Dresden / Kulturpalast, Frauenkirche, Palais im Großen Garten, Schlosspark Pillnitz, Semperoper: STREIFLICHTER VON DEN 47 DRESDNER MUSIKFESTSPIELEN UNTER DEM MOTTO „LIEBE“ – TEIL II – 3.6. – 14.6.2025
In der ersten Festivalhälfte (17.-31.6.) wurde das Thema „Liebe“ in 32 Konzerten gefeiert, 22 davon waren ausverkauft, nicht wenige wurden mit Standig Ovations gefeiert und es standen noch weitere Höhepunkte bevor.
Mit einem Programm, bei dem alle aufgeführten Werke einen direkten Bezug zu Böhmen und Prag haben, gastierten in der
Frauenkirche: DIE PRAGUE PHILHARMONIA UND KEVIN ZHU UNTER EMMANUEL VILLAUME – 3.6.
Seit 2015 ist Emmanuel Villaume Musikdirektor der Dallas Opera und Chefdirigent der Prague Philharmonia. Er dirigierte schon alle renommierten Orchester weltweit, aber mit dem national und emotional geprägten Klangbild der Prager scheint es noch immer leichte Diskrepanzen zu geben, was sich nicht nur im Klangbild, sondern gelegentlich auch in geringfügigen Tempounstimmigkeiten bemerkbar machte.
Die effekt- und geheimnisvoll gespielte „Ouvertüre“ zu Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“, die in der Sächsisch-Böhmischen Schweiz angesiedelt ist und somit einen direkten Bezug zu Böhmen und seinen Landsleuten hat, „zelebrierte“ Villaume in den Anfangstakten bedeutungsvoll und ließ geheimnisvolle Klänge hindurch leuchten, nicht immer akribisch sauber (Bläser) und am Schluss etwas zu stürmisch für den Charakter der Oper und den spezifischen Klang des Orchesters.
Bei Antonín Dvořáks einzigem „Konzert für Violine und Orchester a-Moll“ (op. 53), das stilistisch in die Zeit der sogenannten slawischen Epoche des Meisters gehört, in der sich Dvořák besonders intensiv der folkloristischen Seite der Musik seiner Heimat zuwandte, und das Prager Orchester mit seinem ursprünglich klaren und strahlenden Klang besonders geeignet gewesen wäre, das Konzert mit seiner böhmischen Seele „original“ zu interpretieren, trat der junge US-amerikanische Geiger Kevin Zhu, der den Dresdnern bereits beim Moritzburg Festival mit seinen geigerischen Fähigkeiten auffiel und bei den Dresdner Musikfestspielen 2023 mit den „24 Capricen von Nicolo Paganini den Gipfel der Geigenliteratur erklomm, mit schlanker, geradliniger, frischer Tongebung, erstaunlicher Perfektion und geigerischem Können auf der Stradivari „Lord Wandsworth“ von 1722 hervor, aber nicht selten „bedrängte“ ihn das Orchester mit gleicher Lautstärke bei feineren Passagen. Da hätte man sich einen dezenteren Dialog seitens des Orchesters vorstellen können.
Der erst 25jährige Zhu gab sein Bestes, ließ den perfekt gespielten ersten Satz mit seiner Fülle an virtuosen Passagen und gesanglichen Abschnitten sehr gefühlvoll ausklingen, spielte den kantablen Mittelsatz mit seinem liedhaften, nur zweimal von dramatischen Einwürfen unterbrochenen, Charakter weniger kantabel, um sich auch gegen das gleich stark spielende Orchester durchzusetzen, und stimmte in den dritten und letzten Satz, der mit Furiant, Dumka und virtuoser Coda den Eindruck eines ausgelassenen böhmischen Volksfestes erweckte, ein. Das Publikum wusste Zhus Fähigkeiten zu schätzen, und er bedankte sich zweimal mit einer „Caprice“ von Nicolo Paganini, einer sehr virtuosen, exzellent gespielten Zugabe und einer mit sehr ruhigem Charakter, aber ebenso interessanten und perfekt gespielten.
Danach folgte die erste Sinfonie von Richard Wagner, die viersätzige „Sinfonie C-Dur“ (WWV 29) mit einer Spieldauer von 35 – 40 Minuten, die er als 19jähriger verfasste. Er sagte seinerzeit der Sinfonie keine gute Zukunft voraus, schrieb selbst nur zwei und vollendete nur die erste. Sie ist in Form und Ausführung stark von Beethovens (Symphonien Nr. 3, 5 und 7) als auch von den späten Symphonien Mozarts beeinflusst. Die Orchestrierung ist am Stil von Carl Maria von Weber orientiert. Man hätte Wagners musikalischen Werdegang mitverfolgen können, wenn nicht Villaume die Sinfonie sehr stark akzentuiert und viele Passagen immer wieder in gleichem, großem Crescendo hätte energisch aufblühen lassen, was zu einem, wenn auch eindrucksvollen, aber relativ gleichmäßen Eindruck führte.
Es gibt auch hier einen Bezug zu Prag. Zu einer ersten Probe kam es 1832 durch das Studentenorchester des Prager Konservatoriums in Wagners Anwesenheit. Die öffentliche Uraufführung erfolgte kurz darauf in Leipzig. Weitere Aufführungen dieser Sinfonie, eines der ganz wenigen frühen Werke, die Wagner noch im hohen Alter schätzte, folgten in Leipzig und Würzburg.
Während im Südosten Deutschlands Unwetter tobten, versprach im
Palais im Großen Garten: DAS ISIDORE STRING QUARTET– 4.6.
, derzeit der „angesagteste Streichquartett-Export“ der USA, mit seinem „jungen Sound“ und einem von Romantik und Liebe bestimmten Programm eine interessante Begegnung. Namensgeber des Quartetts ist Isidor Cohen, eines der früheren Mitglieder des legendären Juilliard String Quartet, in dessen Geist das Ensemble Tradition und Innovation verbindet. Mit diesen Tugenden konnte das Ensemble aus New York bereits drei Jahre nach seiner Gründung im Jahr 2019 den ersten Wettbewerb für sich entscheiden, mehrere folgten.
Die Musiker verstehen das Quartettspiel nicht als elitäre Kunst, sondern als gemeinsames Musikerlebnis. Selten erlebt man ein junges Streichquartett so unkonventionell, entspannt, reif und gleichzeitig voller Vitalität. Mit seiner lebendigen Interpretation hat sich das Ensemble bereits als feste Größe im Konzertleben etabliert. Es hat sich die Aufgabe gestellt, das gewohnte Repertoire neu zu erforschen. Das Altbekannte wird neu interpretiert und das Neue erscheint vertraut. Bekannte Werke werden zeitgenössischen gegenübergestellt. Dieses Spannungsfeld zwischen Alt und Neu macht das Isidore String Quartet zu einem der spannendsten jungen Ensembles der Gegenwart.
Für das Programm hatte es zwei, nicht allzu oft zu hörende Streichquartette der Klassik und Romantik und ein Werk des US-amerikanischen Jazzmusikers und Komponisten Billy Childs, der Jazz und Klassik verbindet, ausgewählt.
Den Auftakt bildete das viersätziges „Dissonanzenquartett“, das „Streichquartett Nr. 19 C-Dur“ (KV 465), das letzte der sechs sogenannten „Haydn-Quartette“, die Wolfang Amadeus Mozart Josef Haydn widmete und für dessen damals neuartige, ungewohnte Querstände und Dissonanzen den meisten Zeitgenossen das Verständnis fehlte. Heute zählt es zu den „steilsten Gipfeln europäischer Kammermusik“. Es wurde von den vier Musikern: Adrian Steele und Phoenix Avalon, Violinen, Devin Moore, Viola, und Joshua Mcclendon, Violoncello, sehr ausdrucksvoll gespielt, besonders der 2. Satz wurde sehr gefühlvoll und wirklich kantabel im langsamen Tempo interpretiert, so dass jeder Ton in einem angemessenen Maß ausschwingen konnte.
Im Gegensatz dazu stand das „Streichquartett Nr. 3 „Unrequited“ von Billy Childs mit seiner tragischen Liebesgeschichte, bei der der Komponist am Ende seiner unglücklichen Liebe paranoid wurde. Er hat seine Geschichte in Töne gegossen, was die vier Musiker sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar darboten.
Auch Dvořáks 1895 komponiertes „Streichquartett Nr. 13 G-Dur (op. 106) wurde in erfrischender Weise dargeboten und erschloss sich in seiner eher versteckten Schönheit dem Publikum.
Am nächsten Tag waren im
Kulturpalast: JANINE JANSEN & CAMERATA SALZBURG – 5.6.
mit einem sehr ansprechenden Programm zu Gast. Die niederländische Ausnahmekünstlerin Janine Jansen, die zu den Top Ten der weltbesten Violinisten und meistgefeierten Künstlerinnen ihres Instrumentes gehört, berührt und begeistert immer wieder mit ihrer leidenschaftlichen Musizierweise und hervorragender Technik und Virtuosität. Mit der, 1952 aus Lehrenden und Studierenden des Salzburger Mozarteums als Camerata Academica des Mozarteums Salzburg gegründeten Camerata Salzburg, deren Credo „Musizieren in Eigenverantwortung mit Gemeinschaftssinn“ ist, verbindet sie eine Zusammenarbeit, die beide als einzigartiges Glück empfinden.
Die Camerata fühlt sich vorrangig dem Schaffen Wolfgang Amadeus Mozarts verpflichtet, aber auch Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven und Franz Schubert stehen im Mittelpunkt. Nach Dresden kam sie mit Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn- Bartholdy und begann mit dem „Ricercar a 6“ aus Bachs „Musikalischem Opfer“ (BWV 1079), einer Sammlung von überwiegend kontrapunktischen Sätzen, Kanons, Triosonaten und Ricercaren, die alle auf einem einzigen Thema basieren, das Bach vom Preußenkönig Friedrich II. bei einem Besuch in Potsdam erhalten hatte und ihm – kunstvoll verarbeitet – mit den Worten „Auf Geheiß des Königs die Melodie und der Rest durch kanonische Kunst erfüllt“ zueignete. Das Orchester führte das Werk nicht nur sehr exakt und in schöner Transparenz auf, sondern brachte auch die musikalische Seite der einzelnen Sätze zum Klingen.
Nachdem Bachs Schaffen kompositorisches Lebenswerk aus dem öffentlichen Musikleben weitgehend verschwunden war und vorwiegend als Studienmaterial von Komponisten und Musikschaffenden genutzt wurde, holte Mendelssohn mit einer öffentlichen Aufführung die „Matthäus-Passion“ das enorme Schaffen ins Bewusstsein der Konzertbesucher zurück.
Mit diesem Gedanken fiel vielleicht auch die Wahl des Solokonzertes auf Mendelssohns berühmtes „Violinkonzert e-Moll“, dessen melodisch fließenden Beginn Janine Jansen als „pure Schönheit“ empfindet und dessen wie aus einem Guss geformte Gesamtstruktur sie mit all ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten, Virtuosität und Feingefühl, Klangschönheit und Intuition interpretierte. Ihre sanften, die Musik wie zart umschmeichelnden Töne gingen zu Herzen. Mit ihrer Zugabe, dem 2. Satz, „Adagio“ aus Bachs „Violinkonzert E-Dur“ (BWV 1042), das hohe spieltechnische Ansprüche stellt, schloss sie den Kreis zum Beginn des Konzertes.
Danach blieb die Camerata bei Mendelssohn und seiner „Reformationssinfonie, die er aus freien Stücken anlässlich des 300. Jahrestages des „Augsburger Glaubensbekenntnisses“ schrieb, sich aber danach wieder davon distanzierte und sie am liebsten verbrannt hätte. Dass er es nicht tat, war ein Glücksfall, denn sie erfreut mit ihrer Melodik und Klangqualität und dem „Dresdner Amen“, das auch Richard Wagner im „Parsifal“ verwendete, größter Beliebtheit und begeisterte in der Interpretation der Camerata Salzburg die Konzertbesucher.
Ein Konzert der Musikfestspiele ist in jedem Jahr als „Musikfestspiele für alle“ breiten Bevölkerungsschichten gewidmet. In diesem Jahr brachte im
Kulturpalast: DAS XI’AN ORCHESTER – 6.6.
mit traditioneller chinesischer Musik und Darstellungskunst eine ganz andere Farbe ein. Sängerinnen, Sänger und Orchester ließen die typischen traditionellen Klangwelten ihrer Heimat mit Virtuosität auf so exotischen wie faszinierenden Instrumenten wie Glocken- und Klangsteinspiel, chinesischen Zithern, Guqin, Se und Zhazheng, Xun, das chinesische Blasinstrument, und Konghou, die chinesische Harfe, aufleben, wobei unter anderem die Trommelmusik an ihrem Ursprungsort Xi’an, als Weltkulturerbe und Nationalkulturerbe ausgezeichnet, im Mittelpunkt stand.
In einer farbenreichen Darbietung mit fremdartigen Klängen wurden die Festivalbesucher mit traditionellen Melodien der „Liebe und Harmonie“, gesungen von Du Peijin, Li Kai, Jiao Feiya, Yang Likin, Yin Meng, Sang Zhe, Kompositionen und Choreografien (Künstlerischer Leiter: Uang Teng) in die Epoche der Tang-Dynastie (618 bis 907), eine der mächtigsten Dynastien Chinas, in das „Goldene Zeitalter“, das weniger mit Gold und Silber glänzte, als mit kunstvollen Wandmalereien, entführt und lernten den kulturellen Reichtum aus Fernost eindrucksvoll kennen.
Zu einer mittlerweile schönen Tradition der Dresdner Musikfestspiele gehört auch im königlichen Ambiente, dem
Schlosspark Pillnitz: EINE „SERENADE IM GRÜNEN“ MIT DEM DRESDNER
KREUZCHOR – 8.6.
Sie konnte zwar nicht bei traumhaftem Wunschwetter stattfinden, aber während in großen Teilen Deutschlands Gewitter und Sturm tobten, war hier der Himmel gnädig und beließ es bei geringen Regenschauern.
Der Dresdner Kreuzchor unter Kreuzkantor Martin Lehmann ließ sich nicht abschrecken, sondern führte mit dem Chor sein für diesen Anlass zugeschnittenes Programm mit klassischem Liedgut, bekannten Volksweisen in modernen Bearbeitungen und zeitgenössischen Arrangements und speziell für kleine Grüppchen arrangierten Songs in seiner jetzigen hohen Qualität auf. In Pillnitz verschmelzen mit seinen Schlössern, sieben Parks und direkt in die Elbe führende Freitreppe (für die einst königliche Kahnfahrt von und nach Dresden) Kultur, Landschaft und Musik auf wunderbare Weise miteinander und beeindruckten auch bei weniger schönem Wetter die Besuche aus nah und fern.
Mit einer launig-temperamentvollen Crossover-Matinee von Klassik bis Pop luden in die
Semperoper: JAN VOGLR UND BERLINER PHILHARMONIC BRASS MIT ANNA HANDLER ZU „KLASSIK ROCKT“ – 9.6.
ein und brachten damit eine überraschend andere Klangfarbe in die „Klassik-Seite“ der Festspiele und eine Überleitung zur „U-Musik“, die bei den Festspielen auch eine wesentliche Rolle spielt. Mit dem fünfsätzigen „Konzert für Violoncello und Blasorchester“ von Friedrich Gulda (1930-2000) wurde an den Ausnahmekünstler in vieler Hinsicht erinnert. Er war ein österreichischer Pianist von Weltruhm, dessen um besondere Werktreue bemühte Mozart- und Beethoven-Interpretationen bis heute als Meilensteine gelten und der mit seinen Interpretationen des „Wohltemperierten Klaviers“ von Bach, aber auch mit Schubert, Schumann, Chopin, Debussy und Ravel mit äußerst präzisem, rhythmisch akzentuiertem Spiel Aufsehen erregte.
Er war ein seriöser, klassischer Pianist und ein am Jazz und Pop orientierter Komponist, der sich weltweit mit den Jazzgrößen seiner Zeit auf gleichem pianistischem und improvisatorischem Niveau messen konnte. Das Auftreten des musikalischen Grenzgängers auf der Bühne wurde später immer eklatanter und skurriler bis an die Grenzen des guten Geschmacks.
Sein Cellokonzert, das als funkiger Rock beginnt und in einer alpenländischen Melodie endet, lag bei Jan Vogler und Berliner Philharmonic Brass, dem Blechbläserensemble der Berliner Philharmoniker in sehr guten Händen. Sie betonten vor allem die seriöse Seite. Gulda hatte es 1980 Heinrich Schiff gewidmet und nun übernahm Jan Vogler, ein ehemaliger Schüler Schiffs den Solopart, womit sich der Kreis auf kongeniale Weise schloss.
Mit unbändiger Spielfreude trugen die Bläser den legendären Klang ihres berühmten Orchesters danach quer durch alle Genres und Jahrhunderte durch das sehr bunte, vielseitige und kontrastreiche Programm mit „The Earl of Oxford’s March“ (arr. von Elgar Howarth) von William Byrd, die „Sonata XV“ von Giovanni Gabrielli, den Choral „Jesu bleibet meine Freude“ (arr. von Enrique Crespo) von Johann Sebastian Bach, „Nr. 1 aus „Trois marches militaires“ (op. 51 D 733) (arr. von David Guerrier) von Franz Schubert, dem 1. Satz aus „Trombone Quartet“ von Steven Verhelst, „Tango Jalousie (arr. von Richard Bissil) von Jacob Gade und aus der „Suite für Varieté-Orchester“ (arr. von Mogens Andresen) von Dmitri Schostakowitsch „Nr. 1 „Marsch“, Nr. 2 „Walzer“, Nr. 3 „Polka“ und Nr. 4 „Tanz“. Am Pult stand Anna Handler (*1994), eine vielversprechende Nachwuchsdirigentin, und leitete das im Grunde klassische Konzert mit Ausblick auf Jazz und modernen Sound.
Das „ABSCHLUSSKONZERT“ bildete im
Kulturpalast: RICHARD WAGNER: „SIEGFRIED“, KONZERTANT UND IN HISTORISCHER AUFFÜHRUNGSPRAXIS – 14.6.
, Teil einer Reihe, die 2023 mit der konzertanten Aufführung des „Rheingold“ begann, 2024 mit der „Walküre“ fortgesetzt wurde und nun mit der Erarbeitung des „Siegfried“ in dem Projekt „The Wagner Cycles“ in einzigartiger Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis für Wagners monumentale Operntetralogie weitergeführt wird. Sie kann als maßstabgebend für die Wagner-Interpretation gelten. In Dresden und auf den Tourneen durch die europäischen Musikzentren wurde das Ergebnis dieser spektakulären Klangwerkstatt und der historisch informierte Blick auf Wagners epochales Musiktheaterwerk als revolutionär gefeiert.
Im „Siegfried“, neben „Rheingold“ seinem experimentellsten Werk, zeigen Naturbilder und die plastische Darstellung von Handlungselementen Wagner auf dem Höhepunkt seiner klangmalerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Der neu gewonnene transparente Orchesterklang und der Fokus auf der sprachlichen Ausgestaltung durch die Sängerinnen und Sänger sorgten für neuartige Hörerlebnisse.
Wagners Opern erforderten oft ein großes Orchester, das wohl früher kaum in den Orchestergraben eines Opernhauses passte. Hier war der „Originalklang“ mit einem Riesenorchester von fast 100 Musikern aus Dresdner Festspielorchester und Concerto Köln zu erleben. Dennoch verstand es Kent Nagano, das Orchester so zu leiten, dass die die Handlung tragenden Sängerinnen und Sänger in allen Details gut zu hören und zu verstehen waren. Früher wurden die Tempi viel breiter genommen, wonach sich auch Nagano richtete, so dass kein Ton, keine Passage und kein Wort „unterging“. Wem der Text dennoch nicht verständlich genug war, hatte Gelegenheit, die sehr deutlichen, eingeblendeten Texte zu lesen.
Thomas Ebenstein brachte als agiler Mime mit andeutenden Bewegungen und Gesten seine Angst und mit harter Stimme seinen Willen und Unwillen und seine ohnmächtige Schwäche zum Ausdruck. Als Gegenpol tat Thomas Blondelle als starker Siegfried mit fester, aber klangarmer Stimme seine Entschlossenheit kund. Simon Bailey, dessen einzige Requisiten der schwarze Hut, Wanderstab und einmal nicht die moderne Augenklappe, sondern das schwarz geschminkte Augenlid eher den Verlust des einen Auges andeuteten, erinnerte zunächst stimmlich und gestalterisch an Theo Adam, profilierte sich aber bald mit wohlklingender Stimme und ausdrucksvoll angedeutetem Spiel. Daniel Schmutzhard war ein passender Alberich. Hanno Müller-Brachmann gab mit profunder Stimme dem Riesen Fafner Profil, auch noch aus dem Hintergrund, wo er mit „riesenhafter“ Stimme keinen Zweifel an diesem Ungetüm ließ.
Der Erda lieh Gerhild Romberger ihre tragfähige Altstimme. Die schwedische Sopranistin Åsa Jäger widmete sich mit vollem Einsatz, sehr flexibler Stimme und sehr klarer, schöner Höhe der Brünnhilde. Mit erstaunlich klarer, fester Stimme sang auch ein Solist des Tölzer Knabenchors den Waldvogel.
Die historische Aufführungspraxis der Opern Wagners ist nun wissenschaftlich und praktisch erfolgreich geklärt. Wer wagt sich nun an eine werkgerechte szenische Umsetzung der Handlung?
Mit der konzertanten Aufführung des „Siegfried“, dem Zweiten Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ auf historischen Instrumenten und in historischer Aufführungspraxis, endeten die 47. Dresdner Musikfestspiele. Die nächsten finden in der Zeit vom 16.5.-16.6.2026 statt. Mit einem Konzert der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko und mit dem Solisten Albrecht Mayer (Oboe) werfen sie bereits am 20.9.2025 im Kulturpalast unter anderem mit einem Oboenkonzert von Bernd Alois Zimmermann und einer Sinfonie von Johannes Brahms ihre Schatten voraus.
Ingrid Gerk