Dresden/Kulturpalast: ALLE „KLAVIERKONZERTE“ RACHMANINOWS MIT ANNA VINNITSKAYA UND DER DRESDNER PHILHARMONIE – 3.11.2024
Zwischen Sergei Rachmaninow und Dresden gibt es Verbindungen. Er verbrachte hier die Wintermonate 1906 bis 1908 mit seiner Familie, um das reiche Musikleben der Stadt und der Region, unter anderem mit Besuchen der Dresdner Oper und des Leipziger Gewandhauses, zu erleben. Er erwarb hier ein großes Wohnhaus (Trachenberger Straße 23) und war bis in die 1990er Jahre als „Eigentümer, Wohnsitz: New York“, im Grundbuch eingetragen. In Dresden entstanden die „Sinfonie Nr. 2“ (op. 27), die 1. Klaviersonate (op. 28), inspiriert von Goethes „Faust“ und die sinfonische Dichtung „Die Toteninsel“ (op. 29), inspiriert von einem Schwarz-weiß-Druck des gleichnamigen Gemäldes von Arnold Böcklin (das farbige Originalgemälde beeindruckte ihn später weniger). Bei der ersten Aufführung des 2. Klavierkonzertes in Dresden mit der Dresdner Philharmonie (damals Gewerbehauskapelle) 1909 saß der brillante Pianist und Dirigent selbst als Solist am Konzertflügel,
Copyright: Dresdner Philharmonie
Jetzt widmeten sich Anna Vinnitskaya und die Dresdner Philharmonie unter der Leitung von Krzysztof Urbański den großen Klavierwerken Rachmaninows zwischen dem Erbe der Romantik und neuer Welt. Trotz der hohen Anforderungen, die die Klavierkonzerte an einen Pianisten stellen, spielte die russische Weltklasse-Pianistin alle vier und dazu die „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ (op. 43) an zwei Abenden, am ersten Abend (2.11.) die „Klavierkonzerte Nr. 1 fis-Moll“ (op. 1) und „Nr. 2 c-Moll“ (op. 18) sowie die „Rhapsodie“ und am zweiten Abend (3.11.) die „Klavierkonzerte Nr. 3 d-Moll“ (op. 30) und „Nr. 4 g-Moll“ (op. 40). Besucht wurde der 2. Abend (3.11.).
Um der Publikumswirksamkeit willen oder doch mehr weil es das umfangreichste und technisch schwierigste von Rachmaninows Klavierkonzerten ist, hob sie sich das romantische, wegen seiner melodischen Wirkung beliebteste, 3. Klavierkonzert als bekrönenden Abschluss des Zyklus auf und spielte zunächst das, 1926 als erstes größeres Werk nach seiner Auswanderung in die USA, möglicherweise unter Verwendung von, schon 1914 in Russland entstandenen, Skizzen komponierte, „g-Moll-Konzert“.
Es wurde 1927 mit dem Philadelphia Orchestra unter Leopold Stokowski in Philadelphia uraufgeführt – ohne Erfolg und erfuhr erst nach zwei Nachbearbeitungen (1927 und 1941) eine gewisse Popularität. Unter seinen Klavierkonzerten gilt es als das „unbeliebteste“. Während es den einen als nicht modern genug erschien, hielten es die anderen als zu modern. Es scheint auch jetzt noch schwerer zugänglich zu sein, obwohl besonders der mittlere Satz vom Jazz beeinflusst ist, was nicht nur in den Rhythmen, sondern auch den harmonischen Floskeln deutlich zum Ausdruck kommt.
Seit 20.Oktober dieses Jahres steht im Kulturpalast ein neuer, exzellenter Steinway-Flügel zur Verfügung, dessen Qualitäten sehr gelobt werden, unter anderem von Pianist Boris Giltburg, der den „schönen, glockenähnlichen Klang über die gesamte Tastatur, klar und rund, mit einem sehr langen Nachklang“ rühmt und, die „Kraft und Projektion, ohne jemals hart oder zu offen zu klingen“ … „sein Klang ist voller Charakter: warm und gefühlvoll, sehr einnehmend. Der Flügel hat etwas, das fast süchtig macht – man möchte einfach immer weiter auf ihm spielen“. Drei Jahre dauerte es bis zu seiner Fertigstellung, jetzt erfreut er seit dem 20. Oktober dieses Jahres mit seiner Vielseitigkeit, seinem dynamischen Umfang und seiner Ausdruckskraft, mit der er perfekt für die großen Klavierkonzerte, das Solorepertoire und Kammermusik jeder Epoche bestens geeignet ist.
Anna Vinnitskaya nutzte die Klangmöglichkeiten des neuen Instrumentes, spielte kraftvoll, virtuos, aber auch mit sehr differenzierendem Anschlag, integrierte sich in das Orchester und behauptete sich als Solistin bei oft sehr lauten Passagen unter Urbańskis Leitung, der dann auch wieder für gute gemeinsame Passagen zurücknahm. Da wechselten brachiale Momente mit filigranen Passagen.
Beim „d-Moll-Klavierkonzert“, dem einst als „Elefantenkonzert„, „unspielbar“, als „das Konzert mit den meisten Noten pro Sekunde“ usw. bezeichneten, das jetzt schon wegen des reizvollen, im ersten Satz immer wieder hindurch funkelnden, kunstvoll verarbeiteten Motivs, einem russischen Kinderlied, als sein beliebtestes gilt. Für Anna Vinnitskaya gab es keinerlei Schwierigkeiten, sie spielte mit scheinbarer Leichtigkeit und pianistischer Brillanz alle Möglichkeiten und frappierenden Nuancen zwischen Klarheit und Opulenz aus. Bei ihr ist Virtuosität kein Selbstzweck.
Sie spürte Rachmaninows Erfindungsreichtum nach und hatte auch das „Leise-in-sich-Hineinhören“ verinnerlicht. Dabei gelangen ihr beeindruckende Momente. Ihr Spiel blieb stets lebendig, elastisch, geschmeidig und seelenvoll, selbst bei vehementen Passagen des Orchesters und starken Akzenten seitens des Dirigenten, der das Orchester sinfonisch führte. Stellenweise hätte man sich jenoch mehr Einfühlungsvermögen und ein Miteinander mit der Solistin gewünscht.
Nach dem horrend schwierigen Finale, in dem Motive aus allen drei Sätzen zu einer gewaltigen Schlussapotheose zusammengeführt werden, brandete jubelnder Beifalls im ausverkauften Kulturpalast mit seinen 1800 Plätzen auf. Dass Anna Vinnitskaya trotzdem auf Zugaben verzichtete, war nach diesem Mammutprogramm und ihrer enormen Leistung, nur allzu verständlich.
Ingrid Gerk