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Dresden/Kulturpalast: POESIE UND ROMANTIK – ELGAR UND BRAHMS IM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE – 24.3.2024
Britische Poesie und deutsche Romantik trafen im Konzert der Dresdner Philharmonie bei dem „Violinkonzert“ von Edward Elgar und der „Vierten“ von Johannes Brahms zusammen. Beide Komoponisten haben einiges gemeinsam, nicht nur die Zeit der Romantik, in der sie lebten (wenn auch etwas zeitversetzt), aber sie unterscheiden sich in ihrem Personalstil. Beide hatten schwere Lebensabschnitte mit dem Gefühl des „Niemals-Ankommens“ zu bewältigen. Brahms zweifelte vielleicht am meisten von allen Komponisten an der Möglichkeit, in seiner Zeit noch etwas Neues, Gültiges bringen zu können, denn nach Beethoven, der mit seiner „Neunten“ den Schlusspunkt unter alle ,Sinfonien gesetzt zu haben schien, konnte nicht mehr viel kommen, und doch schaffte er es. Elgar gelang der internationale Durchbruch erst 42jährig mit seinen „Enigma-Variationen“ und den „Pomp and Circumstance-Märschen, von denen „Land of Hope and Glory“ zur inoffiziellen Hymne Großbritanniens wurde.
Beide schrieben nur ein Violinkonzert, wobei das von Brahms eine gewisse Vorbild-Wirkung für Elgar hatte. Obwohl Elgar selbst Geige spielte, dauerte es lange, bis er, 1909/1910 sein erstes und einziges Violinkonzert, sein „Violinkonzert h-Moll“ (op. 61), auf Wunsch des damals berühmtesten Violin-Virtuosen Fritz Kreisler, der es dann auch aus der Taufe hob, schrieb, was sich aber über vier Jahre hinzog. Mit dem „Windflower“-Thema weist er darin auf seine erfolgreichen „Enigma-Variationen“ hin. Bis heute ist es eines der meist gespielten und beliebtesten, aber auch schwierigsten Violinkonzerte und stellt höchste Ansprüche an die Solisten. Für die Ausnahmekünstlerin Julia Fischer, die ihr Instrument außerordentlich gut beherrscht und nebenbei auch gut Klavier spielt, schien das kein Problem zu sein. Sie meisterte den Solopart mit seinen Doppelgriffen und schnellen Arpeggien souverän und gestaltete obendrein eine brillante Kadenz..
Wie bei Brahms sind Soloinstrument und Orchester gleichberechtigte Partner. Vasiliy Petrenko (nicht zu verwechseln mit Kyrill Petrenko, mit dem er weder verwandt noch verschwägert ist) stellte sich am Pult der Dresdner Philharmonie sehr auf die Solistin ein. Beide hatten das gleiche Werkverständnis. Es war ein gewinnbringendes Miteinander, ein gegenseitiges Verstehen, Aufeinanderzugehen und Mitgestalten, wie es das Werk erfordert.
Bei der umfangreichen Orchesterexposition am Beginn des ersten Satzes und in den weiteren reinen Orchesterpassagen dominierten vehemente, temperamentvolle Klänge, sobald aber die Solovioline einsetzte, nahm Petrenko sehr zurück, so dass sich die Solistin bei den überaus virtuosen Passagen, deren Bewältigung von enormen technischen Schwierigkeiten, die die größtmögliche Kondition und Virtuosität verlangen und nicht selten an die Leistungsgrenze führen, entfalten konnte, unterstützt vom Orchester. Bei noch so hoher Virtuosität bleibt ihr Spiel stets geschmeidig und klangvoll, versteht sie die feine Kunst, auch die leisesten Töne noch hörbar zu machen, wobei ihr die gute Akustik des Konzertsaales sehr entgegenkam. Zwischen romantischen Klängen und Vehemenz bis zum temperamentvollen Schluss war eine grandiose Wiedergabe von Elgars Violinkonzert zu erleben.
Für den enthusiastischen Applaus mit Bravo bedankte sich Julia Fischer mit einer mindestens ebenso virtuosen Zugabe, einer „Caprice“ von Niccolò Paganini, ein sehr virtuoses Stück mit zahlreichen Läufen chromatisch abwärts, wahre musikalische „Teufelskünste“, die noch einmal ihr Können zeigten. Kein Wunder, dass das Publikum bei einem kleines Absatz sofort applaudierte, aber sie nutzte die Gelegenheit nicht, um abzubrechen, sondern setzte ihr virtuoses Spiel mit einem verständnisvollen Lächeln fort.
Dann geschah etwas Ungewöhnliches, der Erste Konzertmeister, Wolfgang Hentrich, bedankte sich mit Blumen und freundschaftlichen Worten bei der Geigerin im Namen der Philharmoniker anlässlich ihres gemeinsamen 25. Konzertes, das sie innerhalb der 20 Jahre ihrer internationalen Konzerttätigkeit gab.
Vasily Petrenko bewies auch bei der nachfolgenden „Sinfonie Nr.4 e-Moll“ von Johannes Brahms sehr viel Sinn für Werktreue. In schöner Transparenz kamen Melodienreichtum, Klangschönheit und Instrumentierungskunst dieser 1884/1885 komponierten Sinfonie zur Geltung, wurde Brahms’ Kompositionsverfahren, bei dem sich aus einer kleinen Keimzelle nach und nach die gesamte Struktur entwickelt und bis zu gewaltigen Klangmassen aufbaut sehr deutlich, eine in gedanklicher Konzentration sich „entwickelnde Variation“, wie es Arnold Schönberg nannte. Schöne Holzbläser: Flöte(n), Horn, Fagott sowie Trompeten und Posaunen und der warme Klang der Streicher verliehen der wohldurchdachten Aufführung in einer Balance zwischen Temperament, Tempo und Brahms` spezifischer Klangschönheit Glanz.
Bei der Uraufführung der Sinfonie waren die Zuhörer ratlos oder betrachteten sie mit zwiespältigen Gefühlen, darunter auch Clara Schumann und Kritikerpapst und Brahms-Freund Eduard Hanslick, bei der Welttournee unter Hans von Bülow war sie ein Erfolg, nur die Wiener Philharmoniker sangen damals auf die ersten Takte „Es fiel ihm wieder mal nichts ein“. Heute gilt Brahms´ vierte und letzte Sinfonie als Meisterwerk, als ein Höhepunkt unter den Werken der Spätromantik und begeisterte in dieser sehr klaren, werkgetreuen Wiedergabe, bei der Petrtenko vor allem Meister Brahms „zu Wort kommen“ ließ. Sie war geeignet, dem Werk neue Freunde zu gewinnen.
Ingrid Gerk