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DRESDEN/ Kulturpalast: I PURITANI -konzertant – ein Feuerwerk des Belcanto und ausdrucksstarker Dramatik

11.12.2023 | Oper international

Dresden/Kulturpalast: „I PURITANI“, KONZERTANT – EIN FEUERWERK DES BELCANTO UND AUSDRUCKSSTARKER DRAMATIK – 10.12.2023

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Copyright: Oliver Killig

„I puritani“ („Die Puritaner“), Vincenzo Bellinis letzte und neben „La sonnambula“ und „Norma“ auch eine seiner bekanntesten Opern, wird selten aufgeführt, geriet aber nach ihrer erfolgreichen Uraufführung 1835 im Théâtre-Italien in Paris nie ganz in Vergessenheit. Maria Callas brachte sie einst wieder auf die Bühnen der Gegenwart. In Dresden gab es 2005 eine glanzvolle konzertante Aufführung mit Edita Gruberova.

Die Handlung ist aus heutiger Sicht nicht mehr sonderlich interessant, aber sie diente dem Komponisten als „Aufhänger“ für großartige musikalische Szenen, die auch jetzt noch eine ungeheure Faszination ausüben und unmittelbar ansprechen, wenn sie – so hochrangig besetzt – meisterhaft geboten werden wie bei dieser jüngsten Aufführung mit prädestinierten Solisten, dem MDR-Rundfunkchor und der Dresdner Philharmonie unter Riccardo Frizza.

Vor dem historischen Hintergrund des englischen Bürgerkrieges Mitte des 17. Jahrhunderts zwischen den Puritanern unter Oliver Cromwell und den königstreuen Anhängern der Stuarts, der damit endete, dass König Charles I. entmachtet und 1649 hingerichtet wurde, entspinnt sich eine frei erfundene Opernhandlung (Libretto: Carlo Pepoli) auf der Seite der Puritaner. Ein Adliger, Parteigänger der Stuarts, verhilft der gefangenen und zum Tode verurteilten Königin Enrichetta (Henrietta Maria), deren Rolle in freier Erfindung eingeführt wurde, zur Flucht und riskiert dabei unbewusst, dass seine Geliebte aus dem Lager der Puritaner aus Eifersucht und Enttäuschung dem Wahnsinn verfällt.

Das gibt unter anderem Gelegenheit für eine großartige und großangelegte „Wahnsinns-Szene“, was damals offenbar sehr beliebt war und nicht zuletzt auch dazu diente, das Publikum mit ungewöhnlichen Erscheinungen des menschlichen Lebens wie Somnambulismus und Wahnsinn ins Theater bzw. Opernhaus zu locken, man denke nur an „Lucia di Lammermoor“ usw. Überhaupt spielt hier die Eifersucht in turbulenten Szenen eine große Rolle, doch dann gibt es in letzter Minute noch ein Happy End. Der Wahnsinn wird durch treue Liebe besiegt und die beiden Liebenden werden beim Sieg der Puritaner begnadigt, weshalb sich die Geister scheiden, ob es sich nun genremäßig um eine Opera seria oder Opera semiseria handelt, was jedoch für den gewaltigen musikalischen Einruck unerheblich ist.

Bellini gestaltete seine Oper bei aller Romantik ungewöhnlich realistisch, verwischt darin die Gattungsgrenzen und hebt sie mitunter sogar auf. Er verwendet Elemente der französischen Grand opéra und verleiht seiner Oper „einen militärischen Hauch“, wie er es selbst nannte.

Die Oper beginnt mit sehr schönen, lieblichen Tönen der Streicher und unterschwellig grummelnder Pauke sowie einem Choral, um auf den Zwiespalt zwischen Elviras Vorfreude am Hochzeitstag und der drohenden Gefahr einzustimmen. Bereits mit diesen ersten Tönen zeichnete sich die intensive Gestaltung der Aufführung ab. Unter der musikalischen Leitung von Frizza spielte die Dresder Philharmonie stilistisch perfekt, makellos, ausgeglichen und ausdrucksstark, mit sauberen, klangschönen Hörnern, Trompeten und Posaunen, sehr schöner Solo-Flöte und exzellentem Solo-Horn. Sie bot sehr klangschöne reine Instrumentalpassagen, begleitete die Solisten sehr einfühlsam und verschmolz mit ihnen und dem Chor zu einer untrennbaren Einheit.

Der MDR-Chor realisierte die hochdramatische Handlung und das militärische Element, die feste Entschlossenheit der Puritaner im Kampf zu siegen, mit einiger Lautstärke, ungeachtet der guten Akustik des Konzertsaales. Die 30 Sängerinnen und Sänger sangen äußerst exakt, wie eine verschworene Gemeinschaft, meisterten auch die sehr schwierigen, virtuosen Passagen, wie die  chromatischen Abwärtsgänge, perfekt und warteten, als sich die Wogen der Handlung glätteten, mit sehr feinsinnigem, wirkungsvollem Piano auf.

Die Haupt-Partien waren, entsprechend dem Charakter der jeweiligen Rollen, in sängerischer Hinsicht stimmig besetzt. Da Lisette Oropesa als Elvira, Tochter des Generalgouverneurs und Festungskommandanten, kurzfristig absagen musste, war noch kurzfristiger (ohne Proben) die australische Sopranistin Jessica Pratt für diese anspruchsvolle Partie der Elvira, eingesprungen. Sie ist mit der Rolle vertraut, hat sie schon oft gesungen und konnte sie mit ihren Erfahrungen sehr gut gestalten und sich sofort ins Ensemble einfügen. Sie tritt bei bedeutenden Festivals und auf den großen Bühnen Europas auf. Dass sie durch diesen „Zufall“ ihr Debüt in Dresden gab, war ein Glücksfall für die Musikfreunde, die von überall her angereist waren.

Ihre Bühnenpräsenz und ihre sängerischen Möglichkeiten vom energischen „Nein“ als vermeintliche Braut des ungeliebten Riccardo über hochdramatische Ausbrüche im Überschwang der Gefühle, sehr lockere, wie selbstverständlich perlende, Koloraturen bis zu sehr sanften, leisen Tönen im Piano, wenn Elvira dem Wahnsinn verfällt, machten sie zur dominanten Hauptperson.

Ihr zur Seite stand der weltberühmte amerikanische Tenor Lawrence Brownlee als Lord Arturo Talbo, Wunsch-Bräutigsam der Elvira, nicht gerade groß von Gestalt, doch welch große, unglaublich schöne Stimme, welche Ausdruckskraft, die ihn insbesondere für das Belcanto-Repertoire prädestinieren. Wie bravourös bewältigte er die größten gesangstechnischen Schwierigkeiten, unbedingt sicher und mit extrem langem Atem bis zu den höchsten Höhen und schwierigsten Passagen, selbst a capella.

Elviras wohlwollender, versöhnender Onkel, Sir Giorgio Valton, Oberst a.D., wurde von Riccardo Zanellato in idealer Weise mit profunder, wohlklingender, runder Stimme verkörpert. Seine große Stimmfülle und weicher Gesang machen ihn zum gefragten Interpreten des Repertoires von Verdi, Bellini, Donizetti und Rossini. Überwältigend, wie er in einer großen Szene den Wahnsinns-Zustand Elviras voller Wärme mit verständnis- und liebevoller Anteilnahme schilderte und bravourös beendete, aber auch im Duett hatte er das richtige Gespür, sich in besonderer Weise einzubringen.

Anthony Clark Evans erfüllte seine Rolle als von Elvira abgewiesener Heirats-Anwärter Oberst Sir Riccardo Forth, mit intensiver Dramatik, um seinem Unmut und Enttäuschung Luft zu machen. Als Königin schilderte die rumänische Mezzosopranistin Roxana Constantinescu ihr Los vornehm zurückhaltend und distinguiert, eine ängstlich-gebrochene Frau und doch Königin. In weiteren Rollen fungierten Martin-Jan Nijhof als Elviras Vater, Lord Gualtiero Valton, und Simeon Esper als Offizier Sir Bruno Roberton.

Die Handlung erschloss sich rein musikalisch, ohne alle Verfremdung. Dezente, sinnvolle Auftritte und Abgänge der Solisten nach Bedarf und das „Troubadour-Lied“, von „Elvira“ mit leichter Orchesterbegleitung hinter der Bühne gesungen, belebten die Aufführung und unterstrichen die Handlung. Bei diesen intensiven sängerischen Meisterleistungen bedurfte es keiner szenischen Umsetzung. Hier war alles durch die Aussagekraft der Musik gesagt.

Ingrid Gerk

 

 

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