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Dresden/Kulturpalast: „REQUIEM“ VON ANTONÍN DVORÁK MIT DER DRESDNER PHILHARMONIE – 3.10.2024
Foto: privat
Nach dem „Stabat Mater“ von Antonín Dvořák (13.2.2024) hatte sich Marek Janowski, 2001-2003 und 2019/2020 Chefdirigent und künstlerischer Leiter der Dresdner Philharmonie, nun auch dessen „Requiem“ (op. 89) vorgenommen, sagte jedoch leider aus persönlichen Gründen ab. Für ihn leitete nun Michael Sanderling, 2011-2019 Chefdirigent des Orchesters, die beiden Aufführungen (2./3.10.) des 1890 für das Birmingham Triennial Musical Festival geschriebenen Meisterwerkes.
Die böhmisch-musikantischen Züge, die schon zu Dvořáks Lebzeiten, nachdem seine „Klänge aus Mähren“ und danach die noch populäreren „Slawischen Tänze“ durch Vermittlung von Johannes Brahms an den Verleger Simrock in Deutschland im Druck erschienen waren, vom Publikum im deutschsprachigen Raum als frisch, natürlich und angenehm exotisch empfunden wurden, in seinem Heimatland das aufkeimende Nationalbewusstsein seiner Landsleute ansprachen und auch jetzt noch ihren besonderen Reiz ausüben, treten bei diesem „polystilistischen“ Werk kompositorisch in den Hintergrund.
Durch die Mitwirkung des weltweit renommierten, hervorragend singenden, Prager Philharmonischen Chores, der die Musik seines Landsmannes “im Blut“ hat, und die beiden Sängerinnen, die Sopranistin Simona Šaturová aus Bratislava und die Altistin Anna Lapkovskaj aus Minsk sowie die besondere Transparenz der Aufführung unter Sanderlings Leitung schwang diese unverkennbare nationale Komponente allgegenwärtig unterschwellig mit und ergänzte in dezenter Weise den Klangeindruck.
Der Chor ist in diesem Werk ein wichtiges Element. Er wirkt bis auf eine Ausnahme in allen 13 Teilen des Requiems maßgeblich mit. Der Prager Philharmonische Chor, der älteste professionelle Chor Tschechiens, 1935 gegründet und seit 2007 von Lukáš Vasilek geleitet, wurde mit seinen klangvollen Frauenstimmen und prägnanten Männerstimmen – auch als reiner Frauenchor und sehr sicherer vierstimmiger Männerchor – nicht nur seinen Aufgaben bestens gerecht. Mit bestechender Klarheit und feiner Nuancierung, Können, Werkverständnis und Hingabe beeindruckten die Sängerinnen und Sänger in gut ausbalancierten Sätzen, präzisen und mit genau passenden Einwürfen, scheinbarer Leichtigkeit und feiner Differenzierung. Sie prägten damit die Aufführung.
Die beiden Solistinnen verfügen über klangvolle Stimmen mit für Oratorien geeignetem Timbre, die sowohl im Duett als auch mit Chor und Orchester gut harmonierten. Sie sangen mit der richtigen Diktion für diese Gattung und fügten sich gut in das Gesamtgefüge ein. Der infolge einer jahreszeitlich bedingten Erkältung als indisponiert angekündigte Tenor Benjamin Bruns hielt sich etwas zurück, fügte sich aber ebenfalls gut in den Duktus der Aufführung ein. Die Basspartie hatte Tomasz Konieczny übernommen und sang mit opernhafter Power.
Für den vielfältigen Ausdruck von grellem Schrecken, sanftem Flehen, stiller Trauer, Hoffnung und Trost verwendet Dvořák in seinem Requiem Anklänge und Stilelemente der wichtigsten Kirchenmusiktraditionen vom Mittelalter bis zur Klassik und selbst der damals modernsten Strömungen in Richtung Richard Wagner und Richard Strauss. Vom dramatischen bis zu lyrischen, andachtsvollen Tönen, bei denen oft dunkle Farben in vielfältigen Facetten und tiefe Bläser das Klangbild bestimmen, entfaltet er einen unglaublichen Reichtum an Melodien und Ausdrucksformen.
Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle“, meinte Brahms, sein Förderer und lebenslanger Freund, der damalige „Übervater“ unter den Komponisten, dem Dvořák seinen internationalen Durchbruch und letztendlich seine Weltkarriere verdankte. In seinem „Requiem“ kommt – wie bei seinem „Stabat mater“ seine kompositorische Vielseitigkeit zum Ausdruck.
Michael Sanderling war eine sehr transparente Aufführung in angemessenem Tempo zu verdanken, bei der jede Passage ihren Platz hatte, jedes Instrument der Musiker der Dresdner Philharmonie, bei denen vor allem die Blechbläser-Einsätze zur Geltung kamen und sich ein ausgewogenes Farb- und Klangspektrum zwischen allen Ausführenden im vokalen und instrumentalen Zusammenwirken entfalten konnte. Er gab allen Ausführenden Zeit und Raum für eine ruhige, dem Werk entsprechende, Ausführung, orientierte aber auch auf Eindringlichkeit und Leidenschaft.
Trotz aller Vielfalt und enormen Bandbreite der verwendeten kompositorischen Mittel war das Werk als Einheit zu empfinden, die nicht zuletzt durch ein chromatisches klagendes, seufzendes Motiv, das durch die Umspielung eines Tones um eine kleine Sekunde, mal nach oben, mal nach unten als „Todesmotiv“ hergestellt wird. Es durchzieht die gesamte Totenmesse in Form einer Viertonfolge, ähnlich einem Wagnerschen Leitmotiv sämtliche Sätze zwischen dem Anfang, wenn es wie zögernd in den gedämpften Celli und Violinen erscheint, bis zum Schluss mit Holzbläsern, Hörnern und Streichern und war hier in seinem „heiligen Schauer“ deutlich zu verfolgen.
Ungewöhnlich wurde eine Pause nach dem ersten, düster klingenden Teil mit den Sätze 1 ‑ 8, in denen vom Jüngsten Gericht die Rede ist, eingefügt, was auch als Besinnungspause zu werten sein konnte, um dem zweiten, tröstlicheren Teil wieder aufmerksam zu folgen.
Obwohl bei der Sujet-Auswahl und auch während des Komponierens keine persönliche Betroffenheit Dvořáks mitspielte wie beim „Stabat mater“, sondern in einen ausgesprochen glücklichen Lebensabschnitt fiel, ist dieses Requiem für Soli, Chor und Orchester eine immer wieder ergreifende Totenmesse von universeller Gültigkeit, gleich, ob in Konzertsaal oder Kirche, verbunden mit dem Nachdenken über den Tod und das Leben.
Ingrid Gerk