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DRESDEN/ Kulturpalast: DIE DRESDNER PHILHARMONIE MIT EINEM KONZERTPROGRAMM ZWISCHEN DEN WELTEN – ANTONÍN DVORÁK, BENJAMIN BRITTEN UND ANNA CLYNE

20.10.2024 | Konzert/Liederabende

 

 

Dresden/Kulturpalast: DIE DRESDNER PHILHARMONIE MIT EINEM KONZERTPROGRAMM ZWISCHEN DEN WELTENANTONÍN DVORÁK, BENJAMIN BRITTEN UND ANNA CLYNE – 19.10.2024

Das 9. Konzert der Reihe „Dvořák“ bei der Dresdner Philharmonie stand nicht nur im Zeichen der „Sinfonie Nr. 9 e‑Moll von Antonín Dvořák, sondern vor allem im Zeichen eines Changierens zwischen den musikalischen Welten, Fremdem im Vertrauten, Exotischem im Herkömmlichen, Ungewohntem und Neuem. Neben dem Hauptwerk, Dvořáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“, standen zwei weitere Kompositionen auf dem Programm, eine „Suite“ aus dem Ballett „The Prince of the Pagodas“ (op. 57) von Benjamin Britten und „Weathered“ von Anna Clyne.

In einer 30minütigen „Suite“ aus Brittens umfangreicher Ballettmusik „The Prince of the Pagodas“ (op. 57), aus den eindrucksvollsten Sätze arrangiert von Colin Matthews und Kahchun Wong, dem Dirigenten des Abends, wird der Blick – wie es damals sehr beliebt war und auch jetzt noch fasziniert – in eine zauberhafte fernöstliche Welt gelenkt. Erzählt wird musikalisch eine dem König-Lear-Stoff verwandte Geschichte, in der es um die Thron-Nachfolge zwischen Gut und Böse geht und hier schließlich (im Gegensatz zu Shakespeares „König Lear“) das Gute siegt. Der Prinzen der Pagoden hilft seiner Geliebten, der guten Tochte, ihre böse Schwester mit viel Schlagzeug aus dem Reich zu vertreiben, was seitens des Dirigenten sehr betont wurde, kontrastiert von lieblichen Streichen im Orchester und liebevoll musizierten solistischen Passagen.

Wong ist Erster Gastdirigent der Dresdner Philharmonie, seit dieser Saison Chefdirigent und künstlerischer Berater des Hallé (Manchester) und außerdem Chefdirigent des Japan Philharmonic Orchestra. In Singapur geboren, hat er ein natürliches Gespür für die fernöstliche Klangwelt, von der sich Britten, insbesondere der balinesischen Gamelan-Musik, für die sich auch Claude Debussy und Leo Delibes begeisterten, inspirieren ließ. So wie es Britten gelang, Fernöstliches mit europäischer Tradition bruchlos zu verschmelzen, liegt auch Wong eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Erbe des Ostens, aber auch des Westens sehr am Herzen.

Sein Sinn für die musikalische Charakterzeichnung ließ die Handlung der sehr farbenreichen Partitur, wohl durchdacht, sehr plastisch in stimmungsvollen Bildern vor dem „inneren“ Auge erstehen. Er betonte die Kontraste und führte das große Orchester zu außergewöhnlicher Transparenz.

Die in den USA lebende Komponistin Anna Clyne (*1980) reflektiert in „Weathered“ für Klarinette und Orchester die Empfindungen einer inneren Welt. „Verwittert“ oder „vom Wetter gezeichnet“, sinniert sie symbolträchtig in fünf Sätzen mit den Bezeichnungen „Metal“, „Heart“, „Stone“, „Wood“ und „Earth“ über die Einwirkung äußerer Einflüsse auf Metall, Stein, Holz und Erde, vor allem aber auf das menschliche Herz in den Stürmen des Lebens und verwendet entsprechende Instrumente mit wörtlichem Bezug, wie Metallinstrumente (Röhrenglocken) für „Metal“ und Holzblasinstrumente sowie Marimba und Schlaginstrument mit Holzstäben für „Wood“. Mit ihrem Kompositionsstil, der vom Publikum gern angenommen wird, verbindet sie Traditionelles und Futuristisches und kann so auch das breite Publikum für moderne Musik begeistern.

Den Klarinetten-Solopart hatte Martin Fröst übernommen. Er ist Klarinettist, Dirigent, Sony Classical-Ausnahmekünstler, ab 2019/20 Chefdirigent des Swedish Chamber Orchestres und Gewinner des Léonie-Sonning-Musikpreises (2014), einer der höchsten Auszeichnungen weltweit. Auch er bewegt sich zwischen den Welten, zwischen Klassik und Jazz, Tradition und Moderne, sucht ständig neue Wege, um die klassische Musik herauszufordern und neu zu gestalten, was er nicht zuletzt auch in seinem ungewöhnlichen, sehr modernen Outfit zum Ausdruck brachte. Er spielte die Solo-Klarinette mit rundem, vollem Ton von sanft und geschmeidig bis düster und schrill und schöpfte die Möglichkeiten des Instrumentes fantasie- und facettenreich aus. 

Zwischen geografischen und nationalen Welten bewegte sich Antonín Dvořák, Böhme mit Leib und Seele. Er schrieb seine „Neunte“ in und für Amerika, sollte den Grundstein für eine amerikanische Nationalmusik schaffen, sehnte sich aber fern der Heimat nach Böhmens Hain und Flur, was in der Sinfonie immer mitschwingt. Schließlich konnte er früher als vorgesehen, wieder in seine böhmische Heimat reisen (wegen finanzieller Schwierigkeiten der Mäzenin). Was blieb, ist seine Sinfonie, die sich schon wegen ihres Melodienreichtums, ihrer klaren Klangstrukturen, den leichten Anklängen an die Lieder der indigenen Bevölkerung Amerikas, vor allem aber der Anklänge an die Musik seiner böhmischen Heimat größter Beliebtheit erfreut und auch an zwei Abenden den Konzertsaal im Kulturpalast bis in den letzten Winkel füllte. Sie verfehlt ihre Wirkung nie, gleich in welcher Interpretation.

Wong gestaltete sie wie jede große Sinfonie mit starken Kontrasten, „kostete“ manche Passage genussvoll aus und erreichte zuweilen Klangwirkungen, die an Richard Wagner erinnerten. Die Pauke brach nicht selten mit sehr lauten, harten Schlägen in den Melodienreichtum herein. Die Orchestermitglieder steuerten ihrerseits sehr liebliche Klänge bei, insbesondere die Flöten, die Streicher, die mit ihrem sehr feinen, schönen Klang große melodische Bögen spannten, die gezupften Kontrabässe und die, vom  Englischhorn einfühlsam gespielte, immer wiederkehrende Melodie, die schon in zahlreichen Filmszenen verwendet wurde.

In dieser, seiner letzten Sinfonie (er schrieb danach nur noch Opern und Sinfonische Dichtungen) verbindet Dvořák seine persönliche kompositorische Handschrift mit einer allgemein verständlichen Musiksprache zu einem perfekt durchgearbeiteten romantischen Werk und bringt europäische Tradition und amerikanische Zukunft in Einklang.

Ingrid Gerk

 

 

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