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DRESDEN/ Kulturpalast: „DIALOG“ – STREIFLCHTER VON DEN 44. DRESDNER MUSIKFESTSPIELEN MIT RUDOLF BUCHBINDER, KAMMERORCHESTER WIEN-BERLIN, JAN VOGLER UND PABLO SÀINZ-VILLEGAS – LIVE

14.06.2021 | Konzert/Liederabende

Dresden/Konzertsaal im Kulturpalast, Stallhof: „DIALOG“ – STREIFLCHTER VON DEN 44. DRESDNER MUSIKFESTSPIELEN MIT RUDOLF BUCHBINDER, KAMMERORCHESTER WIEN-BERLIN, JAN VOGLER UND PABLO SÀINZ-VILLEGAS – LIVE – 4.6. ‑ 13.6.2021

Endlich ist es wieder soweit, dass der Dialog, das Thema der diesjährigen Dresdener Musikfestspiele, zwischen Musikern und Publikum in Live-Konzerten Realität wird, wenn auch mit reduzierten Programmen und einer limitierten Anzahl von Besuchern. Ein Anfang ist gemacht, der hoffen lässt. Nach Teil I als Live-Stream fand nun Teil II erfreulicherweise wieder mit Publikum statt.

Nach dem Auftakt mit einem Klavierrezital von Arcadi Volodos und sieben weiteren Konzerten mit teils „klassischer“ Musik (Dresdner Festspielorchester & Ivor Bolton mit Beethovens Sinfonien Nr. 5 und 6, Angelika Kirchschlagers Liederabend mit satirischem Anstrich, Albrecht Mayer & Boris Giltburg mit Beethoven, Chopin, Mozart u. a.), populärer Musik (Max Mutzke & Marialy Pacheco, New York Gypsy All-Stars), Fado-Gesang (Gisela João) und Genre-übergreifend (Vision String Quartet mit Beethovens Streichquartett Nr. 4, Pop- und Jazzarrangements) bildeten zwei besondere („Klassik“-)Konzerte den Abschluss dieses Teils.

Wegen der Begrenzung der Platzkapazität erfreuten RUDOLF BUCHBINDER & KAMMERORCHESTER WIEN-BERLIN (12.6) die Besucher in zwei identischen Konzerten ausschließlich mit Werken von Wolfgang Amadeus Mozart im Konzertsaal des Kulturpalastes, der auch für diese Art von Kammerkonzerten die ideale Akustik bietet.

Das 2008 gegründete Kammerorchester Wien-Berlin aus führenden Mitgliedern zweier Spitzenorchester, der Wiener und Berliner Philharmoniker, kann mit seinem einzigartigen Klang auf eine beispiellose Erfolgsgeschichte zurückblicken. Die Gründung dieses Orchesters ist ein Glücksfall. Die Musiker haben sich die „historische Aufführungspraxis“ nicht explizit auf die Fahnen geschrieben, aber sie überzeugen mehr als manches spezielle Orchester für Alte Musik, weil sie die Musik vor allem nachempfinden, ganz gleich mit welchem Instrumentarium, und deshalb einen als „authentisch“ empfunden „Originalklang“ hervorbringen, der die Musik zum Klingen und Nachklingen bringt.

Das Orchester, von einem Konzert bei früheren Dresdner Musikfestspielen mit Anne-Sophie Mutter als Solistin noch in bester Erinnerung, verzauberte jetzt erneut mit Rudolf Buchbinder, einem in Dresden oft und gern gesehenen Gast, als Solist des „Konzertes für Klavier und Orchester Nr. 9 Es‑Dur“ (KV. 271), genannt  „Jenamy“ oder „Jeunehomme“ nach der Widmungsträgerin. Für Alfred Brendel ist es “eines der größten Weltwunder“. Es erfordert ein hohes Maß an Virtuosität.

 Buchbinder, den Dresdnern vor allem mit seinen (mehrmaligen) Konzerten bei der Sächsischen Staatskapelle mit sämtlichen Klavierkonzerten von Ludwig van Beethoven bekannt, aber auch mit Klavierkonzerten von Mozart mit der Dresdner Philharmonie, setzte hier seinen außergewöhnlich schönen, klangvoll „perlenden“ Anschlag und sein besonderes Stilgefühl für die großen Meister der Wiener Klassik ein und interpretierte  Mozarts letztes und bedeutendstes Klavierkonzert aus dessen Salzburger Zeit in bewundernswerter Weise.

In völliger Harmonie mit dem Kammerorchester, dessen betörender Klang unwillkürlich eine Illusion der „beschaulichen“ Mozart-Zeit hervorrief (die wahrscheinlich gar nicht so beschaulich war, und wer weiß, ob es damals so gut geklungen hat) brillierte er im ersten Satz „Allegro“ mit einer bravourösen Solokadenz, erschloss in gegenseitiger Korrespondenz mit dem Orchester Mozarts Klangwelt in gefälligem Wohlklang, aber auch dunkleren Moll-Tönen im zweiten Satz „Andantino“, wo sich unter seinen Händen melodische Schönheit, Frische und Gefühlstiefe entfalteten, und ließ alles in einen temperamentgeladenen vierten Satz „Rondeau“ münden. Was das Publikum begeisterte, schien für ihn selbstverständlich. In seiner natürlichen Bescheidenheit schenkte er seinen, auf „hölzernem Stand-Tablett“ (Notenpult?) hereingetragenen, Blumenstrauß als Dank an das Orchester der einzigen Dame (Geigerin) dieses Klangkörpers.

Danach erklang Mozarts seltener zu hörendes „Divertimento B‑Dur (KV 287), das zweite der beiden  „Lodronischen Nachtmusiken“, bei der die Hörner den Klang bereicherten. Für Freiluft-Aufführungen am Namenstag der Gräfin Antonia Lodron (1776 und 1779) komponiert, verströmte es, so stilvoll interpretiert, sommerlich-festliche Atmosphäre. Kein Wunder, dass diese „Nachtmusiken“ für Alfred Brendel „zum Reinsten, Heitersten, Beglückendsten, Vollkommensten, was je musikalische Form angenommen hat“, gehören.

Hier trat der Erste Konzertmeister des Orchesters und der Wiener Philharmoniker auch solistisch hervor, nicht vordergründig, sondern im Orchester sitzend, und musizierte in schöner Gemeinsamkeit mit seinen Musikern die sechs Sätze jubilierend, leicht und locker wie es der allgemeinen Vorstellung von Mozarts Musik entspricht, aber auch mit entsprechender Ernsthaftigkeit, die bei Mozart oft aus dem Hintergrund hervorblinkt, in einer guten Balance zwischen heiterer Unterhaltung und hohem künstlerischem Anspruch.

Honecks „Spezialität“ sind die feinen, leisen Töne, mit denen er die solistischen Passagen sehr feinfühlig gestaltete und manches in besonders leiser Feinheit (ppp) ausklingen ließ. Die Hörner stimmten mit ebensolcher Feinheit ein. Sie alle musizierten „mit Genuss“ für sich und das Publikum, Man konnte sich Mozarts musikalischen Empfindungen, Intuitionen und vermutlichen Klangvorstellungen dabei nahe fühlen.

Das 75minütige Konzert war dem Empfinden nach (viel zu) kurz, man hätte gern noch länger zugehört, aber es hinterließ dennoch einen lange nachwirkenden Eindruck. Um das Publikum für eine ursprünglich noch vorgesehene Sinfonie, die den Kürzungsforderungen zum Opfer fiel, ein wenig zu entschädigen, gab es noch eine Zugabe in höchster Klangqualität, das schwungvoll, mit vollem voluminösem Klang gespielte  „Andantino“ aus dem sogenannten „Naumann-Quartett“ von Mozart.

Den vorläufigen Abschluss der Musikfestspiel-Konzerte – es folgen noch im August die „Afrikanische Nacht“ (25.8.) und im November weitere Konzerte – bildete ein Konzert (ebenfalls zweimal aufgeführt) mit „JAN VOGLER & PABLO SÁINZ-VILLEGAS“ (13.6.) im historischen Stallhof zwischen dem Marstall mit dem berühmten „Fürstenzug“ aus Meißner Porzellan-Fliesen und dem Johanneum (jetzt Verkehrsmuseum), wo einst die Hofgesellschaft ihren sportlichen Spielen wie Ringstechen usw. frönte und wo die meisten Konzerte dieser zehn ereignisreichen Tage stattfanden.

Mit echt spanischem Temperament und Sensibilität eröffnete der spanische Klassik-Gitarrist Pablo Sáinz-Villegas den Reigen temperamentvoller spanischer, argentinischer, italienischer und deutscher Kompositionen und zog mit seinem Temperament, seiner klaren Tongebung und seiner Souveränität sofort alles in seinen Bann, als er „Asturias“ aus der „Suite Española“ (op. 47/5) von Isaac Albéniz anstimmte.

 Danach folgte Festspielintendant Jan Vogler mit seinem Instrument, dem Cello, und steuerte mit technischer Perfektion den melodischen, polyphon verschlungenen Linien folgend, das „Prélude“ aus der „Suite für Violoncello solo Nr. 3 (BWV 1009) von J. S. Bach bei. Beide Meister ihres Instrumentes musizierten danach gemeinsam, „getupft“, gezupft, gestrichen und auf den Instrumentenkörper schlagend, mit „singendem“ Cello und klingender Gitarre Originalkompositionen und Bearbeitungen, die ursprünglich für andere Instrumente wie Sopran und Klavier, Violine und Klavier,  Flöte und Gitarre usw. komponiert wurden.

Mit den, original für Violoncello und Gitarre komponierten, „Nocturnes“ von Johann Friedrich Burgmüller erreichten beide eine faszinierende Klangwirkung. Da es nur wenige Originalkompositionen für diese Besetzung gibt, folgten Bearbeitungen für Gitarre und Cello, von denen eine erst einen Tag zuvor von beiden arrangiert worden war. Von Manuel de Falla war die „Siete canciones populares españolas“ zu hören, von Enrique Granados „Andaluza“ aus „12  Danzas españolas“ (Heft II/Nr. 5) sowie “Cantabile D‑Dur (op. 17) von Nicoló Paganini, der nicht nur ein „Teufelsgeiger“, sondern auch ein guter Gitarrist war. Zum Abschluss begeisterten drei Sätze aus „L‘Zistoire du Tango „Bordel 1900“, „Café 1930“ „Nightclub 1960“ von Astor Piazolla, jedes Stück mit einem anderen, spezifischen Charakter, technischer Raffinesse und ausgefallenem Effekt.

Es war ein klangvolles, lebhaft vitales, kontrastierendes, beglückend schönes, eingängiges, sehr ansprechendes Musizieren, mit überschäumendem Temperament oder sehnsuchtsvoll schwärmend, in genialer Übereinstimmung der beiden Künstler, durch ausgezeichnete Tontechnik bis in die letzten Reihen ohne Einschränkungen zu genießen – ein  temperamentvoller „Klangrausch“ und in einigen Fällen auch eine Entdeckung wie im Fall Burgmüller, wo man überrascht war, welche musikalischen Schätze noch im Verborgenen schlummern. Beide Solisten musizierten so, als würden sie schon immer ein Duo bilden, doch sie hatten sich erst vor kurzem zu gemeinsamem Musizieren zusammengefunden.

Wie bei den meisten Open-Air-Konzerten mit ihren Risiken blieben auch hier die Störungen nicht aus. Das Wetter spielte zwar bestens mit, aber die akustischen Störungen ließen nicht auf sich warten. Da machte sich erst eine, dann mehrere Krähen bemerkbar, ein Flugzeug und noch eins und noch ein Hubschrauber überflogen das Gelände, und die Glocken der nahen Kathedrale läuteten gleich zweimal und ausgiebig. Beide Seiten nahmen es mit Humor und Vogler überbrückte es in seiner lockeren Art mit Erläuterungen zur spanischen Musik, von der er durch Pablo Sáinz-Villeas, wie er meinte, viel gelernt hat.

Ganz ohne äußere Störungen gab es noch zwei Zugaben: sanfte Klänge mit der „Nr. 1“ aus Eric Saties „Trois Gymnopédies“ für beide Instrumente sowie ein Gitarren-Solo des spanischen Gastes aus seiner Heimat, der Region Rioja (wo es guten Rotwein gibt) mit echt spanischem Temperament und ungeheurer Fingerfertigkeit, mit der er die Finger wie im Traum über die Saiten gleiten ließ.

 Ingrid Gerk

 

 

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