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DRESDEN/ Kulturpalast: DREI WERKE AUS DREI JAHRHUNDERTEN IN AUFBRUCHSTIMMUNG IM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE

12.03.2024 | Konzert/Liederabende

 

 

Dresden/Kulturpalast: DREI WERKE AUS DREI JAHRHUNDERTEN IN AUFBRUCHSTIMMUNG IM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE – 10.3.2024

Das Konzert der Dresdner Philharmonie mit dem Titel „DVORAK 6“ wurde von dem aus Timișoara (Rumänien) stammenden, in Deutschland lebenden, Dirigenten Cristian Măcelaru, Chefdirigent, des WDR Sinfonieorchesters (bis 2015), geleitet. Es begann mit den nicht gerade oft zu hörenden „Sinfonischen Variationen“, die Witold Lutosławski, der prägende Komponist der polnischen Musik und Mitbegründer des „Warschauer Herbstes“, einem der bedeutendsten Festivals für neue Musik, 1938 zum Abschluss seines Studiums an der Warschauer Musikhochschule schrieb. „Hässlich“ urteilte damals sein konservativer Lehrer, obwohl Lutoslawskis früher Stil durchaus noch „gemäßigt“ ist und handwerkliches Können sowie Kenntnis der Stilrichtungen verrät. Erst gegen Ende der 1950er Jahre wandte sich Lutoslawski avancierten Kompositionsarten wie der Zwölftonmusik oder der Zufallsmusik Aleatorik zu.

Die „Sinfonischen Variationen“ erinnern eher an Igor Strawinskys neoklassizistischen, virtuosen Orchesterklang. Es sind keine Variationen im üblichen Variationsstil, sondern freie Veränderungen des Themas in viele mögliche Richtungen. Er hatte sie auch als seine künstlerische Empfehlung für Paris gedacht, wo er sein Studium fortsetzen wollte, was sich jedoch durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges zerschlug.

In sehr großer Orchesterbesetzung, einschließlich Klavier, Celesta, Harfe, großer Trommel, Schlagwerk und großem Bläseraufgebot, erklangen zunächst einige Takte schmeichelhafter Klänge, in denen, fein zelebriert, die Querflöte das zu variierende Thema vorstellte, bald aber mischten sich lautstarke Passagen in härterer Tonsprache und schroffer Instrumentierung – nicht ohne impressionistische Finessen – ein, die aber auch immer wieder „freundlicheren“ Passagen Platz machten, ein durchaus interessantes Stück, das sich in dieser transparenten Wiedergabe dem Hörer leichter erschloss als seine späteren Werke. Jetzt würde wahrscheinlich niemand mehr das Stück als nur „hässlich“ abtun. Es zeigt den handwerklich-perfekten, mit den bekannten Stilrichtungen vertrauten, Komponisten auf der Suche nach neuen Wegen und Ausdrucksformen.

Etwa 150 Jahre früher erkundete Wolfgang Amadeus Mozart mit seinem, 1786 für eigene Aufführungen komponierten „Klavierkonzert Nr. 24 c‑Moll (KV 491), neben dem „Klavierkonzert Nr. 20“ (KV 466), den beiden einzigen in einer Moll-Tonart, auf der Höhe seiner Beliebtheit als Dreißigjähriger neue Wege, die weit über den unterhaltsamen Charakter dieser Gattung hinausgehen. Mit großer thematischer Intensität, tiefgründigem musikalischem Ausdruck, auch von Leid und Tragik, und verstärktem Einsatz der Chromatik sowie einer großangelegten inhaltlichen Verknüpfung der Sätze untereinander in einer künstlerische Gesamtkonzeption drang er weit in neue Bereiche vor und bereitete damit den Weg für kommende Generationen von Komponisten – auch Beethoven.

Früh übt (sich), was ein Meister werden will“. Der erst 16jährige Colin Pütz, der bereits im Alter von zehn Jahren erstmals in einem Klavierkonzert von Mozart als Solist auftrat und zahlreiche Auszeichnungen bei nationalen und internationalen Wettbewerben, u. a. „Jugend musiziert“, gewann und in dem TV‑Film über Beethoven den acht- bis zwölfjährigen Komponisten darstellte sowie Musik „live“ einspielte, hatte sich mit dem Solopart dieses Klavierkonzertes viel vorgenommen, meisterte ihn aber technisch perfekt und virtuos, mit klangvollem Anschlag und mit für sein jugendliches Alter und seine Generation erstaunlich reifem Verständnis, Ausdruck und Stilempfinden, das sich auch bei den Kadenzen gegen Ende der Sätze zeigte, die Mozart, wie damals üblich, selbst frei improvisierte und deshalb nicht oder nur andeutungsweise notierte. Für den ersten Satz wählte Pütz eine nach Paul Badura-Skoda, für den opernhaften dritten eine eigene, deutlich modernere, die aber stilistisch passte.

Sein Auftreten ist schlicht, zurückhaltend und unspektakulär, aber er verfügt über viele pianistische Tugenden, auch die der großen Meister der Vergangenheit und Gegenwart, die immer mehr in den Hintergrund geraten, und von ihm in die Zukunft „gerettet“ werden könnten. Man kann gespannt sein auf den künftigen Werdegang dieses jungen Pianisten, dem Măcelaru seit fast drei Jahren die beiden anspruchsvollen Klavierkonzerte Mozarts als Solist anvertraut, und der für sein jugendliches Alter eine intensive Korrespondenz mit dem Orchester aufbaute, das ihm seinerseits sehr entgegenkam und seinen Solopart hingebungsvoll umspielte. Mit schönem Streicherklang und einem für die damalige Zeit ungewöhnlich großen Aufgebot an Bläsern mit Flöten, Oboen, Fagott und Klarinetten präsentierten die Musiker in diesem „sinfonischen“ Klavierkonzert Mozarts ihr besonderes Können.

Oft werden bei einer Zugabe Qualität und Können eines Künstlers besonders deutlich. Colin Pütz bedankte sich für den langanhaltenden freundlichen Beifall mit der erfrischend gespielten „Humoreske Nr. 7 Ges‑Dur“ (op. 101) von Antonín Dvořák und stimmte damit auf die im zweiten Konzertteil erklingende, etwa 100 Jahre später entstandene „Sinfonie Nr. 6 D-Dur“ (op. 60) des Meisters ein. Sie war der Anstoß auf Dvořáks Weg zum Weltruhm und brachte den Klang seiner böhmischen Heimat in die Konzertsäle, den man jetzt nicht mehr missen möchte und der in dieser Sinfonie in allen Facetten wirkungsvoll anklingt.

Hier treffen sich zwei musikalische Temperamente. das etwas ernstere deutsche und das böhmische/tschechische. Eingebettet in die beiden Ecksätze, die in ihrer disziplinierten  Strenge an Dvořáks Freund und Förderer Johannes Brahms erinnern, entfaltet  Dvořák mit dem „Furiant“, einem temperamentvoll-derben Volkstanz, im „Scherzo“ böhmische Lebensfreude.

Der erste Satz („Allegro non troppo“) begann schwungvoll und pendelte in geschickten Übergängen zwischen den beiden kontrastreich mit unterschiedlichen Tempi verarbeiteten  Themen. Im zweiten Satz („Adagio) mit seiner ruhigen, friedlichen Grundstimmung, in die vorübergehend ein düsteres Thema dramatisch hereinbricht, entfalteten die Philharmoniker unter Măcelarus umsichtiger Leitung eine der slawischen Mentalität entspringende Farbenpracht, die so ganz zum vorzeitigen Frühling passte. Hier brillierten ebenfalls die Bläser mit Klarinette, Oboe, Horn und Flöte, und die Streicher konnten ihre Klangschönheit entfalten. Den „Furiant“ im dritten Satz („Scherzo“) gestalteten die Philharmoniker besonders  temperamentvoll und energiegeladen, und das Finale, der vierte Satz („Allegro con spirito“) sprühte vor Lebensfreude bis zum „Fortissimo“-Abschluss mit der effektvollen Stretta,

Es war eine rundum gelungenen Interpretation, bei der Măcelaru vor allem die Musik Dvořáks in ihrem unterschiedlichen Charakter kontrastreich, schwungvoll und ohne Überhöhung oder Effekthascherei, dafür mit schönen Details „sprechen“ ließ, stets in wohl dosierter, kultivierter Weise, ohne überbordende Überhöhungen.

 

Ingrid Gerk

 

 

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