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DRESDEN/ Kulturpalast: SONDERKONZERT: „STAATSKAPELLE & THIELEMANN I“

28.10.2020 | Konzert/Liederabende

Dresden / Kulturpalast:  SONDERKONZERT: „STAATSKAPELLE & THIELEMANN I“ – 27.10.2020

Das erste Sonderkonzert der Reihe „Staatskapelle & Thielemann“ fand mit Maskenpflicht während des gesamten Konzertes statt, aber Musikfreunde ertragen vieles, um Musik live zu hören, was kein Live Stream ersetzen kann, auch wenn es nur ein kürzeres Programm (ca. 90 min. mit Pause) ist. Man lernte zwei, in Dresden bisher wohl kaum gespielte Fanfaren von Richard Strauss kennen, die „Fanfare für Blechbläser und Pauken zur Eröffnung der Musikwoche der Stadt Wien“ (TrV 250) und die eindrucksvolle „Wiener Philharmoniker Fanfare für Blechblasinstrumente und Pauken“ (TrV 248), die er für den ersten “Ball der Wiener Philharmoniker“ 1924 schrieb und mit der in Wien jedes Jahr dieser Ball eröffnet wird.

Überhaupt hatte dieses Konzert – bewusst oder unbewusst – einige Bezüge zu Österreich und Wien. Strauss hatte bekanntlich eine Affinität zur „Dresdner Königlichen musikalischen Kapelle“, der jetzigen Sächsischen Staatskapelle. Keinem anderen Orchester vertraute er mehr Uraufführungen wichtiger Werke an – allein neun seiner Opern – aber er pflegte auch eine enge Verbindung zu den Wiener Philharmonikern, für die er diese Fanfare schrieb. 22 Blechbläser und eine Blechbläserin standen „hoch oben“ mit den nötigen Abständen auf dem Rang für den Chor – was nebenbei auch einen eindrucksvollen Anblick bot – und musizierten zur Eröffnung des Konzertabends die beiden Fanfaren so sauber, von dezent bis energisch und in schöner Harmonie, angemessen begleitet von zwei Pauken auf dem eigentlichen „Bühnenplatz“, dem Parkett darunter, dass nicht nur das Publikum begeistert applaudierte, sondern auch Christian Thielemann, der das Ganze „mit Abstand“ (von unten) dezent geleitet hatte. Es waren nur Drei-Minuten-Stücke, aber eine große Leistung, zumal unter diesen Bedingungen.

Unter Thielemanns Leitung folgte das „Klavierkonzert Nr. 4 G‑Dur (op. 58) von Ludwig van Beethoven, der den größten Teil seines Lebens in Wien verbrachte, am Flügel der österreichgische Pianist und Beethoven-Spezialist Rudolf Buchbinder. Er spielte schon öfters Beethovens Klavierkonzerte mit der Kapelle, immer in hoher Qualität und immer wieder gern gehört. Mit seiner weniger spektakulären, aber umso eindringlicheren Interpretationskunst und seinem frappierenden Anschlag, bei dem die Töne mitunter perlend, wie auf einer Perlenkette aufgereiht, fließen, ließ er, in gemeinsamem Miteinander und gegenseitigem Inspirieren mit Dirigent und Orchester das Werk sehr lebendig, mit schönen Kadenzen, feinstem Pianissimo, aber auch Temperament und tiefem musikalischem Verständnis erstehen.

Bei ihm wirkt alles wie selbstverständlich. Er lebt in dieser Musik, bewegt kaum die Finger, aber was unter seinen Händen entsteht, zeugt nicht nur von großem pianistischem Können, sondern auch und vor allem Verständnis für das Werk, weshalb ihm Thielemann, Musiker und Publikum einhellig dankten und applaudierten. Beethoven suchte, wie auch viele Komponisten vor ihm, aber vielleicht konsequenter als jene, nach neuen Wegen in seiner Musik. „Die Kunst will von uns, daß wir nicht stehenbleiben“ meinte er und lässt sein 4. Klavierkonzert erstmals in der Geschichte der Gattung mit einem Soloeinsatz des Klaviers beginnen, bei dem Buchbinder feinsinnig präludierte und bereits seine besondere Kunst erkennen ließ.

Einer der „Konsequentesten“ auf der Suche nach neuen Wegen war der, in Wien geborene, Arnold Schönberg, der bevor er 1921 seine „Zwölftontechnik“ begründete, in spätromantischer Manier schrieb, bis er an deren Grenzen stieß. Sein Streichsextett „Verklärte Nacht“ (op. 4), das er 25jährig, nach einem gleichnamigen Gedicht von Richard Dehmel komponierte, stammt aus seiner ersten, tonalen Schaffensperiode. Er überträgt darin das Prinzip der Tondichtung ins Kammermusikalische, was in der, von Schönberg selbst verfassten Bearbeitung für Streichorchester, die an dem Abend erklang, sozusagen wieder zurückgeführt wurde. Das Streichsextett war bei seiner Uraufführung sehr umstritten, jetzt ist es mit seiner spätromantischen Klangsprache eines der beliebtesten Werke des Komponisten und sehr ansprechend, zumal in einer so feinsinnigen Interpretation wie an diesem Abend.

Thielemann ließ mit der Kapelle das Werk sehr plastisch erstehen. Man konnte die Liebesgeschichte von Dehmels Gedicht, das Schönberg als Vorlage und Inspirationsquelle diente, in allen ihren Stimmungen und Gefühlsregungen nachvollziehen. Bereits die behutsame Einleitung des einsätzigen Werkes, in dem fünf, ohne Pause ineinander übergehende, Teile den wechselnden Stimmungen der fünf, der Partitur vorangestellten Gedichtstrophen folgen, ließ im sanftem Piano die „kahle, kalte“ trübe Naturstimmung, in der ein Paares im Mondschein geht, die Frau ihrem Geliebten gesteht, dass sie ein Kind von einem anderen erwartet und der Mann mit großmütigem Verständnis das Kind annehmen will, als sei es sein eigenes, die Gespräche und Gefühle nachvollziehen, bis die triste Naturstimmung nach dem befreienden Gespräch am Ende einer freudigeren, Stimmung weicht und Thielemann das Werk sehr behutsam ausklingen ließ. Zur damaligen Zeit war der Gedichtinhalt ein großer Konflikt und Skandal und die Welt im Aufbruch, jetzt genießt man vor allem die Musik.

 Der mit Spannung erwartete Teil II von „Staatskapelle & Thielemann“ (3.11.) mit Nikolaj Szeps-Znaider und Beethovens Violinkonzert sowie „Ouvertüre, Scherzo und Finale E‑Dur“ (op. 52)  von Robert Schumann muss nun wohl wegen des Lockdowns leider ausfallen, was angesichts des begeistert aufgenommenen ersten Teils sehr bedauerlich ist.

Ingrid Gerk

 

 

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