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DRESDEN/ Musikfestspiele: EINIGE FESTIVAL-SPLITTER DER „DRESDNER MUSIKFESTSPIELE

07.06.2015 | Konzert/Liederabende

Dresden /EINIGE FESTIVAL-SPLITTER DER „DRESDNER MUSIKFESTSPIELE“ – 29.5. – 6.6.2015

 

Das Orchestra dell’AccademiaNazionale di Santa Cecilia – Roma, in dem die fähigsten Musiker Italiens vereint sind – schon sein Name klingt wie Musik (trotz oder gerade wegen seiner Länge) – ist bekannt für sein besonders feinsinniges Musizieren. Bei seinem Konzert in der Semperoper (29.5.) hinterließ es unter seinem langjährigen musikalischen Direktor Antonio Pappano jedoch einen ganz anderen Eindruck.

 „Die Toteninsel“ für großes Orchester (op. 29), dieSergej Rachmaninow nach einer Schwarz-weiß-Kopie des gleichnamigen, eigenwillig-farbigen Gemäldes von Arnold Böcklinschuf, begann verhalten, langsam und leise mit fein „dosierter“, dezenter Pauke, bis Pappano ein großangelegtes, riesiges Crescendo bis zur, sich fast übersteigernden, lautstarken, unendlich erscheinenden Dauerkulmination aufbauen ließ. Bei dem fast ständigen Fortissimo verloren die Instrumente trotz des konformen Spiels der Musiker auch im Zusammenklingen der verschiedenen Instrumentengruppen an Klangschönheit. Etwas weniger an Lautstärke hätte hier wahrscheinlich mehr an Wirkung bedeutet. Es war eine grandiose Wiedergabe bis zum musikalischen „Inferno“ und dann im starken Kontrast dazu zum Ausklang ein extrem leises, fast verklärtes Pianissimo, aber die Komposition erschloss sich inhaltlich kaum. Pappano hatte sich offenbar am  amerikanischen Publikumsgeschmack orientiert. Die Europäer möchten aber im allgemeinen mehr. Es fehlte am Zugang zur Komposition.

 Jan Vogler, Cellist und Intendant der Musikfestspiele, ließ es sich nicht nehmen, mit dem renommierten Orchester die „Rokoko-Variationen“, die P. I. Tschaikowsky über ein selbst erfundenes Thema schrieb, virtuos und mit viel Sinn für das Werk zu musizieren. Das Cello konnte trotz des groß besetzten Orchesters stets mit singendem Ton, einschließlich der klangvollen Kadenz, undmit Gefühl ohne Sentimentalität dominieren. Bei den extrem hohen Tönen wurde deutlich, wie schwierig dieses, für den Hörer so eingängige Werk zu bewältigen ist, das zum Mittel- und Höhepunkt des Konzertes wurde, aber „wenn es am schönsten ist, spuckt der Teufel hinein“. Jan Vogler traf das „Künstlerpech“, dass der Cellobogen hängen blieb und auseinander fiel, womit nicht nur die Zugabe für den herzlichen Applaus entfiel. Dafür gab später Pappano 2 Orchesterzugaben.

 Jean Sibelius ist in unseren Breiten weniger bekannt und beliebt als es seine Bedeutung eigentlich erfordert. Möglicherweise liegt es auch an den Interpretationen. Sibelius hat die Schönheit der nordeuropäischen Landschaft mit ihren Wäldern und Seen und die Mentalität ihrer Bewohner eingefangen, was bei entsprechender Wiedergabe faszinierend ist und auch uns in Mitteleuropa viel zu sagen hat. Nach seinen eigenen Aussagen wollte Sibelius sein Werk klassisch-romantisch verstanden wissen, ohne strenge Orientierung an den Regeln der deutschen Klassik (er war schließlich „Romantiker“), was meist nur die skandinavischen Orchester wirklich realisieren. Im übrigen Europa und Amerika wird Sibelius oft zu kraftvoll, zu derb, zu nüchtern wiedergegeben, was ihn zu Lebzeiten sehr empört haben soll.

 Ohne viel Rücksicht auf Charakter und Mentalität seiner Musik, wenn auch mit fast folkloristischen Passagen, drückte Pappano der „Sinfonie Nr. 2 D‑Dur“ (op. 43) seinen persönlichen und gegenwärtig allgemein üblichen Interpretationsstil auf, der für Gustav Mahlers Sinfonien zwar gut, für Sibelius aber ungeeignet ist und kaum zum Verständnis von dessen Sinfonien beitragen kann. Hier wirkte der Streicherklang mitunter sogar etwas schroff. Das Orchester spielte mit Klarheit und entsprechenden Klangdifferenzierungen, aber die Feinheiten, über die die Musiker verfügen, kamen nur in den seltenen, aber dann besonders schönen Piano-Passagen zum Ausdruck. Pappano hatte seine Interpretation offenbar an den großen Konzertsälen der Welt orientiert und nicht an die gute Akustik der Semperoper gedacht. Doch plötzlich ging dann doch noch „die nordische Sonne“ auf. Zwischen langen lauten und harten Orchesterpassagen gab es beglückend schönemit besonderem Reiz, die die herbe Schönheit der Musik mit schöner Abstimmung der solistischen Instrumente (Cello, Bläser) anklingen ließen, nicht paukenlastig, wie leider andernorts oft üblich, sondern wunderbar differenziert von pp bis fff und immer mit dem Orchester bis zum triumphalen Schluss.

 Mit 2 Zugaben, dem leise und verhalten gespielten „Valse triste“ von Sibelius mit seinem etwas anderen, tänzerischen, ungewohnt synkopierten Walzerrhythmus, gefällig, melodiös, mit Temperament und auf Effekt bedacht, wiedergegeben, und der fast lautlos, dann klangschön begonnenen, bald aber von Pappano schmissig „durchgepeitschten“ und laut und hart an den lautmalerischen Naturschilderungen der Alpenwelt wie auf hohem Ross „vorbeigaloppierenden“„Ouvertüre“ zu G. Rossinis„Wilhelm Tell“, verabschiedeten sich Dirigent und Orchester, denn am darauffolgenden Abend gab die „Akademia“ unter Pappano noch ein zweites Konzertin der Dresdner Frauenkirche mit Anton Bruckners „Sinfonie Nr. 5“.

 Die „gemischten“ Lieder- und Arienabende der großen Stars waren vor etwa 60 Jahren aus der Mode gekommen und sogar „verpönt“. Olga Peretyatko belebte diese Form in ihrem „Liederabend“ im Palais im Großen Garten (1.6.) wieder neu, um ihre Vielseitigkeit zu demonstrieren. „Sie kann alles singen“ war in einer Musikzeitschrift zu lesen, was für ihre Gesangstechnik und sehr flexible Stimme mit müheloser, wenn auch schriller, leicht gutturaler Höhe und treffsicherer Tiefe durchaus zutrifft, interpretatorisch jedoch nicht in jedem Fall. Letzteres macht sie durch Schönheit und Charme wett und versucht offenbar, durch volkstümliche „Moderation“ und Selbstinszenierung (z. B., das ihr eine „Frau aus dem Publikum“ einen „Liebesbrief“ als eine Art „Stichwort“ reicht), ein eher unbedarftes Publikum zu gewinnen, das es aber so im Saal nicht gab. Hier waren die Ansprüche höher. Sie plauderte oft zwischen den einzelnen Darbietungen aus ihrem Leben und Erleben und ihrem persönlichem Verhältnis zu den einzelnen Darbietungen, aber leise und dialektbehaftet und dadurch schwer verständlich,

 Zunächst erwies die gebürtige St. Petersburgerin mit einigen Arien und Liedern ihrem russischen Landsmann Nikolai Rimski-Korsakow ihre Reverenz. Bei der „Arie der Snegurotschka“ aus der Oper „Schneefklöckchen“, der „Arie der Marfa“ aus „Die Zarenbraut“ und der „Arie der Königin von Schemacha“ aus „Der goldene Hahn“ sowie der „Östlichen Romanze“ und dem Lied „Klingender ist das Lied der Lerche“ hätte man ihr gern mehr Einfühlungsvermögen und ihrer Stimme mehr Geschmeidigkeit und Klangschönheit gewünscht. Selbst unter dem Aspekt der russischen Seele gerieten vor allem die Arien sehr kraftvoll, aber auch ziemlich nüchtern und weniger eindrucksvoll.

 Matthias Samuil begleitete sie am Klavier klassisch-klar, aber ebenso nüchtern, schnörkellos, mit wenig klingendem Ton und kaum emotionaler oder geistige Tiefe – eben zeitgemäß cool. Er steuerte außerdem klassisch-sachlich ohne weiteren Bezug zum übrigen Programm eine „Melodie“ aus „Orfeo edEuridice“ von C. W. Gluck in einer Bearbeitung für Klavier solo von GiavanniSgambati (1841-1914) bei. Bei seinem zweiten solistischen Auftritt war er dann schon eher in seinem Element. Hier hatte sein gewaltiges, bravouröses Spiel Sinn.

 Mit 5 Liedern von Richard Strauss, den bekannten, „Die Nacht“, „Zueignung“, „Morgen“, „Ich schwebe“ und „Cäcilie“ begab sich Olga Peretyatkoauf ganz anderes Territorium und passte ihre eher große Opernstimme, die im Festsaal des Palais mit seiner guten Akustik nicht vonnöten war, den Liedern an und konnte hier durchaus beeindrucken.

 Von den 5 Liedern Sergej Rachaninows„Flieder“, „Vocalise“ , „Hier ist es schön“, Oh, schönes Mädchen, singe nicht“, „Frühlingsgewässer“ und „Elegie“ lag ihr und ihrer Stimme die original ohne Text konzipierte „Vocalise“ besonders gut. Hier zeigte sie persönliches Engagement mit großer, dramatischer Ader. Allmählich wurde sie aufgeschlossener, ging aus sich heraus, sang mit Temperament, und selbst ein wenig spanisch wirkender Koketterie.

 Ihr Programm zeigte die Entwicklung von der dramatischen Opernsängerin über den Liedgesang zur Belcanto-Begabung, die sie bei Gioachino Rossini mit „Rezitativ und Arie sowie der Kavatine der Fiorilla“ aus „Il turco in Italia“ entfalten konnte.Wenn auch die Stimme noch nicht ganz über die für Belcanto erforderliche Leichtigkeit verfügt, sang sie doch mit allen gesangstechnischen Raffinessen (wenn auch zuweilen eine Spur zu dick aufgetragen), und mit schönen flexiblen Trillern und Verzierungen sowie einigen schönen Details. Für das Publikum, das schon nach jeder Arie, jedem Lied applaudiert hatte (was in Dresden noch nicht üblich ist), bedankte Sie sich mit 2 bravourösen Zugaben, u. a. mit dem „Lied der Nachtigall“ von Alexander Alabiev.

 Boris Giltburg, der junge russische, sehr sympathischer Pianist, der international schon lange von sich reden macht, gab seinenKlavierabend (2.6.) in der schwülen Atmosphäre der Abfüllhalle des Erlebnisweingutes „Schloss Wackerbarth“ in Radebeul (nahe Dresden). Er begann mit Edvard Griegs„Klaviersonate e‑Moll“ (op. 7) mit kraftvoller Virtuosität, absoluter Treffsicherheit und Klarheit in mehr deutsch-mitteleuropäischer Interpretation. Lyrik und nordische Mentalität blieben da trotz gut differenziertem Anschlag mehr im Hintergrund.

 Fast verträumt und meditativ begann er hingegen Sergej Rachmaninovs„Etudes-Tableaux“ (op. 39) und ging in fließendem Übergang fast unmerklich zu enormer Virtuosität über, so wie bei ihm immer alles „im Fluss“ ist. Trotz enormer Geschwindigkeit, bei der seine perfekte Treffsicherheit immer wieder erstaunen macht, zeichnete er mit guter Anschlagskultur und mitunter singendem Ton die einzelnen musikalischen Linien mit entsprechender Klarheit nach. Es waren musikalische „Hexenkünste“ an Schnelligkeit, Treffsicherheit und Transparenz.

 Bei Robert Schumanns „Carnaval“ (op. 9) war Giltburg in seinem Element und spürte den 23, sehr unterschiedlichen Teilen mit ihren symbolischen, mitunter sehr persönlichen Bezügen, Ansichten und Erlebnissen Schumanns nach, teils virtuos, aber auch mit Feingefühl, technisch immer perfekt und immer im Hinblick auf ein zusammenhängendes Ganzes. Auch hier war die Virtuosität der bestimmende Motor, aber er hatte auch die Musik in ihrer inhaltlichen Tiefe erfasst. Mit flottem Tempo, spritzig, kurzweilig, interessant, grandios, unverwechselbar und immer wieder mit seiner „Spezialität“, den virtuosen Hexenkünsten, war es eine von vielen möglichen und gültigen Interpretationen,

 Mit 3 Zugaben, ließ er seine Vielseitigkeit noch einmal Revue passieren. Weich und schön, einfühlsam und lyrisch in gemäßigter Lautstärke brachte er ein „Intermezzo“ aus „6 Klavierstücke“ op. 118 von Johannes Brahms als Pendant zu Schumann zu Gehör. Bei Rachmaninows „Rotkäppchen und der Wolf“ op. 39/6 arbeitete er sehr plastisch in derlinken Hand das laute Brummen und Grollen des Wolfes und in der rechten das ängstliche Zagen Rotkäppchens heraus, eine köstliche lautmalerische „Erzählung“. Schließlich gab er noch Fritz Kreislers„Liebesleid“ in der Bearbeitung von Rachmaninow in transparenter Linienführung und mit überlegen perlendem Anschlag zum Besten.

 Einen bemerkenswerten Quartett-Abend gab das Auryn Quartett im Palais im Großen Garten (4.6.), dem ersten Barockpalais nördlich der Alpen, dessen Festsaal sich nach der Kriegszerstörung vor 70 Jahren noch immer in ruinösem Zustand befindet, aber dennoch nicht ohne Reiz ist. Das außergewöhnliche Streichquartett, das schon seit 30 Jahren zusammen musiziert, beherrscht die hohe Kunst des wirklich gemeinsamen Quartettspielens, des Aufeinander-Hörens und Miteinander-Gestaltens, des gleichen musikalischen Empfindens und der gleichenmusikalischen Auffassung, eine Kunst die leider immer seltener wird.

 Zum Auftakt und „Einspielen“ hatten die Musiker etwas leichtere, sehr gefällige „Kost“ gewählt, das an europäischer Klassik orientierte, aber auch von spanischer Musik beeinflusste „Streichqurtett Nr. 3 Es‑Dur“ von Juan Crisóstomo de Arriaga(1806-1826), bei dem unterschwellig die besonderen Klangstrukturen der spanischen Musik anklangen, mitunter wie eine sehr schöne, verliebte Melodik, Der energische Strich des Primarius wurde allmählich zum singenden Ton im besonders klangschönen 3. Satz.

 In ihrem klug angelegten Programm steigerten sich die 4 Musiker zu dem ungewöhnlich klangschön gespielten „Streichquartett F‑Dur“ von Maurice Ravel, bei dem mit einer großen Ausdrucksskala von energisch über gebändigt temperamentvollbis zu sehr feinen, geschmeidigen, sensiblen Klängen zwischen Ernsthaftigkeit und ausgelassener Heiterkeitin einer groß angelegten Konzeption ein gewaltiges „Gebäude“ errichtet wurde.Die Musiker hatten das Wesen der Musik Ravels in all ihren Nuancen erfasst und sehr maßvoll, eindrucksvoll und mit sehr gutem Empfinden zu Gehör gebracht. Sie verstehen die Kunst des „geistvollen Gesprächs unter intelligenten Leuten“ wie es Goethe nannte.

 In diesem Sinn wurden sie auch dem „Streichquartett d‑Moll“ (op. 56) „Voces intimae“ von Jean Sibelius in schönster Weise gerecht. Der Primarius hatte die führende Stimme, der die 3 „Mitstreiter“ folgten. Zusammen vermochten sie in ihrer Musikalität den besonderen Klang zu erzeugen, der glücklich macht. Sie spielten mit Leidenschaft und Hingabe, ein Streichquartett, das auch einiges zu „sagen“ hat vom, in Nachdenklichkeit melancholisch ausklingenden Quartettsatz bis zu technischen Raffinessen in atemberaubendem Tempo, perfekt ausgeführt, gestaltet und ehrlich empfunden – Bravo!

 Erst nach einer Zugabe, dem getragen und sehr klangvoll, mit genialer Dynamik vorgetragenen „Andante cantabile“ aus dem„Dissonanzenquartett“ von W. A. Mozart trennten sich die Musiker und das begeisterte Publikum.

 Ganz der Musik Antonio Vivaldis und seiner Beziehung zu Dresden widmete sich das VeniceBaroque Orchestra unter seinem Gründer Andrea Marconin der Dresdner Frauenkirche (5.6.). Mit den für die berühmte Hofkapelle in Dresden komponierten Concerti: „Concerto g‑Moll „Per l’orchestra di Dresda“ (RV 577), „Concerto d‑Moll (RV 566), „Concerto D‑Dur (RV 564a) und „Concerto g‑Moll ‚Dedicato a SuaAltezza reale di sassonia‘ “ (RV 576) ließen sie die Entstehungszeit dieser Kompositionen lebendig erstehen.Der wunderbare Gesamtklang der Streicher und Holzbläser, die schöne Solovioline des 1. Konzertmeisters, die sehr gute Solooboe und die beiden zarten, innigen Blockflöten trugen zu einem außergewöhnlichen Klangerlebnis Alter Musik bei. Hier war nichts zu spüren von (oft ziemlich „trockener“) akademischer „Aufführungspraxis“ oder “historisch orientierter Aufführungspraxis“. Obwohl die Musiker auf diesem Gebiet ihre Studien abgeschlossen haben und die historischen Technik, u. a. die Stufendynamik, perfekt beherrschen, schien ihr Musizieren ihrem ureigensten musikalischem Empfinden zu entspringen, als lebten sie in dieser Zeit oder hätten dieses besondere Musizieren mit hinübergenommen in die Gegenwart. Bei ihnen schienen Spielweise und Klang der Instrumente nicht nur auf wissenschaftlicher Basis zu beruhen, sondern wie in lebendiger Tradition von Generation zu Generation weitergegeben. Sie ließen den längst verklungenen Wohllaut, der die Seele in Schwingungen versetzt, wieder lebendig werden und nahmen die andächtige Hörergemeinde mit hinein in diese geistig-emotionale Weltder Barockmusik vom Edelsten und Feinsten.

 Die kanadische Sopranistin Karina Gauvin, ganz in betörendes Blau „gehüllt“,ergänzte das Programm durch 2 Motetten für Singstimme, Streicher und Basso continuovon Vivaldi:„Quicoeliterraeque“ (RV 631)und „Sum in mdiotempestatum“ RV 632). Sie beherrscht die alte Gesangstechnik der Primadonnen. Belcanto-erfahren und mit Barockgesang vertraut, meisterte sie die halsbrecherischen Koloraturen, allerdings im Pianissimo oft etwas leise, in der Höhe etwas schrill, im Mezzoforte und Pianoaber mit gutem Klang ihrer weichen, flexiblen Stimme, sehr gefühlvoll, virtuos und mit gewissenhafter Ausführung der Details und Verzierungen.

 Die vor 300 Jahren in Venedig uraufgeführte Zugabe, ebenfalls von Vivaldi, war auch für die Ausführenden „eine Überraschung“, wie Marcon betonte. Sie wurde in rasantem Tempo, aber nicht übertrieben, gespielt

 Andrea Marcon leitete das, sehr gut eingespielte und aufeinander abgestimmte, akustisch günstig vor der Chorschranke aufgestellte, Orchester sehr umsichtig von der Kleinorgel aus. Er lebt sichtlich in dieser Musik und trug wesentlich zu diesem wunderbaren Orchesterklang bei.

 Ebenfalls zu einem Konzert mit ausschließlich Alter Musik ludenDresdner Kreuzchor & Händelfestspielorchesterin die Dresdner Kreuzkirche (6.6.) ein. Neben Antonio Vivaldi  mit seinem „Gloria D‑Dur (RV 589)warenGeorg Friedrich Händel mit dem „Utrechter TeDeum (HWV 278) undMarc-Antoine Charpentier(um 1643 -1704), der selbst den meisten Musikfreunden nur durch die Eurovisionsfanfare aus seinem „TeDeum“ bekannt sein dürfte, vertreten. Mit diesem Programm eröffneten Dresdner Kreuzchor und Händelfestspielorchester, ergänzt von einem, mit Barockmusik vertrauten und auf stilgerechte Ausführung bedachten Solistenensemble, eine reichliche Woche vorher auf Initiative von Kreuzkantor Roderich Kreileschon die Händelfestspiele in Halle,

 Christina Elbe sang die Sopran-Arien sehr sicher, mit großer Sorgfalt, sehr exakt ausgesungenen Verzierungen und angenehmer, flexibler Stimme, die bei Bedarf auch über entsprechende Zartheit verfügen kann und sich sehr schön mit dem Klang der begleitenden Solo-Oboe verband. In den Duetten und Terzetten verband sich ihre Stimme, nicht zuletzt sehr guter Stimmtechnik und Erfahrung, mit den übrigen Stimmen, besonders kongenial aber mit der Altistin Henriette Gödde, die ihrerseits über eine kräftige, sehr sichere und im großen Kirchenraum sehr gut tragende Stimme verfügt und ebenfalls mit aller Exaktheit ihren vielfältigen Aufgaben gerecht wurde.

 Die Tenorpartien sang Robert Seller. Der Opernsänger-Bariton Julian Orlishausen hat auch alle Tugenden eines guten Oratoriensängers, eine gut klingende, flexibleStimme mit sicherer, wohlklingender Tiefe, sehr gute Textverständlichkeit, Exaktheit der Ausführung und die entsprechende Ausstrahlung. Er sang die Bass-Arien sehr ausgeglichen, mit edler Stimme, gewissenhaft ausgeführten Verzierungen und sehr guter Gestaltung, wenn auch der große Kirchenraum manches von diesen Feinheiten zu „schlucken“ drohte.

 Unter der Leitung von Roderich Kreile sang der Dresdner Kreuzchor ebenfalls sehr stilerfahren, gut abgestimmt und mitunter sehr schöner Klangfülle. Er ergänzte nicht selten in idealer Weise die Arien der Solisten als schönes Pendant. Mit ganz anderem Klang als das Venice Barock Orchestra, gegenwärtiger, mitteleuropäischer, bildete das Händelfestspiel Orchester eine gute Basis für die Aufführung.

 Ingrid Gerk

 

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