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DRESDEN/ Kulturpalast: SONDERKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE ANLÄSSLICH DES 175. GEBURTSTAGES VON ERNST VON SCHUCH UNTER CHRISTIAN THIELEMANN

08.11.2021 | Konzert/Liederabende

Dresden / Kulturpalast: SONDERKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE ANLÄSSLICH DES 175. GEBURTSTAGES VON ERNST VON SCHUCH UNTER CHRISTIAN THIELEMANN –  6.11.2021

Über 40 Jahre lang prägte der am 23.11.1846 in Graz geborene Ernst Edler von Schuch (Ernest Gottfried Schuch, vom österreichischen Kaiser in den Adelsstand erhoben) ab 1872 bis zu seinem Tod 1914 – zunächst als Kapellmeister, später als Generalmusikdirektor – wie kein anderer die Dresdner Hofoper und machte sie zu einer der führenden Musikbühnen Europas. Trotz Angeboten von renommierten Opernhäusern, u. a. dem Bayreuther Festspielhaus, blieb er Dresden treu und schuf ein Ensemble von Weltruf, vergrößerte die Kapelle und prägte ihren spezifischen Klang. Er pflegte das Repertoire seines Amtsvorgängers Richard Wagner, den er verehrte und dessen Werk er dem Dresdner Publikum in Gänze erschloss, und ergänzte es um zeitgenössische Werke. Die über vierzig Jahre seines Schaffens in Dresden (1872–1914) gelten als die Ära Schuch und strahlen bis heute aus.

Schuch war ein Allroundgenie. Seine Tätigkeit bürgte in jeder Hinsicht für Qualität. Er kannte sich nicht nur in der Musik vorzüglich aus, sondern nebenbei auch im gesamten Opernhaus, von den Werkstätten bis zu den technischen Einrichtungen. Trat irgendein schwieriges technisches Problem auf, Schuch konnte es lösen.

Richard Wagner meinte „Er ist der einzige Schuch, der mich nicht drückt“, und mit Richard Strauss verband ihn eine Künstlerfreundschaft par excellence. Beide verstanden sich wortlos. „Er verstand, unausgesprochen jede meiner Bitten; ein Blick genügte in der Regel. Wir sahen uns in den Proben an, ich nickte mit dem Kopf – oder er, je nachdem –, und das Verstehen war da!“ schwärmte Strauss und rühmte ihn als „diskreten Begleiter“ und meinte „meinen Werken ist er ein Mitschöpfer geworden durch die unbegrenzte Einfühlung, die er ihnen bei der Einstudierung angedeihen ließ“. Schuch machte Dresden mit Strauss‘ Tondichtungen bekannt. Von den vielen Ur- und Erstaufführungen unter seiner Stabführung sind insbesondere die Uraufführungen der Richard-Strauss-Opern „Feuersnot“ , „Salome“, „Elektra“ und „Rosenkavalier“ legendär sowie deutsche und italienische Erstaufführungen, u. a. von Robert Schumann, Gustav Mahler, Verdi, Puccini und Mascagni.

Anlässlich seines 175. Geburtstages ehrte ihn „seine“ Kapelle in Nachfolge mit einem Sonderkonzert, das ursprünglich Franz Welser-Möst leiten sollte. Er hatte ein „reines Strauss-Programm“ vorgesehen: Richard Strauss, Johann Strauß und Joseph Strauß. Krankheitsbedingt musste er jedoch kurzfristig absagen.

Für ihn hatte Chefdirigent Christian Thielemann die Leitung des Konzertes zu Ehren seines Amtsvorgängers mit einem reinen “Richard-Strauss“-Programm übernommen, den „Vier letzten Liedern“ und „Ein Heldenleben“. Das Konzert wurde zu einer ganz besonderen Sternstunde und einer würdigen Ehrung für Schuch. Man ist diesbezüglich in Dresden schon verwöhnt, aber hier hatte man den Eindruck, dass alles bisher Dagewesene noch übertroffen wurde, so genial, so präzise, klangschön und ausdrucksvoll war alles vom idealen Gesamteindruck bis ins letzte Detail.

Bereits die ersten Orchesterklänge der „Vier letzten Lieder“ ließen aufhorchen. Da wurden nicht nur die Gedanken der vertonten Gedichte von Hermann Hesse und Joseph von Eichendorff „auf Flügeln des Gesanges“ getragen, sondern auch der „Gesang auf Flügeln“ des Orchesters. Camilla Nylund, deren Stimme an diesem Abend besonders geschmeidig und warm dahinzufließen schien, gestaltete die vier letzten Lieder, die Strauss am Ende seines reichen kompositorischen Schaffens und auch Liedschaffens schrieb und die erst später unter diesem Titel zusammengefasst wurden, in kongenialer Weise, kraftvoll und strahlend, niveauvoll und glaubhaft, emotional und verstehend, ohne in irgendeiner Richtung zu übertreiben.

In einer ausgewogenen Balance zwischen Feingefühl und Ausdrucksstärke, mit feinen Nuancen, gekonnter Phrasierung und einfühlsamen Details, beeindruckend und ergreifend, ließ sie die Lieder erstehen. Sängerin, Dirigent und Orchester bildeten ein ideales Dreigestirn, bei dem auch nicht das kleinste Detail zu wünschen übrig ließ. Im letzten Lied „Im Abendrot““ erschien die Stimmung der möglichen Todesahnung mit feinster, einfühlsamer Flötenbegleitung wie die zwei einsamen Lerchen in stiller Natur im Liedtext so plastisch, dass danach lange Stille herrschte, um die Eindrücke nachklingen zu lassen, bevor enthusiastischer Beifall losbrach.

Nach diesem emotional beeindruckenden Gesang mit der sensiblen Orchesterbegleitung folgte Strauss‘ Tondichtung „Ein Heldenleben“ (op. 40), das Strauss 1898 auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens schuf. Es ist, wie oft verkannt, keine „Selbstbeweihräucherung“, sondern ein humorvolles, ironisches, klingendes „Selbstporträt“ zwischen Anfeindungen, Kritik und Selbstbehauptung, nicht schmerzfrei, aber letztendlich kann sich der Komponist wie ein „Held“ fühlen, nachdem er alles durchgestanden hat, auch wenn sich Strauss selbst nicht als Kämpfernatur sah.Bereits wenige Monate nach seiner Uraufführung in Frankfurt wurde das Werk auch in Dresden aufgeführt und hatte somit einen besonderen Bezug zu diesem Konzert zu Ehren Schuchs.

Thielemann und die Sächsische Staatskapelle hatten kürzlich damit einen überwältigenden Erfolg bei den Salzburger Osterfestspielen und wiederholten ihn nun in Dresden. Hier stimmte einfach alles, Thielemanns Gesamtkonzeption, perfekt bis ins „i‑Tüpfelchen“ erfasst und durchdacht und mit wunderbarer Transparenz dargeboten, selbst im Getümmel der eifernden und sich gegenseitig immer mehr überbietenden Kritiker, bei seinen Selbstzitaten und dem anspruchsvollen, ausgiebigen Violinsolo, das sich aus dem Klang der Kapelle erhob, die Gattin an der Seite des „Helden“ repräsentierend, souverän und klangschön ausgeführt vom Ersten Konzertmeister, Matthias Wollong.

Es ging kein Ton, keine Feinheit verloren. Der wunderbare Klang des Solo-Horns und überhaupt die sauberen Hörner, Trompeten, Tuben, Fagott, Oboe, Flöten und und und …, die alle für kleine Höhepunkte sorgten und sich in den prächtigen Gesamtklang einfügten, verdienen Bewunderung. Es wurde so durchsichtig und klangprächtig, selbst bei herzhaftem Trubel und temperamentvollen Ausbrüchen, erst Recht aber bei den besänftigten, emotional gefühlvollen Passagen musiziert, dass man, wenn auch schon oft gehört, die geniale Komposition noch intensiver erfassen konnte. Thielemann animierte seine Musiker zu Höchstleistungen, und die Musiker antworteten ihm mit einem Optimum an Akkuratesse, Klangreingeit und Klangschönheit. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen und ein gemeinsames Gestalten in ständiger Spannung und Anspannung. Von letzterer bemerkte das Publikum nichts, es konnte einfach nur lauschen und genießen.

Es war eine besondere Sternstunde mit Christian Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle, bei der das Publikum seiner Begeisterung mit Standing Ovations Ausdruck verlieh. Man konnte sich dabei aber auch nicht des beklemmenden, wehmütigen Gedankens erwehren, dass das Ende dieser glanzvollen Zeit abgesteckt ist, solche Konzerte in absehbarer Zeit in Dresden wohl kaum mehr stattfinden werden und man nicht verstehen kann, wie ein solcher Glücksfall, Thielemann am eigenen Haus zu haben, nicht nur verschenkt, sondern sein Weggang administrativ „verordnet“ wurde.

 Ingrid Gerk

 

 

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