Dresden/Kreuzkirche: TEIL II DES „WEIHNACHTSORATORIUMS“ (KANTATEN IV BIS VI) VON J. S. BACH MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR – 6.1.2018
Für viele Menschen ist Weihnachten mit dem Beginn des neuen Jahres vorbei. Früher war das anders, da dauerte die Weihnachtszeit auch im Bewusstsein der Bevölkerung mindestens bis zum „Epiphaniasfest“ (Heilige drei Könige, Dreikönigsfest, Dreikönigstag) am 6. Januar bzw. sogar bis zum 2. Februar – „Maria Lichtmess“, weshalb J. S. Bach sein „Weihnachtsoratoriums“ für diese Zeit (26.12. bis 6.1.) konzipiert hat. Jetzt steht die Kreuzkirche in Dresden mit der Aufführung der Kantaten IV bis VI Anfang Januar so ziemlich „allein auf weiter Flur“. So ändern sich die Zeiten!
Sind vor Weihnachten die drei Aufführungen von Teil I (Kantaten I bis III) mit dem Dresdner Kreuzchor schon lange vorher hoffnungslos ausverkauft und andere Aufführungen in zahlreichen anderen Kirchen sehr gut besucht, genügt für Teil II (Kantaten IV bis VI) eine Aufführung für die treuen Musikfreunde, die dieses Werk selbst im Sommer gern hören, wie z. B. beim Bachfest in Leipzig (16.6.2013). Schon allein deshalb sollte diese Tradition beibehalten werden. In diesem Jahr traf es sich gut, dass die Aufführung von Teil II mit der 6. Kantate, die für den 6. Januar gedacht ist, genau an diesem Tag aufgeführt wurde – welch ein schöner Zufall.
Die Dresdner Philharmonie, die bei diesen Aufführungen nicht mehr wegzudenken ist, ließ bereits bei den ersten Takten mit ihrem warmen, runden Ton erkennen, dass sie in guter Form ist und wieder das zuverlässige Fundament der Aufführung bildet, nicht nur beim Zusammenwirken mit dem Dresdner Kreuzchor und den Solisten, sondern auch bei den solistischen Instrumentalbegleitungen der Arien von Violine(n), Oboe(n), sehr sauberen und klangvollen Hörnern (Kantate V) und besonderem Trompetenglanz (Kantate VI).
Die Evangelisten-Partie, die den Grundstock des Berichtes der Weihnachtsgeschichte mit den Empfindungen und „Kommentaren“ des Volkes, der menschlichen Seele und des Betrachters bildet, lag wie schon beim 1. Teil (17.12.2017) in den Händen des jungen Tenors Tobias Hunger, der einst an gleicher Stelle im Dresdner Kreuzchor mitsang. Er überzeugte auch jetzt beim 2. Teil mit seiner gut durchdachten, in allen Facetten ausgeleuchteten Gestaltung der Partie mit ihren Rezitativen und Arien. Die Stimme hat in der Höhe gewonnen und wollte nur einmal gegen Ende nach einer insgesamt sehr gut gesungenen und gestalteten Partie den Dienst bei der anspruchsvollen Arie mit zuverlässiger, klangschöner Oboen-Begleitung „Herr, wenn die stolzen Feinde schrecken“ mal kurz leicht versagen, was der Sänger jedoch gut „abfing“ und unbeirrt qualitätsorientiert weitersang.
Mit großer Akribie hatte er sich zuvor die Arie „Ich will nur dir zu Ehren leben“ vorgenommen und mit zahlreichen klaren, feinen Verzierungen ausgeschmückt. Die sehr feinsinnige Begleitung der Arie durch zwei Soloviolinen bildete zudem einen musikalischen Sondergenuss, an dem die 2. Violine maßgeblich beteiligt war. Da Tobias Hunger noch jung ist, lässt er mit seiner lebhaften Gestaltung der Evangelisten-Partie, ohne zu übertreiben, seiner sehr deutlichen und ansprechenden Text-Deklamation und Ausgestaltung der Arien noch einiges hoffen.
Die im 2. Teil wesentlich umfangreichere Sopran-Partie gegenüber dem 1. Teil hatte die Österreicherin Elisabeth Breuer übernommen. Sie ist hier keine Unbekannte mehr, da sie an gleicher Stelle schon einmal im „Paulus“ von Mendelssohn (September 2017) sang. Mit klangvoller, ansprechender, wenn auch nicht sehr voluminöser Stimme und guter Diktion sang sie ihre Partie. Bei der „Echo“-Arie, gelang das erste Echo von einem sehr sicheren Knaben-Sopran aus dem Kreuzchor im „Hintergrund“ etwas lauter als die Stimme der Solistin, aber danach stufte der Kruzianer die Lautstärke seiner tonreinen „Echos“ perfekt ab, jedes Mal ein bisschen leiser – bis zum feinen Piano. Es war eine beachtliche schon reife Leistung dieses jungen Sängers mit schöner Stimme (Julian Deckert).
Die in diesem Teil im Wesentlichen aus Rezitativen und im Zusammenwirken mit Chor oder anderen Solisten bestehende Alt-Partie sang Alt Marlen Herzog gut und zuverlässig.
Niveauvoll sang und gestaltete Henryk Böhm die Bass-Partie, insbesondere die von sehr klangvoller ausgiebiger Oboen-Begleitung mit schönem weichem Klang „umspielte“ Arie „Erleucht auch meine finstren Sinnen. Als Herodes „erschrak“ er tonmalerisch und stellte die Falschheit seiner vorgetäuschten Anbetung des neugeborenen Kindes nicht durch das musikalisch raffinierte „Schwänzchen“ am Ende seiner Worte, sondern mehr mit angeblich „wohlgesinnter Maske“ dar.
Die trompetenüberglänzt endende Aufführung unter der Leitung von Kreuzkantor Roderich Kreile, bei der auch nach kleinen „Umbaupausen“ (der Notenpulte) „jede neue Nummer“ sofort wieder in den „Gesamtzusammenhang“ eingebunden wurde, bildete einen schönen, klangvollen Abschluss der Weihnachtszeit. Dresdner Philharmonie und Dresdner Kreuzchor haben ihr ideales Maß an Lautstärke, Tempo und Klang gefunden, sowohl bei den vom Kreuzchor überzeugend gesungenen Chören und Chorälen (höchstens die Pauke war in Kantate VI eine Idee zu kräftig), als auch bei den instrumentalen Arien-Einleitungen und -begleitungen. Die Solisten fügten sich analog in den Gesamtcharakter ein. Es war eine jener ansprechenden Aufführungen, die auch mehr und mehr auswärtige Touristen an- und in ihren Bann ziehen.
Ingrid Gerk