Händen.

Brisanz verlieh auch das temperamentvoll, „zackig“, witzig und spritzig, echt revueartig auftretende Ballett aus acht Tänzerinnen und Tänzern (Choreografie: Jörn-Felix Alt) in und zwischen den Szenen. Eine tänzerisch-artistische Spitzenleistung mit optisch-ästhetischer Wirkung vollbrachte Nina Kemptner, die den Mond erklimmt und zur „Frau im Mond“ vor sehr romantischem Sternhimmel-Hintergrund wird.

In dem Musical ist alles drin an stilistischer Vielfalt, Romantisches und Poetisches, Komödiantisches, und klassisches Theater, intime Kammerszenen und Showmomente. Es bietet den Ausführenden eine breite Palette an Entfaltungsmöglichkeiten, aber es steht und fällt auch mit ihnen und ihren Fähigkeiten.

Die Darsteller taten ihr Möglichstes, nur hätte man sich etwas mehr Verve und Musical-gerechte Leidenschaft gewünscht, vor allem bei dem, nebenbei Flitter und Seifenblasen verteilenden Erzähler- Conférencier El Gallo, der eigentlich durch das Stück „philosophisch“-witzig und augenzwinkernd, die Fäden in der Hand haltend, kommentierend und wie ein Schicksal-Spielender führen sollte. Vielleicht hätten auch die in der nicht sonderlich glücklichen Übersetzung von Nico Rabenald gesungenen Songs in Originalsprache mitreißender gewirkt, denn so ganz „zündete“ die Aufführung (noch) nicht. Erfahrungsgemäß „schleift“ sich nach der Premiere so manches ein, die Darsteller werden entspannter und der Ablauf flüssiger. Trotzdem war es bereichernd, mit diesem Musical bekannt gemacht worden zu sein.

Ingrid Gerk

 

Diese Seite drucken