Dresden / Kulturpalast, Frauenkirche, Palais im Großen Garten usw.: STREIFLICHTER VON DEN 47 DRESDNER MUSIKFESTSPIELEN UNTER DEM MOTTO „LIEBE“ – TEIL I – 17.5. – 14.6.2025
Die Dresdner Musikfestspiele haben sich zu einem sehr vielseitigen Festival mit sehr unterschiedlichen Aufführungsorten, konservativen und unkonventionellen, und Konzerten der sogenannten U- und E-Musik entwickelt. Hier geht es ausschließlich um herausragende Konzerte der letzteren Art.
Die Dresdner Musikfestspiele sind regelmäßiger Gastgeber für die weltweit renommierten Orchester. In diesem Jahr war erstmalig das weltweit bekannte NHK Symphony Orchestra Tokyo, einer der besten Klangkörper Asiens, unter seinem jetzigen Chefdirigenten Fabio Luisi zu Gast und eröffnete mit Festspielintendant Jan Vogler die 47. Dresdner Musikfestspiele. Außerdem gab es erstmalig in der
Frauenkirche: EIN KONZERT AM VORABEND MIT DEM NHK SYMPHONY ORCHESTRA TOKYO UND AKIKO SUWANAI – 17.5.
Unter der Leitung von Fabio Luisi standen zunächst die 1994/95 zusammengestellten „Three Film Scores“ von Tōru Takemitsu als „Visitenkarte“ aus dem Heimatland der Gäste auf dem Programm, bei denen sie ganz in ihrem Element waren. Anschließend interpretierte die ebenfalls aus Japan stammende Akiko Suwanai mit viel Einfühlungsvermögen und Anteilnahme das immer wieder ergreifende Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“, Alban Bergs letztes vollendetes Werk, das er 1935 auf den Tod der erst achtzehnjährigen, an Kinderlähmung erkrankten Manon, Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius schrieb. Zum Abschluss des Abends erklang die „Vierte Sinfonie“ von Johannes Brahms, eines seiner beliebtesten und meistgespielten Orchesterwerke.
Tags darauf fand im
Kulturpalast: DAS ERÖFFNUNGSKONERT MIT DEM NHK SYMPHONY ORCHESTRA TOKYO UND JAN VOGLER – 18.5.
Statt. Nach der Ansprache des Oberbürgermeisters ließ es sich Musikfestspiel-Intendant Jan Vogler nicht nehmen, zu seinem Stradivari-Cello „Castelbarco/Fau“ von 1707 zu greifen und seine Begrüßungsworte musikalisch mit dem lange verschollenen geglaubten – bis 1961 im Prager Nationalmuseum eine Stimmenabschrift gefunden wurde und beim Prager Frühling wieder aufgeführten – „Cellokonzert Nr. 1 C-Dur“ von Joseph Haydn fortzusetzen. Für das inzwischen relativ oft und in den verschiedensten Lesarten interpretierte Solokonzert wählte Vogler eine sehr persönliche, sehr sympathische Variante.
Der 1. Satz erklang frisch und eher sachlich mit kleinen virtuosen Momenten und singendem Ton, klaren Doppelgriffen und schönen Trillern, der 2. Satz mit klangvoller Tongebung bis zum mitreißenden Finale des 3. Satzes, ganz dem freundlichen Charakter der Haydnschen Musik entsprechend, der mit diesem Konzert einem genialen Cellisten der Esterházyschen Hofkapelle Gelegenheit geben wollte, sein Können unter Beweis zu stellen. Das Orchester unter Fabio Luisi hielt sich in seiner vornehm-liebenswürdigen japanischen Art zurück, so dass Voglers Solopart in allen Nuancen zur Geltung kam. Als Dank für den einhelligen Beifall des voll besetzten Konzertsaales gab es noch eine mehrstimmige Zugabe für Cello solo, die mit gleicher Begeisterung aufgenommen wurde.
Im zweiten Teil erklang die „Sinfonie Nr. 4 G-Dur“ von Gustav Mahler mit dem Wunderhorn-Gedicht „Das himmlische Leben“, bei der es entgegen den beschaulichen Satzbezeichnungen nicht nur himmlische Freuden, sondern sich logisch entwickelnde, aus der scheinbar friedlichen Idylle aufsteigende. kontrastreiche, leidenschaftlich und lautstarke Passagen als ausdrucksstarke Risse und Brüche, die sein Gesamtschaffen durchziehen und auch hier Mahlers Weltschmerz überhöhten. Die aus dem chinesischen Ningbo stammende Sopranistin Ying Fang, die auch auf den großen Opernbühnen zu Hause ist, brachte mit ihrer klaren, aber nicht allzu voluminösen Stimme eine andere als bei dieser Sinfonie gewohnte Farbe ein, bei der man das himmlische Strahlen erwartet, passte aber zum Klangcharakter des Orchesters.
Auf seiner Europatournee machte im
Kulturpalast: Das US-AMERIKANISCHE CHICAGO SYMPHONY ORCHSTRA – 19.5.
wieder in Dresden Station und bewies mit der 1908 mit der Tschechischen Philharmonie in Prag uraufgeführten „Sinfonie Nr. 7 e-Moll“ von Gustav Mahler, die zu den herausforderndsten Werken der Orchesterliteratur zählt, unter dem niederländischen Stardirigenten Jaap van Zweden seine Extraklasse. Unter van Zwedens umsichtiger Leitung, bei der er alles im Blick hatte, erfüllten die Musiker den Konzertsaal mit Verve und Power und überwältigendem Klang, spürten kontrastreich und sehr eindringlich Mahlers Weltscherz und Brüchen im scheinbar fröhlichen Leben nach, loteten die Grenzen des Orchesterklanges aus und drangen in bislang weniger beachtete Dimensionen der Sinfonie vor, die Mahler als „heiter“ und „humoristisch“ bezeichnete und van Zweden sich „auf der Grenze zwischen Traum und Realität“ bewegend sieht, denn die immer wieder eindringenden trüben Gedanken, von innerer Unruhe und Zweifeln getrieben, waren unüberhörbar. Überhöht und in starken Kontrasten, mit großer Präzision und besonderer Transparenz wurden die Gegensätze von leicht verträumt mit Klangschönheit und Weltschmerz mit nachhaltiger Härte dieser musikalisch sehr reichhaltigen Sinfonie in logischer Folge herausgearbeitet, eine unübertroffene Aufführung, eine Sternstunde der Wiedergabe dieser Sinfonie, die zu Recht mit Standing Ovations geehrt wurde.
Da sich der Konzertsaal im Kulturpalast auch als kongenialer Konzertsaal für Kammermusik ideal eignet. fand im
Kulturpalast: EIN KLAVIERREZITAL MIT MITSUKO UCHIDA – 23.5.
statt. Seit Jahrzehnten zählt Mitsuko Uchida, die „Grande Dame der feinen Töne, international zu den Ausnahmekünstlern auf dem Gebiet der Klaviermusik. Ihr Herz schlägt besonders für die Wiener Klassik und die deutsch-österreichische Klavierliteratur. „Jeder Tag meines Lebens, an dem ich Mozart, Beethoven, Schubert und auch die Musik unserer Zeit spielen darf – das ist für mich ein Geschenk …“ bekennt sie und meint vage vielleicht das „eines Himmels“. Sie begann mit Ludwig van Beethovens „Sonate für Klavier Nr. 27 e-Moll“ (op. 90), die bei ihrer feinsinnigen Art, mit der sie mit feinem, klangvollem Anschlag den empfindsamen Gedanken und Gefühlen des Komponisten nachspürte, auch jetzt noch genauso anzusprechen und zu bewegen vermochte wie zur Entstehungszeit, als die Konzertbesucher noch wesentlich empfindsamer reagierten.
Mit gleicher Intensität brachte sie aber auch der neueren Musik konzentrierte Aufmerksamkeit entgegen und setzte ihr pianistischen Können für Arnold Schönbergs, 1909 komponiertem und 1910 in Wien uraufgeführtem Zyklus „Drei Klavierstücke“ (op. 11), eine der ersten Instrumentalkompositionen in sogenannter „freier Atonalität“, und György Kurtágs „Márta ligaturája“ mit extrem komprimierten Dreiklängen, aber auch leicht träumerischem Anflug ein, wobei hier mehr die Virtuosität und Neuartigkeit im Vordergrund stand.
Mitsuko Uchida ist besonders bekannt und berühmt für ihre feinsinnigen Interpretationen der Klaviersonaten von Franz Schubert, was sie bei ihrem Rezital mit der „Sonate für Klavier B-Dur“ (D 960), einem Höhepunkt im Klavierschaffen Schuberts, die er im Alter von nur 31 Jahren schrieb, bewies. Mit sehr feinem, gesanglichem Anschlag in feinstem Piano schwebte sie in ihren himmlischen musikalischen Sphären und ließ das zahlreich erschienene, andächtig lauschende Publikum teilhaben.
Nicht sensationell im jetzt üblichen Sinne mit stark herausgearbeiteten Kontrasten, sondern hinsichtlich Originalklang-Qualität machte im
Palais im Großen Garten: DAS US-AMERIKANISCHE BRENTANO STRING QUARTET – 26.5.
mit Mark Steinberg und Serena Canin, Violinen, Mischa Amory, Viola und Nina Maria Lee, Violoncello auf sich aufmerksam. Seit seiner Gründung 1992 besticht das mit vielen Preisen bedachte Quartett, dessen Name sich auf Beethovens „unsterbliche Geliebte“ Antonie Brentano bezieht, durch harmonisch aufeinander abgestimmtes Ensemblespiel, technische Perfektion, Vitalität und Frische, auch bei weniger populären Streichquartetten wie dem „Streichquartett B-Dur“ (op. 18/6) „La Malinconia“ („Die Melancholie“) von Ludwig van Beethoven und dem „Streichquartett Nr. 3 B-Dur“ (op. 67) von Johannes Brahms mit dem darin enthaltenen Andante, einem der idyllischsten Sätze, die der Komponist geschrieben hat, die durch die besondere Tongebung noch an Leuchtkraft gewannen.
Als Auftragswerk lenkte im Mittelteil des Konzertes das Streichquartett „Madrigal Mongolia“ des aus China stammenden, in den USA lebenden preisgekrönten Komponisten Lei Liang, die „erstaunlichste Stimme Amerikas“, die Aufmerksamkeit auf sich, nicht an die wilden Horden eines Dschingis Khan erinnernd, sondern ein, ungewöhnlich die emotionale Seite nach der Kulturrevolution und Sehnsucht der Menschen nach der Heimat reflektierendes Werk.
Von Wien nach Hollywood gingen im
Kulturpalast: DIE WIENER SYMPHONIKER – 28.05.
mit Renaud Capuçon, der seit einiger Zeit auch als Dirigent tätig ist, unter anderem in Lausanne, und ihrem neuen tschechischen Dirigenten seit dieser Saison, Petr Popelka, der bis 2020 stellvertretender Solokontrabassist der Sächsischen Staatskapelle Dresden war und als Shootingstar am Pult eine steile Karriere vorzuweisen hat, auf eine musikalische Reise der Extraklasse, die europäisch und sogar bei allen Komponisten mit Bezug zu Wien geprägt war, denn auch der österreichisch-amerikanische Komponist Erich Wolfgang Korngold hatte österreichische Wurzeln. Sein virtuoses und klangschönes „Konzert für Violine und Orchester D-Dur“ (op. 35), in Hollywood entstanden, lag bei dem französischen Stargeiger Renaud Capuçon in den besten Händen und bildete den Mittelpunkt des reichhaltigen Konzertes.
Nach dem Auftakt mit Beethovens fröhlich und agil, einfach mitreißend und erfrischend, in gelungenem historisch-informiertem Originalklang vital und dynamisch musizierter „Ouvertüre C-Dur“ (op. 124) „Die Weihe des Hauses“, die möglicherweise eine Reminiszenz an den neuen Konzertsaal war, bestach Capuçons Violinspiel durch besonders klangvolle, geschmeidige Tongebung, feine, reine hohe und höchste Töne, einem verträumtem 2. Satz mit fröhlichen, feinen Tönen und einem temperamentvollen 3. Satz, aber auch leidenschaftlichen Passagen, mit denen er den gefälligen Solopart niveauvoll, melodiös und agil gestaltete. Das Orchester war ihm ein ebenbürtiger Begleiter und gestaltete das Konzert bis zum äußerst temperamentvollen Schluss in gleicher Weise mit.
Für den begeisterten Applaus bedankte sich Capuçon mit einer besonderen Überraschung, der „Méditation“ aus der Oper „Thais“ von Jules Massenet, nur mit Harfe begleitet, völlig konform ausgeführt von zwei versierten Musikern, klangschwelgerisch und melodiös, was die verträumte Zartheit und Feinheit der Komposition noch unterstrich.
Danach tauchten Dirigent und Orchester in spätromantische Welten und Walzerklänge ein und widmeten sich dem elegisch beginnenden, allmählich immer temperamentvoller und schwungvoller werdenden „Dynamiden-Walzer“ (op. 173) „Dynamiden – Geheime Anziehungskräfte“ von Josef Strauss, dem vielseitig als Ingenieur und Musiker begabten Bruder des Walzer- und Operettenkönigs, als „Vorbote“ des nächsten Höhepunktes, der beschwingt-doppelbödigen „Rosenkavalier-Suite“ von Richard Strauss, die 1946 von den Wiener Symphonikern uraufgeführt wurde, denn Richard hat ein Motiv aus Josefs Walzer in seiner Suite verwendet. In einer mustergültigen, sehr temperamentvollen Aufführung in echt Strauss`scher Manier, ausgelotet bis ins kleinste Detail, mit feinsten besinnlichen Passagen und Fingerspitzengefühl für die Charakteristika von Ochs und Marschallin, Octavian und Sophie, deren Worte und Dialoge plastisch zu hören waren. Da applaudierte nicht nur das begeisterte Publikum, sondern auch die Musiker ihrem Chef, dessen mit sparsamer Zeichengebung deutlich gemachten genialen, sehr klaren Vorstellungen von dem Werk sie mit ihrem Können und echt wienerischem Klang minutiös gefolgt waren.
In bestgelaunter Manier machten die Wiener gleich zwei Orchester-Zugaben, zwei überschäumend, übermütig gespielte „Schnell-Polkas“ der Strauss-Familie, ausgeführt auf sehr hohem Niveau, zum Geschenk und ließen damit den an Ohrwürmern reichen Abend ausklingen.
Ein umjubeltes Gastspiel gab ebenfalls im
Kulturpalast: DAS LEGENDÄRE LONDON SYMPHONY ORCHESTRA – 30.5.
Unter seinem neuen Chef, dem in den USA aufgewachsenen Briten mit italienischen Wurzeln Antonio Pappano, leitete das Orchester mit der mit feurigem Temperament gespielten Ouvertüre zur Oper „Le nozze di Figaro“ (KV 492) von Wolfgang Amadeus Mozart , bei der die revolutionäre Situation durchschimmerte und man dahinter geheimnisvolle Stimmen wispern und flüstern zu hören meinte, einen besonderen Konzertabend ein und zu Mozarts „Konzert für Violine und Orchester Nr. 5 A-Dur“ (KV 219) über, in dem neben himmlisch schönen Melodien auch doppelbödige Klänge durchblitzen. Mit dem Orchester bildet Pappano eine einzigartige, traumhafte Klangkombination, mit der auch die bewundernswerte zarte, feminine Art der charismatischen Solistin Lisa Batiashvili voll unterstützt wurde. Mit dem Klang ihrer Violine, einer von Giuseppe Guarneri del Gesù aus dem Jahre 1739, verzauberte sie auch hier die Konzertbesucher. Ihre unaufdringliche Virtuosität stets dem Werk, das sie spielt, denn für sie ist Musik das, „was die Seele ernährt und die Menschen wirklich aufrecht erhält“. Für den begeisterten Applaus schenkte sie dem Publikum noch eine außergewöhnliche Zugabe: Bela Bartók für zwei Violinen, gemeinsam mit den Ersten Konzertmeister, was auch ihre Verbundenheit mit dem Orchester zum Ausdruck brachte.
Zu einem weiteren Höhepunkt gestaltete sich die äußerst transparente, bis ins letzte Detail ausgeleuchtete, groß angelegte „Symphonie fantastique“ (op. 14“), „Épisode de la vie d’un artiste“ von Hector Berlioz, die sich in fünf Episoden in verschlüsselter und überhöhter Form um die „Amour fou“ eines Künstlers dreht, eine der besten Aufführungen dieser Symphonie überhaupt, bei der jede Einzelheit sofort verständlich und dem Inhalt entsprechend nachvollziehbar war. Mit fulminantem Orchesterklang, feinster Phrasierung, schönen lieblichen und energischeren Passagen, erstand das zerrissene Seelenleben des Künstlers sehr plastisch vor dem inneren Auge und beflügelte die Fantasie. Als Zugabe ergänzte eine elegische Orchesterzugabe von Gabriel Fouré die ungewöhnliche Stimmung.
Die allesamt sehr gut besuchten Konzerte hatten nicht zu viel versprochen, sie waren wirkliche Highlights, die mit Worten nur schwer zu schildern sind.
Ingrid Gerk