Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DRESDEN/ Kulturpalast: DOPPEL -AUFTAKT DER 47. DRESDNER MUSIKFESTSPIELE

11.05.2024 | Konzert/Liederabende

Dresden / Kulturpalast: DOPPEL -AUFTAKT DER 47. DRESDNER MUSIKFESTSPIELE  9.5. / 10.5.2024

Die 47. Dresdner Musikfestspiele starteten in diesem Jahr – etwas ungewöhnlich – mit einem Doppel-Auftakt. Gleich zwei hochkarätige „Eröffnungskonzerte standen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen am Beginn des 1978 gegründeten Festivals, das unter dem Motto „HORIZONTE“ mit seinem genreübergreifenden Programm – bunt und vielfältig wie noch nie zuvor – an 32 Tagen in über 60 Veranstaltungen an über 20 interessanten Spielstätten in und um Dresden vom 9.5. ‑ 9.6. stattfindet und eine Bandbreite von Klassik (etwa zwei Drittel) bis Jazz, Pop, Rock, Weltmusik und Elektro (etwa ein Drittel) bietet. Hier liegt der Schwerpunkt auf Konzerten der „klassischen“ oder „ernst zu nehmenden Musik (E‑Musik), die auch nicht immer ernst sein muss.

Um es vorwegzunehmen, es waren zwei grandiose Eröffnungskonzerte. Der erste Abend galt der Fortsetzung des im vergangenen Jahr mit „Rheingold“ begonnenen großangelegten künstlerisch-wissenschaftlichen Aufführungsprojektes The Wagner Cycles“ anlässlich des 150. Jubiläums der Premiere des „Ring des Nibelungen“ 1876 bei den ersten Bayreuther Festspielen, das den gesamten „Ring“ konzertant in historischer Aufführungspraxis mit Spezialorchestern für Alte Musik bis 2026 bringen soll.

Wie im vergangenen Jahr wurde jetzt „DIE WALKÜRE“ unter Kent Nagano, dem Initiator dieses Vorhabens, mit Cocerto Köln und dem Dresdner Festspielorchester, das sich aus Musikern der besten Alte-Musik-Orchester zusammensetzt, konzertant aufgeführt. Kent Nagano setzte damit im Rahmen des „Originalklang“-Zyklus innerhalb des Festivals mit alten Instrumenten und neuen Forschungsergebnissen hinsichtlich Notation, Diktion und Interpretation, sein, 2016 mit Concerto Köln ins Leben gerufenes und in Köln und Amsterdam erfolgreich aufgeführtes Experiment fort.

Zugegeben, man war skeptisch. Den Originalklang wie zu Wagners Zeiten vollständig zu rekonstruieren, dürfte praktisch kaum möglich sein, zu viele Faktoren und Gegebenheiten spielen da eine Rolle. Die Säle sind wesentlich größer, damit müssen die Orchester größer sein, die Menschen, Ausführende und Publikum, sind geprägt von der Zeit, in der sie leben, ihre Vorstellungen und Empfindungen sind anders als im 19. Jahrhundert. Originalklang in dem, im 20./21. Jahrhundert erbauten und umgebauten Kulturpalast mit 2435 Plätzen und einem großen Orchester mit alten Instrumenten oder deren Nachbauten und Spezialisten für Alte Musik des 16./17. Jahrhunderts, wie sollte das zusammengehen? Es schien ein Wagnis, ein Experiment, Wagners „Ring“ mit Spezialisten für Alte Musik und alten Instrumenten aufzuführen, da zahlreiche Wagner-Enthusiasten bestimmte Klangvorstellungen haben, von denen sie nicht abweichen wollen, aber der unumstrittene Erfolg ließ die Skeptiker verstummen.

Erschien die Aufführung des „Rheingold“ 2023 noch als gelungener Kompromiss, so war die Aufführung des „Ersten Tages des Bühnenfestspiels“ jetzt ein voller Erfolg, der auch den letzten Skeptiker überzeugen konnte. Die Aufführung, zu der das interessierte Publikum, darunter viel Prominenz, sehr zahlreich erschienen war, hinterließ sehr viele positive Eindrücke, die in die Zukunft weisen und die Wagner-Pflege sehr bereichern könnten. Fernab der üblichen Aufführungspraxis, bei der sich die Sängerinnen und Sänger nur mit großer Kraftanstrengung gegen ein modernes lautstarkes Orchester durchsetzen können, hatten sie hier Gelegenheit, sich ganz dem Gesang mit allen Details und guter Textverständlichkeit zu widmen und stimmlich und darstellerisch sensibel zu gestalten, was zu berührenden Momenten führte.

Es wird oft vergessen, das Wagner auch Romantiker war. Hier wurde die romantische Komponente bei einem durchgängig romantischen Klang wieder sehr deutlich. Das sehr engagiert spielende Orchester erreichte mitunter sehr feine Nuancen und wunderbare Klangpassagen, von denen man bisher nur träumen konnte, ein echt romantisches, klangschwelgerisches Aufblühen des Orchesterklanges, farb- und facettenreich, bei dem unter anderem die Bassklarinette mit ungeahnt einschmeichelndem Klang, die sanfte Oboe, das ausführliche Cellosolo, warm klingende Holzbläser und sanfter Streicherklang das „Bühnengeschehen“ untermalten, aber auch aufgewühlt emotional fesselnd, unter anerem ein plastisches „Gewitter“ darstellen konnten.

Geschickt arrangierte Auf- und Abgänge, die Einbeziehung der Ränge, kleine, ausdrucksvolle Gesten, mit denen die Opernhandlung plastisch erstand, ersetzten perfekt eine (Ver-)Inszenierung, die oft nur von der Opernhandlung ablenkt. Selbst die Kostüme waren stilvoll mit kleinen Accessoires angedeutet.

Die Sängerinnen und Sänger konnten sich kultiviertem Gesang widmen, auch leise und sensibel und oft atemberaubend. Hingebungsvoll, ausdrucksstark und mit inniger Darstellung vertiefte sich Sarah Wegener voll und ganz in die Rolle der Sieglinde. Allein ihr Schrei ging durch „Mark und Bein“, ihr emotional in Gesang und Gestik bewegend dargestellter visionärer Traum von Siegmunds Tod durch Hundings Hunde war erschütternd. Sie konnte lange in angedeuteter Schlafhaltung ausharren wie tot, während Brünhilde Siegmund Walhall preist und er aus Liebe zu Sieglinde ablehnt. Ihre sängerische und gestalterische Darstellung ging „zu Herzen“. Ihr zur Seite, gestalte Maximilian Schmitt einen unerschrockenen, aber auch sanftmütiger Siegmund. Als bedrohlicher Hunding erschien Tobias Kehrer.

Stürmisch und mit Rasanz betrat Wotan alias Simon Bailey im Smoking und mit offenem Frackhemd, aber unverkennbar mit schwarzer Augenklappe die Bühne. Sein Göttervater hatte sehr menschliche Züge. Er begrüßte Fricka, Claude Eichenberger, die von der anderen Seite, als Einzige unter den vorwiegend schwarz Gekleideten im leuchtend grünen, ihre exponierte Stellung betonenden, Kleid auftrat und ein bisschen abwehrte, denn sie wollte ihn mit Vorwürfen überschütten, bestimmend, autoritär, kühl, streng und schön, mit sehr klarer Stimme und ein wenig an Gwyneth Jones erinnernd. Wotan entgegnete ihr zunächst brav, hörig und gehorsam wie ein großer Junge, bald aber aufmüpfig wie ein Jugendlicher und eher wie ein launiger Amor. Seine Darstellung war sehr irdisch sein Gesang mit weicher, aber sehr ausdrucksstarker Stimme und deutlicher Artikulation aber „göttlich“. Sein einziges Requisit war ein großer Speer, mit dem er später durchs Parkett schritt und seines göttlichen Amtes waltete.

Seine Lieblingstochter wurde von Åsa Jäger verkörpert, nicht nur äußerlich eine sehr „stattliche“ Brünnhilde, die kraftvoll, mit Power, aber auch sehr feinsinnig leise singen konnte und ihre Rolle vor allem gesanglich meisterhaft gestaltete. Ihre Walküren-Schwestern Chelsea Zurflüh, Natalie Karl, Ulrike Malotta, Jasmin Etminan, Karola Sophia Schmid, Ida Aldrian, Eva Vogel und Marie-Luise Dressen versammelten sich unter Einbeziehung des Raumes, von vielen Seiten kommend, alle schwarz gekleidet mit glitzernden Effekten, alle in sehr unterschiedlicher Größe und Statur, aber sie überzeugten mit homogenem Gesang.

Eine konzertante Aufführung muss nicht streng statisch ablaufen. Die Sängerinnen und Sänger hatten, vom Orchester getragen, auch Raum und Zeit, ihrer Rolle andeutungsweise darstellerisch Ausdruck zu verleihen und damit die Aufführung zu beleben.

Die Dresdner Musikfestspiele starteten fulminant. Einen Tag später (10.5.) fand eine zweite Festivaleröffnung mit einem Spitzenorchester, dem KONINKLIJK CONCERTGEBOWORCHEST unter der Leitung seines designierten Chefdirigenten Klaus Mäkelä statt. Auf dem Programm stand nur ein einziges Werk, die monumentale „Sinfonie Nr. 5“ von Anton Bruckner, einem Bewunderer Wagners, mit ihren gewaltigen zeitlichen Ausmaßen. Bei dieser Sinfonie hatte Bruckners seine ursprüngliche Abhängigkeit von Wagner wie in der 3. Sinfonie bereits abgelegt. Es ist sein sehr persönliches Werk, das Werk eines Einsamen, tief im Glauben Verwurzelten. Entgegen den Beinamen wie „Glaubenssinfonie“ oder „Katholische“ bezeichnete er sie selbst als „Phantastische“ oder sein „kontrapunktisches Meisterstück“. Er hat seine „Fünfte“ nie von einem Orchester gespielt gehört. Der Uraufführung (in einer entstellenden Bearbeitung) 1894 in Graz musste er wegen schwerer Krankheit fernbleiben.

 Leise, fast gehaucht begann das Orchester, das seit längerem im Ranking zu den drei weltweit besten gehört, um in einer langsamen, aber stetigen, fein zelebrierten Steigerung aufzublühen. Der junge, sehr talentierte Dirigent, stellte Bruckners Intentionen und seinen spezifischen Kompositionsstil in den Vordergrund. Er spürte der Euphorie und Naturschwärmerei des Meisters nach und ließ in schöner Klarheit die melodischen Linien und großen musikalischen Spannungsbögen nachzeichnen. Wenn auch nicht immer ganz homogen bis ins letzte Detail, war der Gesamteindruck, vor allem hinsichtlich Werkverständnis überwältigend. Alles war stets im Fluss. Bruckner wurde in seiner Authentizität neu erschlossen.

Das Orchester spielte in schöner Klarheit und inniger Intensität, farb- und facettenreich, mit klangschönen Streichern, insbesondere der Celli, und sehr guten Bläsern, vor allem der Horngruppe mit ihrer Solistin, bis zum apotheotischen, tänzerischen Schluss. Es war Bruckner vom Feinsten, wie man ihn nur selten hört.

Ingrid Gerk

 

 

Diese Seite drucken