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DRESDEN/ Kulturpalast: ERÖFFNUNGSKONZERT DRESDNER MUSIKFESTSPIELE /Daniele Gatti (Schumann)

26.05.2021 | Konzert/Liederabende

Dresden/Konzertsaal im Kulturpalast: “ERÖFFNUNGSKONZERT“ DER 44. DRESDNER MUSIKFESTSPIELE  MIT DANIELE GATTI UND DEM FESTSPIELORCHESTER – 25.5.2021

Dieses Jahr ist alles ganz anders infolge Corona. Anders als geplant, starteten die Dresdner Musikfestspiele bereits am Pfingstmontag, aber pandemiebedingt, digital. In diesem Rahmen werden die ersten acht Konzerte ohne Publikum – als Livestream (24.5.-3.6.) angeboten. In der zweiten „Etappe“ (4.-13.6.) folgen dann weitere 10 Konzerte live, mit Publikum, leicht gekürzt und mit strengen Auflagen. Der dritte Teil soll dann im Herbst stattfinden (hoffentlich ohne einen erneuten Lockdown). Unter dem Motto „DIALOGE“ kommen auch in diesem Jahr hochkarätige Künstler mit einem besonders facettenreichen Programm in die Elbe-Stadt.

Das „ERÖFFNUNGSKONZERT“ mit allen vier Sinfonien Robert Schumanns wurde am 24. und 25.5. im Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes ohne Publikum aufgenommen und am 25.5. als Radiokonzert (MDR Kultur) gesendet. Es war bereits ein Paukenschlag. Daniele Gatti, der jedes Orchester zu Höchstleistungen zu führen vermag, gelang es auch, mit dem Dresdner Festspielorchester den gesamten Schumann-Zyklus mit allen vier Sinfonien in der Reihenfolge ihrer Entstehung (Dauer: 2,5 Std.) aufzuführen, so dass die kompositorische Entwicklung von der Klassik-Orientierung zur Romantik in Schumanns individuellem Kompositionsstil zum Ausdruck kam.

Das Festspielorchester, das 2012 eigens für die Dresdner Musikfestspiele aus führenden Musikern der angesehensten Alte-Musik-Orchester für die Pflege der reichen Dresdner Barockmusik gegründet wurde, spielte schon in den vergangenen Jahren oft Werke von Robert Schumann und Richard Strauss.

Alte Musik und Robert Schumann – passt das zusammen? – Ja und nein, d. h. nicht immer. Man ist gewohnt Schumann in klassisch-romantischer Sachlichkeit, Schlichtheit und Klarheit zu hören. Gatti vermochte alles in schöner Harmonie zu vereinen und den weicheren Klang der alten Instrumente für intensivere Klangwirkungen zu nutzen, was nebenbei auch den Vorteil hatte, Schumanns gelegentliche Hinwendung zur Musik Bachs – wie das Zitat eines Bach-Chorals in der „Rheinischen“ deutlicher und wirkungsvoller zur Geltung zu bringen.

Besondere Klangschönheit und Klarheit prägte bereits die Aufführung der, in Leipzig entstandenen, „Sinfonie Nr. 1 D‑Dur“ (op. 38), der „Frühlingssinfonie“, in die viel emotionale Leidenschaft aus Schumanns glücklichster Zeit eingeflossen ist. Sie bedeutete für ihn einen Frühling in mehrfacher Hinsicht, als mit Clara frisch verheirateter Ehemann, in der jedes Jahr wiederkehrende Faszination des Frühlings in der Natur und einen hoffnungsvollen Aufbruch als Komponist. In dieser Aufführung schien die Sinfonie wirklich das Erwachsen des Frühlings und ein überschäumendes Glücksgefühl zu assoziieren – in einer bewundernswerten Balance zwischen Leichtigkeit und Schönheit des Ausdrucks und tiefem, leidenschaftlichem Empfinden.

So wie sich in der chronologischen Reihenfolge der Entstehung der vier Sinfonien die sich immer weiter entwickelnde kompositorische Reife zeigt, steigerte Gatti die interpretatorische Intensität von der, in Dresden komponierten „Sinfonie Nr. 2 C‑Dur“ (61) und der “Sinfonie Nr. 3 Es‑Dur“(op. 97), der „Rheinischen“, die Schumann nach der Übersiedlung nach Düsseldorf komponierte, überwältigt vom Anblick des Kölner Domes (der, damals unvollendet, noch nicht sein heutiges Aussehen hatte), bis zur „Sinfonie Nr. 4“d‑Moll (op. 120), die (entstehungszeitlich seine zweite Sinfonie) interpretatorisch den Höhepunkt bildete und „unter die Haut ging“ wie zuvor auch die “Dritte“.

Mit schillernder Farbigkeit und Leichtigkeit, frappierender Klarheit, aber auch angemessenem Temperament, alles in schönster Ausgewogenheit, verstand es Gatti, bei allen vier Sinfonien, Inhalt und Charakter in ihrer klanglichen Schönheit nachzuspüren, jedem Detail im Gesamtgefüge Beachtung zu schenken und manche Seite zum Klingen zu bringen, die oft weniger beachtet wird, kurz die oft gespielten Sinfonien neu und intensiv erlebbar zu machen, in jeder Phase wohl durchdacht und empfunden. Er beherrscht auch „das Zünglein an der Waage“, das nicht selten über die Wirkung einer Phrase entscheidet und gab jeder dieser Sinfonien ihr eigenes Gesicht. Er kann sich offenbar in die Mentalität eines jeden Komponisten, dessen Werk er gerade dirigiert, versetzen.

Hier war der Einfluss eines sehr guten Dirigenten deutlich spürbar. Das Orchester hat sich mitreißen lassen, wobei die trotz guter Phrasierung und feinem Piano nicht ganz „superreinen“ Bläser lediglich als kleine „Schönheitsfehler“ erschienen und vermutlich auch die für Alte-Musik-Spezialisten ungewohnten Anforderungen an Werke der Romantik – mitunter auch bei anderen Instrumenten – eine Rolle gespielt haben mögen. Trotzdem war es erstaunlich, zu welchen Leistungen Gatti das Orchester zu führen vermochte. Unter seiner Leitung lief es zur Höchstform auf. Man konnte sich kaum vorstellen, dass in einer Aufführung ohne Publikum so viel Leidenschaft, zutiefst empfundenes Temperament und Klangsinn entwickelt werden konnten.

 

Ingrid Gerk

 

 

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