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DRESDEN/ Kreuzkirche: „WEIHNACHTSORATORIUM“ VON J. S. BACH MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR IM UMFELD VON STRIEZELMARKT UND GEISELNAHME

11.12.2022 | Konzert/Liederabende

Dresden / Kreuzkirche: „WEIHNACHTSORATORIUM“ VON J. S. BACH MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR IM UMFELD VON STRIEZELMARKT UND GEISELNAHME – 10.12.2022

Die hellen und die dunklen Seiten des Lebens, Licht und Schatten liegen oft dicht beieinander. Man hatte sich sehr auf Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ mit dem Dresdner Kreuzchor gefreut, ist doch der neue Kreuzkantor Martin Lehmann ein Musiker mit Leib und Seele, der selbst bei der Aufführung noch bis ins letzte Detail feilt und eine Wiedergabe bewirkt, die mitreißt und berührt. In kürzester Zeit hat er den Kreuzchor auf ein sehr hohes Niveau gebracht.

Das diesjährige „Weihnachtsoratorium mit den Kanten I-III stand jedoch leider unter keinem guten Stern. Eine Krankheitswelle erschüttert zurzeit den Kreuzchor. Wegen des hohen Krankenstandes musste bereits in der vergangenen Woche die diesjährige Adventstournee abgebrochen worden. Nach Konzerten in Bad Elster, Gotha, Fürth und Biberach fielen die Konzerte in Magdeburg, Stade und der Elbphilharmonie Hamburg aus. Die drei Aufführungen in der Dresdner Kreuzkirche (9., 10., 11.12.) hätten abgesagt werden müssen, wären nicht erfahrene Gastchoristen von Kammerchor Cantamus Dresden und Vocal Concert Dresden, das den Kreuzchor regelmäßig beim „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms unterstützt, sowie ehemalige Kruzianer zur Verstärkung eingesprungen. Die Dresdner möchten nicht auf „ihr“ „Weihnachtsoratorium“ mit dem Dresdner Kreuzchor verzichten, auch wenn in zahlreichen anderen Kirchen in Dresden und Umgebung Bachs beliebtestes sakrales Werk zur Weihnachtszeit erklingt, wobei jede Aufführung ihre Spezifika hat.

Am Tag der mittleren der drei Aufführungen ereignete sich in unmittelbarer Nähe der Kreuzkirche eine dramatische Geiselnahme nach einem zum Glück misslungenen Amoklauf in der Altmarktgalerie, einem stark frequentierten Einkaufszentrum, zwischen dem und der Kreuzkirche der, im Adventstrubel überfüllte, Striezelmarkt auf dem Altmarkt liegt. Die beiden Geiseln, eine Verkäuferin und ein Kind, blieben glücklicherweise äußerlich unverletzt, der Täter, der zuvor seine Mutter getötet und Schüsse auf das Studio eines Dresdner Radiosenders abgegeben hatte, denen die Mitarbeiter jedoch entfliehen konnten, wurde erschossen.

Trotzdem oder gerade deswegen fand die Aufführung statt, gemäß den Worten Ludwig van Beethovens: „Durch Nacht zum Licht“! Alle Ausführenden waren um hohe Qualität bestrebt, aber die allgemeine Stimmung blieb verständlicherweise verhalten.

Der nunmehr gemischte Chor, auch mit Frauenstimmen, sang sehr sauber und konform und setzte die Werkvorstellungen des Kreuzkantors unmittelbar um. Die Dresdner Philharmonie war wie immer das sichere und klangvolle instrumentale Fundament. Besondere Innigkeit verliehen die sanften Töne einer Laute der besonders klangschön musizierten „Sinfonia“ am Beginn der zweiten Kantate, die Lehmann mit einer sinnvollen Pause ausklingen ließ. Einige Mitglieder des Orchesters (Flöte, Violine) boten gute Soli bei der instrumentalen Einleitung und Begleitung der Arien. Die Solisten korrespondierten sehr gut mit Chor und Orchester.

Die Evangelistenpartie gestaltete der Tenor Robin Tritschler sehr exakt und mit guter Textverständlichkeit, anfangs sehr „gestrafft“ und etwas zu leise für den großen, vollbesetzten Kirchenraum mit über 3000 Plätzen, konnte sich jedoch im Laufe der Aufführung steigern. Die heikle Tenor-Arie sang er makellos, leicht und locker, mit mühelosen Verzierungen, wenn auch ebenso leise und wenig emotional. Die Sopranistin Hanna Herfurtner überzeugte mit einer zarten Engelsverkündigung, in den übrigen, bei den ersten drei Kantaten weniger umfangreichen, Einsätzen des Soprans mitunter stellenweise zu zart.

Mit schöner, beseelter Stimme, makellos mit starkem Ausdruck und Innigkeit gestaltete Henriette Gödde die umfangreiche Alt-Partie mit ihren anspruchsvollen Arien und Ariosi. Tobias Berndt (Bass), einst selbst Kruzianer, kennt die relativ trockene Akustik des Kirchenraumes und hatte die genau richtige Diktion. Er gestaltete die Bass-Partie mit ihren anspruchsvollen Arien souverän, scheinbar mühelos, mit sehr guter, geschmeidiger Stimme und in allen Lagern ausgeglichen und sehr ausdrucksvoll. Selbst ein Arioso hatte bei ihm viel Gewicht und Aussagekraft.

Lehmann leitete alles mit dem richtigen Gespür für ein ausbalanciertes Tempo, so dass jeder Chor, jeder Choral, jede „Szene“ zur Geltung kommen konnte und eine in sich geschlossene Aufführung in sinnvollem Wechsel zwischen getragenen und emotional bewegten Passagen entstehen konnte. Er verstand es, in seiner vitalen Art alle Ausführenden mitzureißen und seine Vorstellungen umzusetzen. So konnte die Aufführung doch noch viel Trost und Zuversicht vermitteln.

Der zweite Teil des Weihnachtsoratoriums mit den Kantaten 4-6 findet nach Weihnachten, am 7.1.2023 statt, dann hoffentlich unter günstigeren Bedingungen.

 Ingrid Gerk

 

 

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