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DRESDEN/ Semperoper:   SONDERKONZERT AM 475. GRÜNDUNGSTAG DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE MIT CHRISTIAN THIELEMANN

25.09.2023 | Konzert/Liederabende
Dresden/Semperoper:  SONDERKONZERT AM 475. GRÜNDUNGSTAG DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE MIT CHRISTIAN THIELEMANN – 22.9. und 24.9.2023

Christian Thielemann ließ es sich nicht nehmen, das alljährlich am Gründungstag (22.9.) „seiner“ Sächsischen Staatskapelle stattfindende Sonderkonzert zu leiten. In den ersten Jahren fanden diese Konzerte jeweils an einem der Orte statt, wo die einstige Dresdner Hofkapelle und spätere Staatskapelle im Laufe der Jahrhunderte gewirkt hat.

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Christian Thielemann. Foto: Matthias Creutziger
 
Das erste dieser Konzerte fand zur Erinnerung an die glanzvolle Ära unter Heinrich Schütz in der Dresdner Schlosskapelle statt. Weitere Konzerte folgten im Palais im Großen Garten, in der Semperoper und wiederholt im neuen Konzertsaal des Kulturpalastes mit seiner guten Akustik, da die Staatskapelle jahrelang die Symphoniekonzerte im alten Kulturpalast mit seiner unzulänglichen Akustik spielen musste, bevor die Konzerte in die Semperoper verlegt wurden. In diesem Jahr entschied man sich wieder für die Semperoper und wegen des großen Besucherzuspruchs sogar für eine Wiederholung zwei Tage später (24.9.), die ebenfalls hoffnungslos ausverkauft war.

1548 durch Kurfürst Moritz von Sachsen gegründet, kann die Sächsische Staatskapelle Dresden als eines der ältesten und traditionsreichsten Orchester der Welt, das ohne Unterbrechung über die Jahrhunderte auch in schwierigsten Zeiten bestanden hat, auf eine Geschichte mit bedeutenden Kapellmeistern wie Heinrich Schütz, Johann Adolf Hasse, Carl Maria von Weber und Richard Wagner, der das Orchester seine „Wunderharfe“ nannte, und eine enge Zusammenarbeit mit Richard Strauss zurückblicken sowie auf bedeutende Chefdirigenten wie Ernst von Schuch, Fritz Busch, Karl Böhm, Joseph Keilberth, Rudolf Kempe, Otmar Suitner, Herbert Blomstedt, Giuseppe Sinopoli, Christian Thielemann u. a.

Auf dem Programm des Gedenkkonzertes standen ausschließlich Werke der drei „Hausgötter“ des 19./20. Jahrhunderts, die eine enge Beziehung zur Dresdner Kapelle hatten und sie prägten und für die Thielemann ein besonderes Faible hat. Er vertieft sich mit selbstlosem Einsatz in deren Werke und lotet sie mit der Kapelle bis in ihre musikalischen und inhaltlichen Tiefen aus. Umso bedauerlicher, dass zum Ende der Spielzeit dieses künstlerisch so wertvolle Verhältnis infolge einer staatlichen (Fehl-)Entscheidung enden muss. Das stimmt immer wieder traurig, vor allem wenn man so beglückende Konzerte miterleben kann wie auch dieses.

Mancher Dirigent würde in einer solchen Situation alles absagen oder lustlos seinen “Dienst nach Vorschrift“ absolvieren. Thielemann nutzt die letzten Gelegenheiten mit der Sächsischen Staatskapelle zu wahren Höhenflügen. Er geht den Werken, die er dirigiert, auf den Grund, engagiert sich für alles, was er tut und beschert dem Publikum wahre Sternstunden.

Bereits mit dem ersten Werk des Abends, der erstmals 1818 zur Feier des 50-jährigen Thronjubiläum von König Friedrich August I. von Sachsen in Dresden aufgeführten „Jubel-Ouvertüre“ (op. 59), einer typischen Festmusik von Carl Maria von Weber, begann sehr feierlich und wurde trotz ihres pompösen Charakters mit zeitweisen wuchtigen Klangballungen transparent, mit schöner Klarheit und lebhaftem Presto musiziert. Kraftvolle Passagen wechselten mit, von der Kapelle liebevoll ausgeführten, lyrisch-feinsinnigen ab, die nach alter Sitte Macht und Herrschaft des Königs auf der einen Seite und Wohlwollen und Kunstsinn auf der anderen symbolisierten. Mit nur achtminütiger Dauer ist die Ouvertüre kurz, aber gehaltvoll.

Weber schrieb sie in seiner bekannten Weise, bei der er zur Vollendung brachte was sich bei Beethoven und seiner „Leonoren-Ouvertüre“ anbahnte, aber mit überraschender „Coda“, bei der nach einem Triangelschlag die sächsische Königshymne „Den König segne Gott…“ in reich instrumentierter Orchesterfassung erklingt. Diese Hymne machte die Ouvertüre im späten 19. Jahrhundert zu einem von Webers meistgespielten Werken und zu verschiedenen Zeiten in etwa einem Dutzend europäischer und amerikanischer Länder zur Hymne, auch im deutschen Kaiserreich. Ihre Existenz verdankt sie aber den Querelen, denen Weber an der italienisch orientierten Hofoper als Kapellmeister wegen seines Ziels, neben der Aufführung französischer und italienischer Werke vor allem die Etablierung der deutschen Oper durchzusetzen, ausgesetzt war. (Querelen gab es auch damals schon).

Weber sollte zur Feier ursprünglich seine, in Hosterwitz (damals) bei Dresden (jetzt eingemeindet) komponierte „Jubel-Kantate beisteuern. Während seiner Abwesenheit wurde jedoch ein nahezu komplettes italienisches Festkonzert zusammengestellt, und nur durch einen Kompromissvorschlag des Hoftheaterintendanten wurde die, von Weber dafür innerhalb von nur zehn Tagen komponierte, „Jubel-Ouvertüre“ vorangestellt.

Richard Wagner, Webers Nachfolger im Amt des Königlich-Sächsischen Hofkapellmeisters, dirigierte in Dresden 27 Jahre später seinen „Tannhäuser“, nachdem er,  mit „Rienzi“, von dem er sich später als seinem „Schreihals“ distanzierte, seinen Durchbruch als Komponist erlebte. Seine „Ouvertüre zu ‘Tannhäuser‘ “ begann mit fein zelebriertem Auftakt, der geheimnisvoll manches inhaltlich erahnen ließ, was in der Oper folgt. Mit feinen Klängen in wohlig-warmen Tönen und schillernden Farben wurde Tannhäusers Aufenthalt im Venusberg geschildert und froh und befreiend sein Abschied von der Venus. Sich langsam steigernde Dramatik wies auf den Inhalt der Oper hin. Thielemann wählte manches Tempo etwas zügiger als gewohnt, aber bei seiner Konzeption durchaus stimmig.

1911 erklang schon vier Monate nach der Frankfurter Uraufführung „Also sprach Zarathustra“ (op. 30 TrV 176) von Richard Strauss an der Dresdner Oper. Jetzt widmeten sich Thielemann und die Kapelle dieser 1885 entstandenen Tondichtung, die sich explizit auf die gleichnamige philosophisch-dichterische Schrift gleichen Namens von Friedrich Nietzsche bezieht. Nietzsche übte darin mit der Gestalt des iranischen Priesters und Philosophen Zaotar (unter anderem auch Zarathustra oder Zoroaster genannt), der im 1. oder 2 Jahrtausend v. Chr. eine Religion vom Ringen des Guten gegen das Böse begründete, Kritik am deutschen Philistertum. Entsprechend dieser Religion hat der Mensch bis zum Tag des Gerichts die freie Wahl, sich für den rechten Weg, den Weg der Wahrhaftigkeit mit den Grundsätzen: Gutes Denken, Gutes Sprechen, Gutes Tun zu entscheiden, oder für das Böse.

Zwar war Zarathustra Gegenstand zahlreicher Opern und anderer Kompositionen von J. P. Rameau bis Gustav Mahler, durch Strauss erlangte die Gestalt jedoch im 20. Jahrhundert einen gewissen Bekanntheitsgrad. Mag das Sujet jetzt auch nicht mehr gegenwärtig sein, musikalisch ist Strauss’ Tondichtung ein Meisterwerk, das Thielemann mit der Kapelle in allen Schattierungen und Details ausleuchtete und die neun Bilder in ihrer sehr unterschiedlichen Charakteristik in Strauss’ genialer Art, Bildhaftes in Musik umzusetzen, plastisch bei entsprechender Lebhaftigkeit stets transparent und ausdrucksvoll in schönster Klangentfaltung erstehen ließ.

Aus einem düsteren Kontrabass-Tremolo, begleitet von Orgel, Kontrafagott und großer Trommel, erhob sich strahlend die Trompete, entstiegen, leiseste, feingliedrige Töne dem Orchester, die descrescendo immer leiser bis zum immer noch hörbaren Pianissimo verklangen im Kontrast zu den mit viel Vehemenz gebotenen Episoden. Sehr klangschön und sicher trugen auch die Violinen um Konzertmeister Matthias Wollong zu diesem überaus positiven Eindruck bei.

Nach diesem meisterhaft dargebotenen ernsthaft-philosophischen Werk heiterte die „Suite“ aus der Oper „Der Rosenkavalier“ (op. 59 TrV 227d) das Publikum mit überwältigendem Humor auf. Thielemann kostete mit der Kapelle eine breite Palette an Klangfarben und feinen Schattierungen aus, von echt Strauss’schem, derbem Humor, bei dem der Ochs um die Ecke blickt, bis zu feinsten klangschwelgerischen Passagen, mit liebevollen Nuancen für das liebende junge Paar. Es war alles drin. Ausgelassene Walzerklänge durchzogen schwungvoll das Stück und verliehen dem Ganzen Leichtigkeit beinahe bis zur Schwerelosigkeit.

Zuweilen hielt sich Thielemann sogar zurück, um die Musiker ganz ihrem fein nuancierten Spiel zu überlassen, bei dem man manchmal meinen möchte, dass die Kapellmitglieder die Art, wie sich Strauss bei seinen damaligen Dirigaten bestimmte Stellen vorstellte, von Generation zu Generation an ihre jeweils jüngeren Musikerkollegen bis heute weitergegeben und bewahrt haben, wie beispielsweise im letzten rein instrumentalen „Duett“ „Ist ein Traum“, um es dann wieder derb-fröhlich zum schwindelerregenden „Kehraus“ zu führen. Es war ein Glück, noch einmal ein Konzert zu erleben, bei dem Thielemann all seine dirigentischen Fähigkeiten und Vorzüge einsetzte, um großartige Werke zum Klingen zu bringen, ein Abend voller „Glanz und Klang“ gemäß dem Slogan der Staatskapelle.

So ganz nebenbei“ war dieses Konzert das letzte Konzert für einen Kapellmusiker, der in den wohlverdienten Ruhestand entlassen wurde. Man konnte es nur daran erkennen, dass seine Kollegen mit großen Blumensträußen ins Orchester gingen und ihn mit leisen Worten verabschiedeten. Es gab Zeiten, da ließ es sich der jeweilige Intendant des Hauses angelegen sein, diese Verabschiedung selbst auf der Bühne zu übernehmen. Es wäre doch schön, wenn diesse gute Sitte wiederbelebt werden könnte. Später kam es dann manchmal vor, dass das Ereignis wenigstens auf einem Beilagenzettel im Programmheft erwähnt wurde, eine etwas weniger eindrucksvolle Geste – aber immerhin. Jeder Musiker der Staatskapelle, ob Solist oder Tutti-Geiger gibt sein Bestes und verdient nach vielen Jahren und Jahrzehnten seiner Tätigkeit eine ehrenvolle Verabschiedung.

Ingrid Gerk

 

 

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