Dresden / Kulturpalast: EINWEIHUNG DER NEUEN KONZERTORGEL IM NEUEN KONZERTSAAL DER DRESDNER PHILHARMONIE – 8.9.2017
Dank großer Spendenbereitschaft aus aller Welt, vor allem in Dresden, dem europäischen Ausland, Nord- und Südamerika u. a. hat der neue Konzertsaal der Dresdner Philharmonie nun auch eine neue, große Konzertorgel. Sie wurde jetzt – einige Monate nach der Eröffnung des Saales – eingeweiht.
Es gab schon einmal eine (fahrbare) Orgel in dem ursprünglichen Raum, erstellt 1970 von der Dresdner Orgelbaufirma Jehmlich, die die Silbermann-Orgeln betreut und restauriert. Sie war äußerlich dem damals aktuellen geradlinig-nüchternen Stil des ebenso geradlinigen Saales angepasst, aber ihr Klang war gut. Sie wurde bei Konzerten in den Saal gerollt und später verkauft und in eine Kirche in Cottbus umgesetzt.
Jetzt entstand auf Initiative des Förderkreises der Dresdner Philharmonie, der auch ein eigenes Orchester mit Unterstützung der Philharmoniker aufgestellt hat, eine neue, größere und repräsentative Orgel, die nicht nur optisch den Saal bereichert, sondern auch die Dresdner Orgellandschaft der Innenstadt mit ihren drei großen Kirchenorgeln um eine weitere „Farbe“ als Konzertorgel, genannt „Palastorgel“, bereichert, deren Bezeichnung nicht ohne Augenzwinkern aus dem Gebäudenamen „Kulturpalast“ abgeleitet wurde, der sich trotz aller Umbenennungs-Versuche hartnäckig gehalten hat, aber sie ist eine „Orgel für alle“, eine „Bürgerorgel“, wie in den Begrüßungs- und Dankesreden betont wurde.
Die Firma Hermann Eule in Bautzen baute mit ihrer 145jährigen Orgelbauerfahrung eine Orgel von 15 Metern Breite und 8 Metern Höhe, mit 4109 Pfeifen, 67 Registern, 4 Manualen und einem auch über größere Entfernungen versetzbaren Spieltisch, eine „europäische“ Orgel, deren Grundstock eine Orgel in der Tradition der mitteldeutschen Romantik bildet, erweitert um musikalische Charakterzüge, wie sie für die englische und französische Orgeltraditionen typisch sind, eine Orgel für vielfältige musikalische Aufgaben mit einer breitgefächerten Palette an Registern, Klangfarben und spieltechnischen Möglichkeiten, die die drei Organisten der Innenstadtkirchen sowie Olivier Latry, einer der drei Titularorganisten der Pariser Notre-Dame und der erste Artist in Residence, hier „Palastorganist“ genannt, bei der Orgeleinweihung anschaulich unter Beweis stellten.
Das Festkonzert stand ganz im Zeichen der deutsch-französischen Orgelkunst. Mit brausendem, fülligem Klangrausch eröffnete Holger Gehring, Organist der Dresdner Kreuzkirche, rühriger Konzertorganisator und nun außerdem auch Kustos der „Palastorgel“, das Festkonzert mit dem Vorspiel zu „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner in einer Bearbeitung für Orgel (etwas gekürzt) von Sigfrid Karg-Elert (1877-1933), ein bedeutender Organist, der auch nicht vor der Bearbeitung des Vorspiels zu „Tristan und Isolde“ zurückschreckte.
Gehring bestritt musikalisch den gesamten ersten Teil des Konzertes im Wechsel mit den Reden von Oberbürgermeister Dirk Hilbert, Intendantin Frauke Roth, Orgelbaumeister Dirk Eule, Geschäftsführer Lutz Kittelmann und Ehrenmitglied des Fördervereins Anthony Arnhold.
Bei der „Studie E‑Dur“ (op. 56 Nr. 3 ) und der „Fuge über B-A-C-H“ (op. 60 Nr. 5), beide von Robert Schumann für den damals beliebten Pedalflügel geschrieben und für Orgel bearbeitetet, da der Pedalflügel bald aus der Mode kam, registrierte Gehring den Stücken entsprechend, sehr feinfühlig und stellte damit besonders klangschöne Register der Orgel vor.
Bei dem technisch sehr anspruchsvollen, ursprünglich für Orgel zu 4 Händen und 4 Füßen komponierten „Adagio“ (2. Satz) der „Sonate Nr. 1 d‑Moll“ (op. 30) des Dresden u. a. durch seine Tätigkeit als Organist der Katholischen Hofkirche eng verbundenen Gustav Adolf Merkel (1827-1885) präsentierte Gehring in einer Bearbeitung für nur einen Organisten sein virtuoses Spiel und die Möglichkeiten der Orgel auch in dieser Hinsicht.
Bach sollte bei einem Orgelkonzert nicht fehlen. Deshalb beschloss Gehring seinen Auftritt mit der „Chaconne d‑Moll (BWV 1004) für Violine solo“ (BWV 1004) von J. S. Bach in einer ziemlich freien Bearbeitung von Wilhelm Middelschulte, bei der die sanften Töne der Violine in kraftvolle Töne der Orgel umgesetzt und klangvolle Effekte erzielt wurden – ein Sakrileg? Selbst Bach hat Violinkonzerte von Vivaldi für die Orgel bearbeitet.
Domorganist Johannes Trümpler steuerte die „Sonate für Orgel Nr. 4 B-Dur“ (op. 65) von Felix Mendelssohn-Bartholdy bei, ein „Ohrwurm“, der immer ankommt, aber in Trümplers wohl durchdachter und sehr eindrucksvoller Konzeption in einem großen, alles umfassenden musikalischen Bogen von lieblichen Klängen bis zum triumphalen Schluss mit den schönsten Registern der Orgel einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterließ.
Im Gegensatz dazu bevorzugte Samuel Kummer, Frauenkirchenorganist, für seine erstmals erklingende, aus seiner Improvisation im Mai dieses Jahres als Zugabe bei einem seiner Orgelkonzerte in der Frauenkirche entstandene und vom letzten Satz von Mendelssohns Reformationssymphonie inspirierte „Fantasie über „Ein feste Burg ist unser Gott“ in sehr freiem und unkonventionellem Umgang mit dem Choral vom leisen Beginn in einem großen Crescendo, mehr rational und technisch orientiert als emotional, den Klangrausch in permanenter Steigerung bis zur vollen Entfaltung der schrillen und hart klingenden Register in entsprechender Lautstärke und auch Disharmonien mit einbeziehend.
Wieder eine andere Farbe brachte Olivier Latry, der in dieser Konzertsaison noch mehrmals an dieser Orgel auftreten wird, zusammen mit zwei Schlagzeugern mit dem „Boléro über ein Thema von Charles Jacquet“ für Orgel und Schlagzeug (1973) von Pierre Cochereau Ravouet, einem der bedeutendsten französischen Komponisten des 20. Jh., ein und brillierte an der Orgel. Bei diesem Werk nach dem Vorbild von Maurice Ravels bekanntem „Bolero“ waren sozusagen drei Organisten der Pariser Notre-Dame „unter sich“, Cochereau (1924-1984) und Latry (*1962) als „Titulaire du Grand Orgue de Notre-Dame de Paris“ und Jacquet, von dem das Thema stammt, ebenfalls Organist an dieser Kirche, nur einige Jahrhunderte früher.
Im Gegensatz zu Ravels „Bolero“ gibt es bei Cochereaus rhythmisch betontem „Boléro“ mit dem ostinaten Schlagzeug-Rhythmus, sehr einfühlsam und mit dezenten Steigerungen und Differenzierungen an der Kleinen Trommel ausgeführt von Alexej Bröse (Dresdner Philharmonie) und Christian Pilz (Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks) an Becken, Triangel und zeitweilig zweiter Kleiner Trommel, nach dem in großangelegten Crescendo erreichten dynamischen Höhepunkt noch ein langsames Decrescendo, so dass das Stück so leise ausklingt, wie es begann.
Latrys Improvisationskunst ist legendär. Mit großer Virtuosität zaubert er in bester französischer Tradition aus einfachen Vorgaben raffinierte Kunstwerke, wobei seine Virtuosität immer im Dienst seiner Vorstellungskraft steht. Um die so einfach wie nur möglich auf der Orgel gespielte Melodie des Liedes „Der Mond ist aufgegangen“, baute er mit ausgiebigem Registerwechsel in (sehr) freier Improvisation ein an Spätromantik erinnerndes Klanggebäude in echt französischem Klangrausch, in das er die Melodie einbettete, eine Improvisation zum Meditieren und Träumen.
Wie es bei großangelegten Improvisationen üblich ist, „probierte“ er die Orgel in ihrer Vielseitigkeit aus, so wie auch seine Organisten-Kollegen bei diesem festlichen, ersten öffentlichen Konzert die neue Orgel mit ihren vielseitigen Möglichkeiten vorst
ellten, jeder in seiner ganz persönlichen Art und Vorlieben.
Ingrid Gerk