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DRESDEN/Kreuzkirche: „WEIHNACHTSORATORIUM“ – TEIL II MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR NACH WEIHNACHTEN – EIN WAGNIS?

13.01.2019 | Konzert/Liederabende

Dresden/Kreuzkirche: „WEIHNACHTSORATORIUM“ – TEIL II MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR NACH WEIHNACHTEN – EIN WAGNIS? 12.01.2019

Das Weihnachtsfest und der allgemeine „Run“ auf den 1. Teils des „Weihnachtsoratoriums“ von Johann Sebastian Bach (Kantaten 1 ‑ 3) und erst recht auf die beiden “Weihnachtsliederabende“ mit dem Dresdner Kreuzchor (16.12./22.12.), bei denen die Kartenwünsche die Platzkapazität der Kreuzkirche mit ihren mehr als 3000 Sitzplätzen überstiegen, ist vorbei. Jetzt fanden sich nur noch die wirklichen Musikliebhaber und Bach-Verehrer zu Teil II des „Weihnachtsoratoriums“ (Kantaten 4 – 6) ein und konnten eine ansprechende Aufführung erleben. Die Leitung lag in den Händen von Kreuzkantor Roderich Kreile.

Ein Aufführungstermin nach Weihnachten ist hinsichtlich Resonanz der Besucher immer problematisch, obwohl alle sechs Kantaten von J. S. Bach zwischen dem ersten Weihnachtsfeiertag (25. Dezember 1734) und Epiphanias (6. Januar 1735) in Leipzig  (ur)aufgeführt wurden. Wegen der Schulferien, die auch für Kreuzchor und Kreuzschule verbindlich sind, konnte die Aufführung nun erst am 12.1. stattfinden, aber das (Stamm‑)Publikum möchte eine Aufführung auch von Teil II nicht missen. Es hält „seinem“ Kreuzchor die Treue. Über mangelnden Besuch konnte man sich nicht beklagen. Beim Leipziger Bachfest wurde das Weihnachtsoratorium einmal mitten im Sommer bei strahlendem Sonnenschein aufgeführt, aber Bachs Musik zog dennoch die Besucher in ihren Bann.

In jahrzehntelanger Verbundenheit und Zusammenarbeit bildete die Dresdner Philharmonie wieder das sichere und klangvolle Fundament und steuerte sehr schöne instrumentale Solopassagen bei der Einleitung und Begleitung der Arien bei. Bei der Arie „Ich will nur dir zu Ehren leben“ kam die an dieser Stelle gewohnte Innigkeit und Harmonie zwischen den beiden Soloviolinen, der ersten Konzertmeisterin, die mit sehr sicherem Strich den schönen Ton angab, und der zweiten Violine, von der das Tempo leicht forciert wurde, nur bedingt  und nicht ganz in dem hohen Maß zustande, wie man es an dieser Stelle gewohnt ist. Sehr schöne Instrumentalsoli kamen dann aber von dem sehr sauber und klangschön musizierenden Horn und der sehr guten Oboe d’amore, die die Sopran-Arie „Erleucht auch meine finstren Sinnen“ begleitete, gesungen von Miriam Alexandra, einer deutsch-griechischen Sopranistin und Musikwissenschaftlerin.

Ihr Verdienst besteht vor allem darin, dass sie Lieder der französischen Pianistin, Sängerin und Komponistin Pauline Viardot-Garcia (1821-1910), der jüngeren Schwester der legendären, frühverstorbenen Operndiva Maria Malibran, für sich wieder entdeckt und bei der X. Schumanniade Reinhardtsgrimma auf Peter Schreiers Engagement hin mit zarter Stimme gesungen hat. Jetzt schien ihre Stimme etwas weiterentwickelt, obwohl ihr Stimm-Volumen nur bedingt für den großen Raum der Kreuzkirche geeignet erschien.

Noch sehr mit der technischen Seite beschäftigt, sang sie zwar klar, aber wenig differenziert, mitunter ziemlich leise und kaum gestaltend. Bei der „Echo-Arie“ (4. Kantate) wirkte das Echo eines Kruzianers (Maximilian de Haas) hingegen schon sehr stilsicher und „versiert“. Im Terzett der 5. Kantate „Ach, wann wird die Zeit erscheinen“ wollte der Sopran mit seinem jungmädchenhaften Timbre (obwohl die Sängerin nicht mehr zur jüngeren Generation gehört) nicht so ganz zu den für den großen Kirchenraum geeigneten Stimmen von Alt und Tenor passen.

Henriette Gödde sang mit sehr ansprechender, klangvoller Stimme, sehr klarer Diktion und guter Gestaltung, mit der sie viel vermitteln konnte, die Altpartie. Sie entsprach dem (inoffiziellen) „Dresdner“ Stil aus Stimmvolumen, Timbre, Exaktheit und intensiver Gestaltung, der sich hier in jahrzehntelanger Aufführungspraxis in dem Bestreben nach bestmöglicher Erfüllung der Aufgabe und Liebe zu Musik herausgebildet hat, nicht zuletzt geprägt durch Peter Schreier und den kürzlich im Alter von 92 Jahren verstorbenen Theo Adam, zwei einstigen Kruzianern, die hier trotz ihrer weltweiten Verpflichtungen in Oper und Konzert gelegentlich gern als Solisten wieder an den Ort ihrer Jugend zurückkamen.

Peter Schreier nicht imitierend, wohl aber dessen hohen Maßstäben folgend, gestaltete der Tenor und ehemalige Kruzianer Tobias Hunger die Evangelisten-Partie mit,  die große Linie „umrankenden“, feinsten Details , vom interessant und abwechslungsreich gestalteten „Bericht“ der Weihnachtsgeschichte, ganz im Sinne der barocken Aufführungspraxis und dennoch den gegenwärtigen Hörer unmittelbar ansprechend, bis hin zum expressiven „ …erschrak er und mit ihm das ganze Jerusalem“ und dezentem „Beben“ der Stimme (Tremolo), wie es in der Barockmusik gern verwendet wurde, wenn es im Text um Furcht oder Schrecken ging. Zum Höhepunkt seiner Gestaltung wurden die äußerst exakt gesungenen Tenor-Arien, insbesondere  die mit schöner Stimme und starkem Ausdruck gesungene Arie „Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken“ im Gleichklang zwischen Tempo, Dramatik und Innigkeit. Es war ein Genuss, ihm zuzuhören.

Die Bass-Partie lag in den Händen des gestandenen Opern- und Konzertsängers Matthias Weichert, der mit seiner Diktion und guten Gestaltung zu Alt und Tenor passte.

Der Dresdner Kreuzchor sang gut vorbereitet, mit den hohen Ansprüchen, denen er an dieser Stelle immer wieder gerecht werden soll – nach den Strapazen in der Weihnachtszeit mit ihren vielen Aufgaben keine leichte Aufgabe. Die Bassstimmen schienen nicht immer ganz ausgeglichen zu sein und im Eingangschor der 6. Kantate „Herr, wenn die stolzen Feine schnauben“ etwas unsicher. Dafür wirkten die Soprane erstaunlich sicher und strahlend.

Unterschwellig schien bei der Aufführung ein leichter Hang zu „innerer“ Unruhe durch ein angezogenes Tempo zu herrschen, die aber immer wieder gut abgefangen wurde. Leider litt auch der Trompeten-überglänzte Schluss mit seinen zwar sehr sauberen und festlich klangschönen Trompeten etwas unter dieser Unausgeglichenheit. Sollte vielleicht doch der späte Termin dazu beigetragen haben, unterschwellig den Sinn für das „Weihnachtsoratorium“ von manchem Ausführenden als „überfällig“ etwas zu „trüben“, da die Gedanken schon mit anderen Vorhaben beschäftigt sind? Bei den Kreuzchor-Aufführungen werden immer sehr hohe Maßstäbe angesetzt, weil sie durch das hohe Engagement der Beteiligten und dem Bestreben nach Bestleistung auch oft und immer wieder erreicht wurden.

Das Publikum lauschte angeregt, darin besteht das „Wunder“ der Bachschen Musik, dass sie den Zuhörer immer wieder mit hineinnimmt in ihre musikalische Welt und man nach kurzer Zeit vergessen hat, ob „draußen“ Sommer oder Winter oder welches Datum gerade ist.

Ingrid Gerk

 

 

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